Kummerkastenantwort 260: Ich bin keine “sie”, aber kleide mich gern feminin – Hilfe?

Moin!
Ich habe grade ein kleines Problem mit meinem Gender. Ich habe lange Zeit gedacht, dass ich cisgender bin, fand es aber zunehmend unangenehmer mit meinem Namen oder den Pronomen “sie” angesprochen zu werden. Ich bin prinzipiell eher feminin und möchte auch weiblich wirken, sosehr dass ich zeitweise sogar ein Problem damit habe, zu weite Kleidung zu tragen. Auf der anderen Seite empfinde ich es am angenehmsten ohne das Wort “Mädchen” oder ohne irgendein Pronomen bezeichnet zu werden. Ich würde sagen, ich befinde ich in einer genderlosen Blase mit femininer Ausstrahlung und ich habe echt keine Ahnung wo ich überhabt anfangen soll nach meinem Gender zu suchen. Agender kann es nicht sein, wenn es mir nicht egal ist und ich nach wie vor feminin sein will, oder? Es wäre echt lieb, wenn ich eine ungefähre Richtung kriegen könnte, in der ich suchen kann. Bitte?

Moin zurück! 🙂

Deine Verwirrung ist verständlich, weil uns oft eingeredet wird, dass ein bestimmtes Verhalten, Aussehen, eine bestimmte Art Kleidung oder Haare uns sagen können, ob eine Person männlich oder weiblich ist. Das stimmt aber oft nicht.

Vielleicht hilft dir das: Wir unterscheiden manchmal zwischen dem Geschlecht einer Person und Geschlechtspräsentation. Geschlechtspräsentation ist alles, was wir nach außen tragen und was andere Menschen benutzen, um uns in ein bestimmtes Geschlecht zuzuordnen, z.B. Kleidung, Haare, Makeup, Verhalten oder die Art, wie wir unseren Körper bewegen. Viele Menschen benutzen ihre Geschlechtspräsentation, um damit ihr Geschlecht nach außen zu zeigen; also tragen Männer z.B. Bärte, Hemden und kurze Haare, Frauen lange Haare, Makeup und Kleider. Aber das Geschlecht einer Person stimmt nicht immer mit der Geschlechtspräsentation überein. Viele Frauen tragen kurze Haare und fühlen sich in einem Anzug wohler als in einem Kleid. Manche Männer tragen Nagellack  oder Makeup, weil es ihnen Spaß macht. Inzwischen gibt es sehr viel mehr Spielraum für Geschlechtspräsentationen – so können z.B. Männer wie Billy Porter ein Abendkleid auf dem roten Teppich tragen, oder Frauen wie Cameron Esposito und Hannah Gadsby sich maskulin kleiden und geben, z.B. in Anzügen und mit kurzen Haaren. Das Geschlecht dieser Personen ändert sich aber nicht, egal, wie sie sich nach außen hin präsentieren.

So könnte es ja bei dir auch sein, oder? Dein Geschlecht ist das, was in dir drin ist – manche würden vielleicht sagen, “wie du dich fühlst”, auch wenn das nicht ganz stimmt, denn Geschlecht ist ja nicht nur irgendein Gefühl. Wie du dich nach außen hin präsentierst, muss nichts damit zu tun haben. Es kann also durchaus sein, dass deine Präsentation nach außen eine feminine ist, und du innerlich trotzdem vielleicht agender oder nichtbinär bist. Agender sein bedeutet nur, keine Geschlechtsidentität bzw. kein Geschlecht zu haben – aber wir haben ja trotzdem alle einen Körper, auch agender Menschen, und diesen Körper können wir gestalten, wie wir wollen. Es gibt keine bestimmten Regeln, wie eine Person aussehen oder sich kleiden muss, die agender ist. Das darfst du ganz allein bestimmen.

Und egal, wie du aussiehst, du verdienst es auf jeden Fall, so angesprochen zu werden, wie du dich wohl fühlst! Wenn dir keine Pronomen und keine weiblich gegenderten Bezeichnungen wie “Mädchen” lieber sind, dann darfst du darauf bestehen, dass Leute dich nicht so ansprechen, egal, wie du aussiehst.

Ich wünsche dir alles Gute auf deinem weiteren Weg!
Liebe Grüße,

Balthazar

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