Enby Q&A: 2

Jeden Mittwoch veröffentlichen wir hier eine Frage und Antwort (“Q&A”) zu Nicht-Binären (“Enby”) Geschlechtern. Unser_e Gastautor_in ist Sasha. Es ist nichtbinär, das bedeutet, dass es weder männlich noch weiblich ist. Zu diesem Thema erreichen es immer wieder Fragen, die wir hier mitsamt den Antworten veröffentlichen dürfen. Sasha betreibt außerdem die Webseite https://geschlechtsneutral.wordpress.com

Frage:
Kann jemand mit nichtbinärem Geschlecht trotzdem lesbisch oder schwul sein?

Die kurze Antwort ist: Ja, absolut.

Und hier kommt die lange Antwort.
Zunächst mal: Schon die Wörter „heterosexuell“ und „homosexuell“ (bzw. homo– und hetero-romantisch) stossen ja an ihre Grenzen, wenn sie sich nicht mehr auf ein System aus nur zwei Geschlechtern beziehen. Du kannst natürlich „hetero“ übersetzen als „bezieht sich auf Leute, die nicht das gleiche Geschlecht haben wie ich”, und „homo“ als „bezieht sich auf Leute, die das gleiche Geschlecht haben wie ich”. Dann könnte „bi“ bedeuten „sowohl Leute, die das gleiche Geschlecht haben wie ich, als auch Leute, die nicht das gleiche Geschlecht haben wie ich“ oder auch einfach „zwei bestimmte Geschlechter”.
Diese Definitionen funktionieren unabhängig davon wie viele Geschlechter es gibt.

Aber bei „lesbisch“ und „schwul“ ist es schwieriger, weil in diesen Wörtern meist eine Aussage über das eigene Geschlecht der Person drinsteckt.
Meist wird „schwul“ übersetzt als „männliche Person, die männliche Personen begehrt”, und „lesbisch“ als „weibliche Person, die weibliche Personen begehrt”.

Es gibt nichtbinäre Menschen, die sich zusätzlich als Mann oder Frau identifizieren. Für solche Leute sind die Begrife „schwul“ und „lesbisch“ wahrscheinlich einfach anwendbar.

Aber kann eine Person, die weder weiblich noch männlich ist, schwul oder lesbisch sein?

Ich finde: Ja. Denn im Grunde sind das keine „logischen“ Kategorien, sondern es sind Labels. Es gibt kein Gericht oder Naturgesetz, das entscheidet, ob eine Person lesbisch oder schwul ist. Sondern die Person merkt mit der Zeit, wer sie ist und welche Leute sie auf sexuelle und/oder romantische Art begehrt, sie spürt und fühlt Dinge, und dann sucht sie Wörter dafür, um diese Gefühle zu beschreiben.

Diese Wörter sind Labels, Schildchen quasi, die wir an uns dranhängen, um zu kommunizieren, wie wir funktionieren. Es ist einfacher, kurze Wörter dafür zu haben, als jedes Mal genau zu erklären, was wir eigentlich empfinden. Und diese Labels helfen uns, schneller Leute zu finden, denen es ähnlich geht wie uns; so können wir Erfahrungen austauschen, uns weniger alleine fühlen, uns zusammentun.

Aber Menschen sind komplex und kompliziert, und diese Labels sind sehr starr und simpel. Wir suchen uns die Labels aus, die am besten zu uns passen, aber sie passen selten perfekt und zu 100%, weil die Realität einfach bunter ist als ein paar Buchstaben.

Wenn also eine nichtbinäre Person von sich sagt „ich bin schwul“, dann kann das zum Beispiel die Kurzfassung sein für
– „als ich noch nicht wusste, dass ich NB bin, dachte ich, ich sei männlich, und ich fühle mich hauptsächlich von Männern angezogen. Schwul war jahrelang ein wichtiger Teil meiner Identität, deswegen benutze ich dieses Wort auch jetzt noch für mich.“
– „ich fühle mich der Schwulenszene sehr verbunden, deswegen trage ich dieses Label, weil ich mich damit am wohlsten fühle.“
– „wenn ich mit der Person ausgehe, mit der ich zusammen bin, dann halten uns die meisten Leute für zwei Jungs. Deswegen sage ich einfach, ich sei schwul, das verwirrt alle am wenigsten.“
– „ich bin NB mit maskuliner Tendenz, und ich fühle mich angezogen von Menschen, die sich maskulin präsentieren, egal welches Geschlecht sie haben.“
– „aktuell passt das Wort schwul von allen, die ich kenne, am besten. Aber vielleicht finde ich irgendwann ein besseres Label.“
– „ich bin in einer eingetragenen Partnerschaft und wir sind beide juristisch männlich, deswegen ist schwul für mich das richtige Wort.“
– „meistens bin ich mit Leuten zusammen, die sich selbst als schwule Männer bezeichnen.“
– …und viele andere mögliche Lebensrealitäten.

Wichtig ist: Es geht dabei um Selbstbezeichnung.
Die aufgezählten Beispiele sind mögliche Gründe dafür, dass jemand für sich selbst dieses Label benutzt. Es sind keine Gesetze. In jedem dieser Beispiele könnte die Person auch ein ganz anderes Label für sich benutzen. Die Beispiele dienen also nicht dazu, jemand anderem ungefragt ein Label aufzudrücken. Wenn du wissen möchtest, welche Labels eine Person für sich benutzt, dann frag sie am besten. Vielleicht möchte sie es dir erzählen.

Und noch was: Es kann sein, dass du nicht nachvollziehen kannst, warum eine Person ein bestimmtes Label für sich benutzt. Vielleicht weil das Label für dich selbst nicht ganz das gleiche bedeutet, oder weil du bisher nicht wusstest, dass sich das Label auch auf diese Art definieren lässt, oder vielleicht weil du ein anderes Label passender fändest. Oder vielleicht sogar, weil du findest dass sich nicht alle Menschen einfach so bezeichnen dürfen wie sie es für richtig halten, weil sonst alles durcheinander gerät und niemand mehr weiss was Sache ist.
Das ist okay.
Es ist nicht schlimm, dass du es nicht nachvollziehen kannst, schliesslich geht es hier nicht um dich.
Die allermeisten Leute haben sehr gute Gründe, warum sie ein bestimmtes Label für sich benutzen. Und ich finde es wichtig, diese individuellen Gründe und Entscheidungen zu respektieren.

Also, ja, nichtbinäre Personen können alles mögliche sein, auch schwul oder lesbisch 🙂