A_sexualität

Auf dieser Übersichtsseite findest du eine kurze Definition zu A_sexualität, die a_sexuelle Pride Flag und was sie bedeutet, einen ausführlichen Text und wissenschaftliche Literatur zu A_sexualität und weiterführende Links und Bücher zum Thema. Wenn du noch Fragen hast, schreib uns eine Nachricht z.B. über unseren anonymen Kummerkasten.

Kurzdefinition

A_sexuell, A_sexualität, nonsexuell: Eine a_sexuelle Person fühlt keine oder wenig sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. A_sexualität bewegt sich auf einem Spektrum. Dies wird durch den Unterstrich verdeutlicht. A_sexualität heißt nicht, dass eine Person zölibatär lebt, zum einen, da das Zölibat eine freie Entscheidung und keine sexuelle Orientierung ist, und zum anderen, weil a_sexuelle Menschen aus verschiedenen Gründen Sex haben können. A_sexualität hängt nicht zwangsläufig mit A_romantik zusammen.

Pride Flag

[Das Bild zeigt die Pride Flag für a_sexuelle Menschen. Sie hat vier gleichgroße, horizontale Streifen. Von oben nach unten: Schwarz, grau, weiß und lila.]

Die Pride Flag für a_sexuelle Menschen wurde 2010 entwickelt und in einem Forum zur Abstimmung gestellt. Schwarz steht hier für Asexualität, Grau für das a_sexuelle Spektrum, weiß für Sexualität und Lila für Gemeinschaft. [Quelle: http://wiki.asexuality.org/Asexual_flag?title=Asexual_flag]

Was ist A_sexualität?

Dieser Text ist sehr ausführlich und enthält sehr viele Informationen. Es ist nicht schlimm, wenn du manche Sachen nicht sofort verstehst. Wenn du noch Fragen hast, dann schreib uns!

Was ist A_sexualität?

A_sexualität ist eine eigenständige sexuelle Orientierung, wie beispielsweise Heterosexualität und Bisexualität auch. Die größte Organisation a_sexueller Menschen, das Asexual Educuation and Visibility Network (AVEN) definiert eine a_sexuelle Person als eine Person, die keine sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen verspürt oder eine Person, die kein Verlangen nach sexuellen Handlungen mit anderen Menschen hat (AVEN 2017). Andere a_sexuelle Organisationen oder Menschen definieren A_sexualität aber manchmal auch anders.

A_sexualität ist nicht dasselbe wie Antisexualität (d.h. Sexualität abzulehnen), wie das Zölibat (d.h. sich freiwillig dazu entscheiden, keinen Sex zu haben), A_romantik (d.h. sich nicht in andere Menschen zu verlieben und/oder keine romantischen Beziehungen mit anderen Menschen eingehen zu wollen), unterdrückte Sexualität oder Angst vor Sexualität, Unfähigkeit eine*n Partner*in zu finden, und A_sexualität ist auch keine Krankheit  (Asexuality Archive 2012, S. 35-52). Schätzungen zufolge sind ca. 1% der Menschheit a_sexuell.

A_sexualität und A_romantik

In  der a_sexuellen Community wird die Unterscheidung zwischen romantischer und sexueller Orientierung verwendet. Die romantische Orientierung  bezieht sich darauf, in wen sich eine Person verliebt bzw. mit wem sie eine Liebesbeziehung führen möchte, und die sexuelle Orientierung darauf, wen eine Person sexuell anziehend findet und mit wem sie Sex haben möchte. Diese Trennung nennt sich das Split Attraction Model („getrenntes Anziehungs-Modell“). Manche Menschen sind sowohl a_sexuell, wie auch a_romantisch, d.h. sie verlieben sich nicht in andere Menschen, wollen keine romantischen Beziehungen eingehen und empfinden keine sexuelle Anziehung (gegenüber anderen Menschen). Das trifft aber nicht auf alle a_sexuellen Menschen zu – viele a_sexuelle Menschen verlieben sich in andere, ohne je sexuelle Anziehung für sie zu empfinden.

A_sexualität bedeutet auch nicht, dass eine Person keinen Sex hat. Viele a_sexuelle Menschen befriedigen sich selbst, oder haben Sex, z.B. weil sie ein Kind haben wollen, weil sie ihren Partner*innen nah sein wollen, oder weil sie es schön finden.

A_sexualität als Spektrum

Wie viele Dinge, die mit Sexualität und Geschlecht zu tun haben, ist A_sexualität ein Spektrum. Deshalb benutzen wir auch den Unterstrich („A_sexualität“). Das Spektrum reicht von Menschen, die überhaupt keine sexuelle Anziehung verspüren („asexuell“) bis hin zu Menschen, die grundsätzlich sexuelle Anziehung verspüren können („allosexuell“, manchmal auch „zedsexuell“). Allosexuelle Menschen können z.B. schwul oder heterosexuell sein.

Die Menschen, die auf diesem Spektrum liegen, nennen sich auch grey-asexuell oder grau-asexuell – das „grau“ steht für den Graubereich, also das Spektrum. Grey-asexuelle Menschen verspüren z.B. nur sehr selten oder nur unter bestimmten Umständen sexuelle Anziehung. Ein Beispiel für eine Identität auf diesem Spektrum ist Demisexualität. Hierbei verspürt eine Person erst dann sexuelle Anziehung gegenüber anderen, wenn bereits eine emotionale Bindung besteht, sie also z.B. mit dieser Person schon befreundet ist. Manche a_sexuellen Menschen finden Sex abstoßend (sex-repulsed). Manchen a_sexuellen Personen ist Sex schlicht egal (sex-indifferent), sie sind haben ggf. auch Sex  (Mardell 2016, S. 160-170).

Diskriminierung und Vorurteile

Es gibt viele Vorurteile gegenüber a_sexuellen Personen. Beispielsweise wird A_sexualität oft als Folge einer Missbrauchserfahrung, einer Hormonstörung, einer prüden Erziehung oder einer geistigen Behinderung bzw. psychischen Krankheit verstanden (vgl. Decker, 2014, S. 91-134). Im Gegensatz dazu wird Allosexualität als ‚natürlich‘ verstanden. Außerdem wird angenommen, dass alle Menschen sexuelle Wesen sind (Przybylo 2011, S. 446-448). Damit wird a_sexuellen Menschen ihr Status als Mensch aberkannt (vgl. Gressgård 2014, S.68, 73-76; MacInnis / Hodson 2012, 725-743). Dieses Verständnis von a_sexuellen Menschen als weniger menschlich kann emotionale, psychische, physische und sexualisierte Gewalt zur Folge haben, unter anderem in dem Versuch, a_sexuelle Menschen zu ‚heilen‘. Die Diskriminierungserfahrungen a_sexueller Personen ziehen sich durch die ganze Gesellschaft, genauso wie z.B. Sexismus oder Rassismus. Sie werden als unter anderem  ‚Allonormativität bezeichnet. A_sexualität ist in der Gesellschaft, in queerem Aktivismus und in den Gender und Queer Studies weitgehend unsichtbar  (vgl. Chu 2014).

Folgen der Diskriminierung

All dies führt dazu, dass a_sexuelle Menschen häufiger psychische Probleme haben, z.B. Selbsthass, Depressionen, Angst, geringes Selbstwertgefühl, Verlustängste oder selbstverletzendes Verhalten. Außerdem wird im Sexualkundeunterricht, in Aufklärungsbüchern und in den Medien nur sehr selten über A_sexualität gesprochen; deshalb brauchen viele a_sexuelle Menschen sehr lange, um zu verstehen, dass es normal und okay ist, keine sexuelle Anziehung zu spüren. Außerdem brauchen viele asexuelle Menschen sehr lange um Worte zu finden (wie „asexuell“), die sie selbst beschreiben.

A_sexualität in der Medizin und der Wissenschaft

Nicht-existente und wenig sexuelle Anziehung, und damit auch A_sexualität, wird häufig pathologisiert und medikalisiert, also als medizinisches Problem betrachtet, dass es zu ‚heilen‘ gilt. Das geht auf die Zeit des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Damals wurden unter dem Begriff ‚Frigidität‘ ausschließlich Frauen pathologisiert. Ab den 1960er Jahren wurde Frigidität als „Produkt eines männlichen Unverständnisses über weibliche Körper und deren Sexualität“ (Cryle & Moore, 2011, S.2, Übersetzung Annika) aufgearbeitet und teilweise entpathologisiert, d.h. nicht mehr als Krankheit definiert. Heute definiert die International Classification Of Diseases 10 (ICD), also die international gültige Liste aller Krankheiten unter der Kennziffer FS52.0: Lack or loss of sexual desire („Kein oder wenig sexuelle Anziehung“) erneut verschiedene Syndrome und Krankheiten, wie beispielsweise Female Sexual Dysfunction (FSD) („Weibliche Sexuelle Dysfunktion“) oder Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) („Verminderte sexuelle Anziehungsstörung“). HSDD kann nun bei Menschen aller Geschlechter diagnostiziert werden.

Fokus in der Forschung

Der medizinische Fokus liegt darauf, Menschen an die gesellschaftliche Normvorstellung von Sexualität anzupassen. Das soll unabhängig davon geschehen, ob ein Leidensdruck vorliegt, das heißt, ob die Person unter dem Fehlen sexueller Anziehung leidet und in ihrer Lebensqualität beschränkt ist. Außerdem ist es nicht wichtig, woher dieser Leidensdruck stammt (vgl. Jutel, 2010). Allerdings gibt es daneben auch Überlegungen, A_sexualität entweder als extreme Variante von Hyposexual Desire Disorder zu erklären oder abhängig vom Leidensdruck zu entscheiden, ob eine Behandlung sinnvoll und notwendig ist (vgl. Brotto, Yule & Gorzalka, 2014). Leidensdruck als Kategorie ist allerdings fragwürdig: Es ist kann sein, dass viele a_sexuelle Menschen nicht an ihrer A_sexualität leiden, sondern einfach nur deshalb, weil sie nicht wissen, was A_sexualität ist oder weil ihre A_sexualität in der Gesellschaft unsichtbar bleibt Zum Beispiel ist A_sexualität in der Sexualaufklärung unsichtbar, was dazu führt, dass a_sexuelle Personen unter ihrer sexuellen Orientierung leiden.

Einseitigkeit in der Forschung

In der naturwissenschaftlichen Forschung kommt A_sexualität ausschließlich im Zusammenhang mit sexuellen Störungen vor. In den Gender- und Queer Studies hingegen ist es kaum erforscht. Auch in wissenschaftlichen Arbeiten über sexuelle Orientierung und Heteronormativität wird sie oft nicht mitgedacht (Chu, 2014; Decker, 2014, 45-68). Auch in der queeren Community steht eine tiefergehende Auseinandersetzung mit A_sexualität noch aus. Dabei ermöglichen A_sexualität und a_sexueller Aktivismus eine erweiterte Perspektive auf Sexualität allgemein. Sexualität und Identitäten werden in der a_sexuellen Community unter anderem als fluide, selbstbestimmt und aushandelbar gesehen, wodurch ein größeres Vokabular für alle Menschen bereitgestellt wird (Milks, 2014, S. 100-101; Chu, 2014, S. 85-94).

Literaturverzeichnis / Wissenschaftliche Literatur 

Asexuality Archive (2012): Asexuality: A brief introduction. Zugriff am 04.03.2017. Verfügbar unter: http://www.asexualityarchive.com/wp-content/uploads/2012/05/AsexualityABriefIntroduction.pdf.

AVEN (2016): About AVEN. Zugriff am 02.03.2017. Verfügbar unter: http://asexuality.org/?q=about.html.

Brotto, Lori A. / Yule, Morag, A. / Gorzalka, Boris B. (2014). Asexuality: An extreme Variant of sexual desire disorder? International Society for Sexual Medicine, 12 (3), S.646-660.

Chu, Erica (2014). Radical Identity Politics. Asexuality and Contemporary Articulations of Identity. In Karli June Cerankowsi & Megan Milks (Hrsg.), Asexualities. Feminist and Queer Perspectives. New York: Routledge, S.79-99.

Cryle, Peter / Moore, Alison (2011). Frigidity. An intellectual history. New York: Palgrave Macmillan.

Decker, Julie Sondra (2014). The invisible orientation. An introduction to asexuality. New York: Skyhorse Publishing.

Gressgård, Randi (2014). Asexuality: from pathology to identity and beyond. In Mark Carrigan / Kristina Gupta & Todd G. Morrisson (Hrsg.), Asexuality and sexual normativity. An Anthology. New York: Routledge.

World Health Organization (WHO): International Classification of Diseases (ICD). Zugriff am 15.04.2017. Abrufbar unter: http://apps.who.int/classifications/icd10/browse/2016/en.

Jutel, Annemarie (2010). Framing disease: The example of female hyposexual desire disorder. Social Science & Medicine 70, S.1084-1090.

MacInnis, Cara C. / Hodson, Gordon (2012): Intergroup bias toward “Group X: Evidence of prejudice, dehumanization, avoidance, and discrimination against asexuals. In: Group processes and intergroup relations 15(6), S.725-743.

Mardell, Ashley (2016). The ABC’s of LGBT+. Mango Media.

Milks, Megan (2014). Stunted Growth. Asexual Politics and the Rhetoric of Sexual Liberation. In Karli June Cerankowsi & Megan Milks (Hrsg.), Asexualities. Feminist and Queer Perspectives. New York: Routledge, S. 100-118.

Milks, Megan / Cerankowski, Karli June (2014). Why Asexuality? Why now? In: dies. (Hrsg.), Asexualities. Feminist and Queer Perspectives. New York: Routledge, S. 1-15.

Przybylo, Ela (2011). Crisis and safety: The asexual in sexusociety. Sexualities. 14(4), S.444-461.

Bücher und Webseiten zum Thema A_sexualität

De Winter, Carmilla (2021): Das asexuelle Spektrum: Eine Erkundungstour. Marta Press.

www.asexuality.org – Das englischsprachige Asexuality Visibility And Education Network

www.aceweek.org – englische Seite der Asexual Awareness Week, die jedes Jahr stattfindet. Auf der Webseite finden sich viele tolle Ressourcen!

asexyqueer.blogsport.de/ – Deutschsprachiger Blog über A_sexualität

https://germanaroaces.tumblr.com/ – deutscher Blog für a_romantische und a_sexuelle Menschen

aktivista.net – Verein zur Sichtbarmachung von A_sexualität

asexualresearch.tumblr.com – englischsprachiger Blog über Forschung zu A_sexualität

Broschüre Einblicke in das Aspec

aspec-Treffen im deutschsprachigen Raum

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