Kummerkasten Antwort 11
Hallo an euch alle,
Bin ich froh, dass mein bester Freund mir gestanden hat, in mich verliebt zu sein, ansonsten wäre ich nicht in dieser bewussten emotional-verwirrenden performativen Konfrontation damit, dass ich mich blindlings immer als monogam verstanden habe, jetzt aber durch verliebte Gefühle in mir, zu besagtem Freund, das ganze in Frage zu stellen beginne.
Ich lerne in den letzen Monaten mehr über das Lieben, Begehren, Gender, sexuelle und amouröse Lebensformen, als das bis hierhin der Fall war (peinlich, peinlich) und dafür bin ich sehr dankbar.
Auch zu merken, wie engagiert Menschen darüber sprechen, welche Plattformen sie dafür bereitstellen, wie viel Hilfe angeboten wird in solchen Fragen, das macht Hoffnung! In diesem Sinne auch danke euch für diese Seite!!!
Nun nochmal zu meiner Lage: Ich bin “glücklich vergeben”, wie man das nennt, und mein “bester” Freund, wie man das nennt, sagt mir, dass er romantische Gefühle für mich hat.
Ich habe meinem Partner, mit dem ich eine ganz wunderbare Beziehung lebe, als ich mein Verliebtsein in meinen Freund gespürt habe, davon erzählt, was in mir vor sich geht und was ich an mir bemerke. Er war zuerst irritiert und gekränkt. Und er hatte große Angst, mich zu verlieren, bzw. dass unsere Beziehung bald beendet würde. In einem einfühlsamen Gespräch haben wir miteinander klären können, dass unsere Beziehung dadurch keine Abwertung erfahren soll, dass meine Gefühle für meinen Freund nichts an meinen Gefühlen für ihn ändern, oder daran, dass ich mit ihm gerne mein Leben verbringen möchte.
Meinem Freund habe ich auch gesagt, dass ich “mehr für ihn empfinde” als Freundschaft. Der Freund verbucht das alles unter “unglückliche Liebe” zwischen zwei vom Schicksal uncool erwischten Idioten, glaube ich. Vielleicht hofft er auch, dass wir eines Tages, sollten mein Partner und ich uns trennen, zusammenkommen. Weiter als bis zu diesem “Mehr als Freundschaft” bin ich (noch) nicht gekommen. Ich bemerke da eine große Hemmung bei mir. Ich weiß, um die Empathie meines Partners und auch um seinen Wunsch mich mit meinen Bedürfnissen anzunehmen und mir zu ermöglichen nach ihnen zu leben. (Ich habe sowohl das Bedürfnis unsere Beziehung zu respektieren als auch das Bedürfnis meinem Freund näher zu kommen) Ich möchte meinen Partner aber auf keinen Fall damit unter Druck setzen, oder drängen. Ich möchte gerne transparent dabei bleiben, wie es in mir aussieht, aber ihn damit nicht verstören; denn ich kann mir (und das tue ich wirklich) vorstellen, dass da ziemlich viele unangenehme Gefühle und Gedanken getriggert werden, in dieser Situation…einfach schon wegen der mononormativen Gesellschaftsstruktur, die uns umgibt und die wir so verinnerlicht haben.
Meinem Freund gegenüber habe ich mich, bis auf das besagte schüchterne Geständnis, noch nicht so weit offenbart wie meinem Partner. Glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass er sich vorstellen könnte in einer polyamoren Beziehung zu leben. Viel Stress also um nichts?! Nein, irgendwie ist es nicht so leicht…
Ich will beiden gegenüber ehrlich sein und mir selbst gegenüber ehrlich sein.
Wo das hinführt weiß ich nicht genau und das besorgt mich…auch deshalb, weil da nunmal nicht nur ich alleine drin hänge…Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich ahne, dass es darauf hinauslaufen könnte, dass alles versandet und ich nicht die Kraft habe weiter zu meinen Gefühlen, meinem Begehren und meiner Fantasie zu stehen und mich in die mononormative Struktur zurückziehe, weil es strukturell das Leichteste wäre…weil es “keine Probleme” machte,…weil ich dann nicht riskiere Ablehnung zu erfahren.
Und damit habe ich vor allem erst mal mit mir selbst zu tun. Das will ich teilen, weil ich mich frage, wie eure Erfahrungen damit sind…?
Ich will hier was zu meinen inneren Urteilen aufschreiben, oder zu dem Film, den ich schiebe.
Zum Beispiel:
-Du bist total egoistisch. Es ist selbstsüchtig zwei Menschen in deine=
plötzliche Polyamorie-Idee einzuweihen/ zu verwickeln. Ob du willst oder nicht, das tut jetzt schon allen Beteiligten weh. Und es ist auch klar, dass du bei aller transparenten Kommunikation Druck ausübst, ob du willst oder nicht. Das Vertrauen ist gestört, ob du willst oder nicht. Dem einen machst du Druck, dem anderen Hoffnungen, dir selber was vor.-Wahre Liebe sollte ausschließlich einer Person gegenüber gelebt werden, also liebst du wohl nicht richtig.
Hast du je richtig geliebt?
-Du musst sicher unglücklich in deiner Beziehung sein, sonst käme es dazu nicht.
Ist das nur der Versuch Problemen in deiner Partnerschaft aus dem Weg zu gehen?!
-Bist du denn wirklich, wirklich verliebt in deinen Freund?? Und willst du wirklich wirklich für so ein wenig verliebte Gefühle eine langjährige, großartige Beziehung aufs Spiel setzen? (Gefahr durch die gängige Struktur etwas abzuwerten, herunterzuspielen, das ich fühle: sozusagen es im Keim zu ersticken…dabei war ich glaube ich schon vorher verknallt in den Freund, hätte es nur nie so genannt…und jetzt kommen eben sexuelle Fantasien dazu)
-Du bist größenwahnsinnig; eine Person reicht dir wohl nicht: geht es bei wahrer Liebe aber nicht eigentlich darum, dass man durch das Versprechen für die eine Person die größte Intimität erfährt? Und durch den Verzicht, die größte Intensität erfährt? Dass man dabei am meisten über sich selbst lernt, auch im Bezug auf Bedingungslosigkeit? (Du bewegst dich doch nur weiter auf den narzisstischen Individualismushype zu)
-Da zeigt sich einfach mal wieder dein Hang zu nichts “Nein” sagen zu können…wie kann es denn sein, dass du erst merkst, dass du verliebt bist, wenn dir der Freund sagt, dass er für dich so empfindet?
-Sagst du jetzt zu allen “Ja”, die dich begehren?!? (Slut-shaming)
Ich habe mich in den letzten Monaten dazu entschieden mich polyamourös zu verstehen, weil ich ja gemerkt habe, dass es möglich ist, dass ich tiefere Gefühle für mehr als eine Person haben kann und diese Freiheit möchte ich auch den Personen zugestehen, die mit mir in einer Beziehung sind/ wären..
Jetzt habe ich das Chaos kennengelernt, das entsteht zwischen Norm und Lebensrealitäten, die dem nicht entsprechen. Egal wie es weitergeht, ich bin davon getroffen und will mehr darüber wissen.
Kann aus einer monogamen Beziehung wirklich eine polyamouröse Beziehung werden? Was braucht es dafür?
Wie sind eure Erfahrungen mit dem Versuch emanzipatorischer Performanz in mononormativen Strukturen?
Wie werde ich die mononormativen Stimmen in meinem Kopf los, die mich “natürlich” hindern, zu fühlen, was ich fühle, oder zu leben, was ich mir tendenziell verbiete??
Würde mich über Erfahrungsberichte freuen, bzw. kennt ihr gute Bücher, die vielleicht für mich interessant sein könnten?
Viele liebe Grüße,
Reza
Hallo Reza,
Erstmal: Vielen Dank für das Lob für unsere Seite!
Deine Situation klingt ziemlich verzwickt und ich kann die Gefühle, die du deswegen hast (Stimmt etwas mit mir nicht? Bin ich zu egoistisch?) gut nachvollziehen. Für deine konkrete Situation habe ich leider keine Tipps auf Lager, außer, dass es wichtig ist, mit dem Menschen, mit dem du bereits in einer Beziehung bist, offen und ehrlich umzugehen und ihm Zeit zu geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
Empfehlen kann ich dir, dir eine Poly-Gruppe zu suchen. Unter https://polyamory.de/ findest du eine lange Liste mit Stammtischen und Gruppen. Dort kannst du sicher Menschen finden, mit denen du dich regelmäßig austauschen kannst.
Als Buch zum Thema empfehle ich gerne “Schlampen mit Moral” von Dossie Easton und Janet Hardy. Dort findest du viele Tipps zum Umgang mit Eifersucht und schwierigen Beziehungssituationen in Bezug auf Polyamoury.
Ich wünsche dir alles Gute!
Annika