Kummerkasten Antwort 55: Meine Familie ist homofeindlich

Hey, also ich hab da ein klitzekleines Problem. Und zwar: Meine Familie macht, ohne es allzu böse zu meinen vermutlich, homophobe Kommentare. Gestern erst hatten wir beim Essen eine Unterhaltung, da erklärt meine kleine Schwester: „Der eine schwule Lehrer an unserer Schule kommt ja mit Damenhandtasche und schwingt beim Gehen die Hüften“ und ich meinte, dass das nichts zu tun hat mit seiner Sexualität. Da meinte sie nur (und das gefühlt in fünf – zehn Minuten dreihundert Mal): „Es muss nicht daran liegen, dass er schwul ist. Aber vllt ja doch, weil er eine andere Charakterhaltung hat.“ Nachdem wir etwas darüber gestritten haben, und ich ihr erklären wollte, dass das so nicht funktioniert, sondern alte Klischees und Vorurteile sind und auch heterosexuelle Männer sich so verhalten können. (Irgendwann sagte meine Mutter auch: „Nicht alle schwulen Männer verhalten sich so, aber alle Männer, die sich so verhalten, sind schwul“) Plötzlich meinte meine Mutter dann: „Vllt verhält er sich auch so, weil er den weiblichen Part in der Beziehung einnimmt.“ Ich weiß nicht, inwieweit diese Kommentare witzig gemeint sind und inwieweit nicht. Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, denn es macht mich so wütend, aber ich komme mir auch dämlich vor dabei.
(Oh, und immer wenn ich etwas dahingehend sage erzählt meine Mutter von dem einen schwulen ehemaligen Kollegen meines Vaters, bei dem man schon zehn Meter entfernt sah, dass er schwul war- denn er hatte eine hohe Stimme und er guckte nicht Fußball, sondern tauschte mit meiner Mutter Rezepte aus.)
„Das wird so glorifiziert, heutzutage muss man sich fast schon schämen, nicht schwul zu sein.“ „Warum shipst du dauernd zwei Männer oder zwei Frauen, warum muss alles LGBT sein heutzutage?“ Solche Aussagen sind für mich besonders schlimm, weil ich dann denke: Vllt bin ich gar nicht lesbisch, sondern spiele mich nur auf? (Ok, das denke ich manchmal auch, weil ich ebenfalls biästhetisch bin und bevor ich anfing meine Sexualität zu hinterfragen in jeden Jungen, der mich auch nur anlächelte oder nicht mal das unsterblich verliebt war, aber trotzdem) Ich weiß nicht, was ich tun soll oder wie ich damit umgehen soll.
Und auch in meiner Klasse bemerke ich das immer wieder. Neulich erst sagte jemand etwas von wegen: „Die LGBT-Community ist immer so aufgeschlossen, aber wenn man ihnen mal sagt wie scheiße sie sind, sind sie plötzlich nicht mehr nett“ oder so. Und in Religion erzählte uns unsere Lehrerin, dass heterosexuelle Beziehung richtig sind, weil jeder Mann seine Eva und jede Frau ihren Adam sucht. Mir hat auch ein Junge erklärt, dass er Schwule nicht mag, weil er häufiger von denen angebaggert werde. Mit sechzehn. Klar.

Ich bin ihnen auch zu feministisch drauf- „Warum müssen überall plötzlich in Remakes oder so Frauen auftauchen?“ „Dr Who ist jetzt auch nur eine Frau weil das Mainstream ist…“

Ich hoffe, ihr habt eine Idee, was ich tun könnte.

I

Hallo I,

Ich kenne deine Situation leider nur zu gut – mir passiert das auch immer wieder. Solche Kommentare und Vorurteile sind nervig und ermüdend.

Es gibt leider auch keinen perfekten Weg, damit umzugehen… Ich versuche meistens entweder, einen solchen Kommentar zu hinterfragen oder Gegenbeispiele zu finden, wie z.B. Thomas Hitzlsperger, der ja eben nicht mit Handtasche herumrennt – und zu fragen, ob er dann nicht schwul ist? Oder ich versuche, einen emotionalen Zugang zu finden und zu erklären, wieso eine Person sich davon vielleicht angegriffen fühlen könnte bzw. was solche Vorurteile mit einer Person machen können.

Vielleicht kannst du auch mit deiner Familie das Gespräch suchen und erklären, dass dich solche Kommentare verletzen. Teil der queeren Community zu sein scheint für dich sehr wichtig zu sein, ein großer Teil deines Lebens. Und das ist in Ordnung. Letztendlich kämpfen wir ja auch dafür, dass eine Person so queer sein kann, wie sie möchte ohne sich auf ein für Heterosexuelle “akzeptables Level” zu begeben.

Und zu letzt: Eine Gruppe von Menschen um dich zu haben, die nicht homofeindlich ist oder antifeministisch hilft enorm. Vielleicht gibt es ja eine queere oder feministische Jugendgruppe in deiner Nähe oder eine Facebook- oder Whatsapp-Gruppe, in der du dich mit anderen austauschen kannst?

Liebe Grüße und viel Durchhaltevermögen!

Annika