Kummerkastenantwort 69 – Warum ist Coming Out nötig?

Liebes Queer-Lexikon-Team, ich habe mir die Frage gestellt, warum man sich als LGBTQ+ Person überhaupt Outen muss. Sollte die Gesellschaft nicht schon so weit sein, dass man einfach lieben kann wie man will?
Ich verstehe nicht, warum man in der Öffentlichkeit seine Sexualität verkünden muss. Bei der Geschlechtsidentität ist das ja etwas anderes, da müssen es ja alle wissen. Aber ein Hetero-Mensch muss sich ja auch nicht outen, warum müssen das dann Homosexuelle?

Ich höre immer wieder Geschichten, das Leute zum Beispiel in der Schule gemobbt werden, weil sie sich als Lesbisch geoutet haben.
Das muss doch theoretisch nicht sein. Es müsste der Gesellschaft doch egal sein, ob du jetzt auf Männer oder Frauen oder was anderes stehst. Man ist ja einfach ein Mensch, genauso wie vor dem Outing.

Ich hoffe ihr könnt mir folgen, ich glaube mein Text ist etwas verwirrend. Trotzdem schonmal Danke für die Antwort
M.

Hallo M.,

Das ist eine gute Frage, mit der wir uns hier auch schon beschäftigt haben. Wir haben dazu auch schon eine Folge unseres Podcasts Buchstabensuppe gemacht, die du dir gerne anschauen kannst. Außerdem habe ich letzte Woche eine Quickies-Episode dazu gemacht.

Wie du schon schreibst, ist es eben noch nicht anerkannt, dass eine Person nicht heterosexuell ist – z.B. weil Menschen, wenn sie sich outen, gemobbt werden oder Gewalt erfahren. Die Frage ist nun – wie soll sich das jemals ändern, wenn nicht ganz viele Menschen sich outen und zeigen, dass es normal ist, nicht heterosexuell zu sein?

Außerdem schreibst du, dass heterosexuelle Menschen sich nicht outen – das stimmt zwar insofern, dass heterosexuelle Menschen nicht sagen “Du, ich muss dir was erzählen, ich bin übrigens hetero … ich hoffe, du akzeptierst mich trotzdem noch”. Dass eine Person heterosexuell ist erfahren wir aber doch meistens, z.B. weil sie von einem*einer andersgeschlechtlichen Partner*in erzählen (“Mein Mann und ich”, “Meine feste Freudin…”). In gewisser Weise ist das auch ein Coming Out und heterosexuelle Menschen outen sich so auch ständig in der Öffentlichkeit – nur dass sie keine Gewalt und Mobbing befürchten müssen.

Das Coming Out ermöglicht es auch, sich mit anderen nicht-heterosexuellen Menschen austauschen zu können. Wenn niemand anderes erzählt, dass er*sie bisexuell ist, ist es auch nicht möglich, gemeinsam über Diskriminierungserfahrungen zu sprechen und die Welt für bisexuelle Menschen besser zu machen. Es geht also auch darum, dass nicht-heterosexuelle Orientierungen nur so Sichtbarkeit bekommen können.

Und ein letzer Punkt: Es ist nichts Schlimmes, nicht heterosexuell zu sein. Es ist nicht eklig, nicht ansteckend, nicht böse, nicht verboten, nicht schädlich – und deswegen kann x auch einfach stolz und fröhlich sein, nicht heterosexuell zu sein.

Ich hoffe, das war eine verständliche Erklärung. Wichtig ist: Wenn eine Person sich nicht outen möchte, ist das auch total in Ordnung.

Liebe Grüße,

Annika