Gays in Space – oder: Warum Star Trek Discovery trotz allem eine meiner Lieblingsserien ist

Funny hat viele Obsessionen, und eine der größten – vor allem jetzt, wo gerade die dritte Staffel von Star Trek Discovery läuft – ist wohl Star Trek. Da diese Blog-Extravaganza die perfekte Gelegenheit ist, mal über das zu schreiben, was uns sonst noch so beschäftigt, hat Funny beschlossen, ein paar Gedanken über Star Trek aufzuschreiben.

Da Funny ziemlich viel zu dem Thema einfiel, ist das hier Teil 1 von zwei Blogposts. Der zweite Teil, in dem es hauptsächlich um die älteren Serien und Slash-Fanfiction geht, kommt in absehbarer Zukunft.

In diesem Post geht es um Star Trek Discovery. Ich spreche also eine fette Spoilerwarnung für alle bisherigen Staffeln von Star Trek Discovery aus.

Es ist kein Wunder, dass so viele queere Menschen Star Trek Discovery lieben. Immerhin gibt es mittlerweile, in Staffel 3, fünf kanonisch[1] queere Chraktere: Zwei schwule Männer, eine Butch-Lesbe, einen trans Mann und eine nichtbinäre trans Person, die they/them bzw. dey/dem Pronomen verwendet[2]. Das ist für eine Serie, in der es nicht primär um queere Themen geht, leider immer noch ziemlich revolutionär und selten.

Es ist eigentlich traurig, dass es im Jahr 2017 so eine große Geste war, dass zwei männliche Hauptcharaktere, Lieutenant Stamets und Dr Culber, miteinander verheiratet sind. Aber die Art der Darstellung ist einfach wundervoll. Immerhin ist es in Star Trek Discovery gleichzeitig möglich, dass Charaktere ihre Sexualität benennen, sich also z.B. als schwul bezeichnen und das als Teil ihrer Identität angeben, und es gleichzeitig schlichtweg keine Homofeindlichkeit gibt – egal von wem. Oft kommt Homo- oder Transfeindlichkeit ja zur Not von den Bösewichten (um sie z.B. als noch böser darzustellen). Star Trek Discovery zeigt, dass das nicht notwendig ist. Die Charaktere haben alle möglichen Probleme, Queerfeindlichkeit ist aber nie eins davon.

Und auch wer in diese Rollen gecastet wurde, ist großartig. Natürlich muss nicht jede Person, die eine queere Person spielt, auch selber als queer geoutet sein, zumindest meiner Meinung nach. Immerhin gibt es viele Leute, die beispielsweise noch nicht out sind oder sich noch nicht sicher sind und trotzdem gerne queere Personen spielen würden. Aber es ist trotzdem jedes Mal wundervoll zu sehen, wenn queere Menschen in queere Rollen gecastet werden. Umso mehr, wenn es sich um Menschen wie Anthony Rapp, der schon seit Jahrzehnten queer geoutet ist und dennoch eine Broadway-Karriere hingelegt hat, und Wilson Cruz, der seit Jahrzehnten aktivistisch vor allem für queere Jugendliche of Color tätig ist (und als afro-puerto-ricanischer, offen schwuler, Schauspieler/Broadway-Sänger Karriere gemacht hat), handelt.

In Staffel 2 kam Jett Reno zum Cast dazu, und sie ist ein schlichtweg großartiger Charakter. Sie ist eine Ingenieurin mit extrem großer Klappe, keinerlei Respekt, und sie ist die ultimative Butch-Lesbe. Nicht nur wird sie von Tig Notaro, einer Komikerin, die mit einer Frau verheiratet ist, gespielt – sie passt sich auch nicht an die üblichen Schönheitsstandards für Schauspielerinnen, auch diejenigen, die queere Charaktere spielen, an (auch wenn ich persönlich sie ziemlich heiß finde, aber queere Ästhetik ist nun mal oft ein bisschen anders). Nein, sie ist eine ältere Butch-Lesbe, die nicht dem gerecht wird, was ein cis hetero männliches Publikum erwarten würde. Sie ist grantig, hat einen staubtrockenen Humor, hat keinerlei Respekt vor Autorität, und sie ist einfach unverfroren butchig, und das macht sie wundervoll und ziemlich einmalig.

Trans Charaktere?!? Die von trans Menschen gespielt werden?!?!?

Und dann kommen wir zu Staffel 3, in der Star Trek Discovery noch mal gründlich nachgelegt hat bei queerer Repräsentation. Gleich zwei trans Charaktere kamen dazu: Zum einen Gray, der von Ian Alexander, einer transmaskulinen nichtbinären Person, gespielt wird. Zum anderen Adira, dey von Blu del Barrio, ebenfalls einer nichtbinären Person, gespielt wird.

Das ist leider auch revolutionär. Ich bin mir sicher, dass ich nicht die einzige Person war, die diese Neuigkeiten vor ein paar Monaten gesehen hat und vor Freude ausgerastet ist. Denn es ist immer noch extrem selten, dass trans Menschen auch tatsächlich von trans Schauspieler*innen gespielt werden.

Im Fall von trans Charakteren ist es häufig ziemlich problematisch, wenn sie von cis Menschen gespielt werden. Denn cis Menschen können ohne Probleme in cis Rollen gecastet werden, aber für trans Menschen ist das oft schwer, in diese Rollen gecastet zu werden. Deshalb sollten die trans Rollen, die es gibt, am besten auch mit trans Menschen besetzt werden. Umso mehr, da die Art, wie cis Personen in trans Rollen dargestellt wird, häufig nicht dem entspricht, wie trans Menschen tatsächlich aussehen und sind, sondern eher den Erwartungen von cis Menschen.

Grays Story ist alles andere als perfekt (und darauf komme ich im nächsten Kapitel zurück), aber seine Darstellung ist großartig. Er ist ein trans Mann der nicht perfekt passt (wenn trans Menschen in trans Rollen gecastet werden, dann häufig wiederum nur die, die perfekt passen), aber er wird nie von irgendjemandem in seiner Männlichkeit angezweifelt. Er sieht außerdem absolut queer aus, mit seinem knallblauen Sidecut, seiner Lederjacke, und seinem riesigen Selbstbewusstsein.

Adira ist der bisher einzige Charakter, der ein Coming-Out in dieser Serie hatte, und ich denke, dass dieses Coming-Out on-screen sehr wichtig war. Bis zu diesem Zeitpunkt werden she/her bzw. sie/ihr Pronomen verwendet. Es wäre sicher auch cool gewesen, einfach einen nichtbinären Charakter zu haben, der von Anfang an dey/dem bzw. they/them Pronomen verwendet.

Aber andererseits hätten wir dann nicht dieses perfekte Beispiel dafür, wie eins auf ein nichtbinäres Coming-out reagiert. Denn Lieutenant Stamets und der Rest der Discovery-Crew zeigen den Zuschauer*innen, wie eins am besten mit so etwas umgeht. Als Adira Stamets zum ersten Mal korrigiert und ihm davon erzählt, lächelt er einfach, und sagt „ok“. Von da an verwendet jede einzelne Person selbstverständlich dey/dem Pronomen für Adira, ohne dass irgendjemand jemals noch einmal ein Wort darüber verliert.

Bury your Gays – und lass sie wieder auferstehen

Aber leider ist auch die queere Repräsentation in Discovery nicht frei von Problemen. Von den fünf queeren Charakteren sterben zwei on-screen – und das ist problematisch, und als „Bury your Gays“-Tropus[3] bekannt.

„Bury your Gays“ ist ein Tropus, der auf der Feststellung beruht, dass queere Charaktere im Verhältnis sehr viel häufiger tragisch sterben als cis/hetero Charaktere. Queere Charaktere bekommen leider selten ein Happyend, sondern sie müssen sich z.B. für das Glück oder die Entwicklung von cis/hetero Charakteren opfern. Häufig sterben sie sogar noch schlichtweg unnötigerweise, weil sie als am ehesten verzichtbar gelten.

Und leider tappt Discovery in diese Falle. In Staffel 1 gibt es nämlich die schwer erträgliche Szene, in der Ash Tyler, das männliche Love-Interest des weiblichen Hauptcharakters Michael, Dr Culber ohne Vorwarnung das Genick bricht.

Und ja, es tut immer weh, wenn Hauptcharaktere sterben, vor allem wenn sie so sterben, ohne Vorwarnung, ohne die Möglichkeit auf einen heroischen Tod. Aber in diesem Fall tut es besonders weh, und nicht nur, weil jede Sekunde, die Wilson Cruz auf einer Leinwand zu sehen ist, ein Geschenk ist. Sondern es ist die Art und Weise, wie es geschieht, und vor allem der Grund, weshalb.

Denn dieser Mord ist zunächst dafür da, die Charakterentwicklung von Michaels männlichem Love Interest voranzutreiben, und ihre Beziehung dramatischer zu machen. Und dass für diese eher austauschbare Gräueltat ausgerechnet einer der beiden schwulen Männer, die das einzige andere Paar in dieser Staffel bilden, sterben muss, ist ziemlich problematisch. Zugegebenermaßen ist es erzählerisch eine sehr dramatische Entscheidung, die zu großartigen Interaktionen zwischen allen involvierten Charakteren und zu sehr spannenden individuellen Charakterentwicklungen führt. Entsprechend ist es schwierig, das komplett abzulehnen, denn in Star Trek gehören Leiden und Sterben von Hauptcharakteren auch traditionell dazu.

Glücklicherweise kehrt Star Trek Discovery diesen Tropus in Staffel 2 um. Letztlich war Culber nie wirklich tot, bzw. hat in anderer Form weitergelebt und kann zurückgeholt werden. Die Liebesgeschichte zwischen Stamets und Culber stellt sich nicht nur als dramatisch, sondern auch als wunderschön und romantisch heraus, denn letztlich ist es Stamets Liebe, die Hugh die Chance gibt, wieder zurückzukommen. Und deshalb ist es für mich auch möglich, Star Trek Discovery zu verzeihen, dass sie diesen schwulen Charakter begraben haben, denn es war nur vorübergehend.

Bei Gray ist es (bisher) leider anders, denn Gray ist immer nur als Geist oder im Rückblick zu sehen. Er ist der erste kanonisch trans männliche Charakter in Star Trek und stirbt innerhalb von Minuten nach seinem ersten Erscheinen on-screen. Das ist definitiv eine problematische Entscheidung. Andererseits ist die Parallele von Adiras und Grays Beziehung zu Stamets und Culbers Beziehung interessant, und ich bin gespannt, wo das Ganze noch hinführen wird. Immerhin ist der Schauspieler auch für Staffel 4 im Hauptcast aufgeführt.

Bisher haben wir von Discovery gelernt, dass begrabene queere Charaktere das nicht unbedingt bleiben müssen. Und trotz allem freue ich mich sehr, dass die Entscheidung getroffen wurde, dass Gray kanonisch trans ist, denn wir brauchen mehr queere Repräsentation.

Queere Community auf der Discovery

Aber nun zurück zum Positiven. Denn eins, worin Discovery extrem gut ist, ist, realistisch queeres Community Building[4] darzustellen. Wir alle haben vermutlich die Erfahrung gemacht, dass queere Menschen oft andere queere Menschen anziehen – nicht nur romantisch oder sexuell, sondern vor allem auch als Freund*innen. Die Erfahrung, dass in einem Freundeskreis, wenn einmal eine Person ein Coming-Out hat, viele nachziehen. Oder die Erfahrung, dass eins eine Weile in der queeren Community aktiv ist und feststellt, dass eins kaum noch cis/hetero Freund*innen hat. Bewusst oder unbewusst, queere Menschen umgeben sich häufig mit anderen queeren Menschen.

Der Found-Family-Tropus stand in Star Trek schon jeher, seit den ersten Episoden in den 60er Jahren, im Vordergrund. Found Family ist nicht nur ein wunderschöner Tropus, sondern für viele queere Menschen auch Realität. Sei es, weil die biologische Familie die queere Person nicht akzeptiert, oder weil die queere Person mit dem Standard-Konzept einer Kernfamilie nicht klarkommt und sich schlichtweg andere Formen von Familienleben, die mehr auf Freundschaft beruhen, sucht. Und Discovery schafft es, nicht nur Found Family darzustellen, sondern auch realistisches Community Building zwischen den queeren Charakteren.

In der zweiten Staffel, als Hugh Culber darüber nachdenkt, seine Beziehung mit Stamets zu beenden, reden Culber und Jett Reno in Renos vielleicht einzigem weichem Moment über ihre Partner*innen. Jett Reno erzählt ihm davon, dass ihre Frau im klingonischen Krieg gestorben ist (leider ebenfalls ein toter queerer Charakter, allerdings ist es auch ein spezifischer Star Trek Tropus, eine*n Partner*in zu haben, der*die in der letzten größeren Schlacht gestorben ist). Sie gibt Hugh den Rat, es mit Stamets noch einmal zu versuchen, da sie keine zweite Chance hatte. Es ist dieser Akt von lesbisch-schwuler Solidarität, der die Beziehung letztlich rettet.

Vielleicht hätte die Szene genauso gut funktioniert, wenn es eine Person gewesen wäre, die über eine hetero-Beziehung spricht. Aber die Tatsache, dass sie beide über ihre homosexuellen Ehen reden, gibt dem Ganzen noch einmal eine zusätzliche Ebene von Nähe und gegenseitigem Verständnis, und gibt der Szene deshalb eine besondere Tiefe.

Und dann ist da Adira, der geniale Teenager, dey sofort von Stamets “adoptiert” wird. Von dem Moment an, als Adira zum ersten Mal auftritt, ist verhält sich Stamets wie deren Vater. Nach einigen einigen Episoden wird es ziemlich klar, dass auch Hugh sich in dieser Rolle sieht. Ihre kleine queere gefundene Familie ist ziemlich niedlich, aber auch ziemlich realitätsnah. Denn wer kennt es nicht, dass Menschen, die schon länger Teil der queeren Community sind, Baby-Gays[5] „adoptieren“?

Alles daran, wie die queere (ein wenig dysfunktionale aber liebevolle) Familie aus Stamets, Reno, Adira und Culber funktioniert, ist eine perfekte Darstellung von queerer Solidarität und Community Building. Niemand hinterfragt die Identität der anderen Personen, sie nehmen sich gegenseitig mit all ihren Eigenheiten an, und sie beschützen das jüngste Mitglied ihrer queeren Gruppe leidenschaftlich. Sie haben kein Problem damit, füreinander einzutreten und miteinander sehr viel weicher und offener (oder auch sarkastischer und unverschämter) zu sein als mit anderen Mitgliedern der Crew.

Star Trek Discovery – Akzeptanz der queeren Star-Trek-Utopie

In meinem zukünftigen Artikel über die alten Serien und Slash-Fanfiction werde ich noch mal genauer aufzeigen, dass sich die queere Community schon immer Star Trek angeeignet hat. Immerhin war Star Trek schon immer voller queerer Utopien, ob sie nun kanonisch waren oder nur als Potenzial vorhanden. Während die queeren Trekkies früher von den Schreiber*innen der Serien ignoriert wurden, und queer gecodete[6] Charaktere durch heterosexuelle Love Interests auf Linie gebracht wurden, erkennt Star Trek Discovery endlich die riesige queere Trekkie-Community an.

Für uns queere Trekkies, die diesen Serien so lange treu waren, auch wenn sie uns ignoriert haben, war es einfach ein unbeschreibliches Geschenk, endlich gesehen zu werden. Und nicht nur als Teil der Community anerkannt zu werden, sondern sichtbar zu sein. Nicht nur als queerer Token-Charakter[7], sondern mit Facetten. Mit Problemen, die nicht daher stammen, dass die Charaktere queer sind. In den queeren Identitäten wahr- und angenommen, aber ohne dazugehörige Homo- und Transfeindlichkeit.

Star Trek Discovery hat einige großartige Entscheidungen getroffen, was die Diversität des Casts angeht. Eins der höchsten Ideale von Star Fleet war stets Diversität. Auch in den alten Serien wurde das, teils mehr, teils weniger erfolgreich, versucht umzusetzen. Star Trek Discovery geht einen Schritt weiter, einen Schritt der, meiner Meinung nach, in diesem Jahrzehnt absolut zeitgemäß, aber dennoch mutig, ist.

Und deshalb liebe ich Star Trek Discovery, denn egal wie viel Gegenwind sie bekommen, sie passen sich nicht an die Erwartungen eines weißen, cis-heteronormativen Publikums an. Eine Serie wie diese macht Hoffnung. Sie gibt uns das Gefühl, gesehen zu werden. Und das ist wundervoll.

Ich wünsche zum Schluss nun (fürs erste jedenfalls) allen queeren Trekkies, die diesen Artikel tatsächlich bis hierher gelesen haben:

Be queer, and prosper.

 

[1] Das bedeutet, dass etwas offiziell Teil des fiktionalen Universums ist.

[2] In der deutschen Synchronisation wurde die Entscheidung getroffen, they/them mit dey/dem zu übersetzen. Das wird wie folgt dekliniert: wer? – dey; wessen? – deren; wem? – dem; wen? – dey. Ich werde in diesem Text die deutsche Übersetzung der Pronomen verwenden, um über Adira zu sprechen.

[3] Tropen, auf Englisch Tropes, sind bestimmte erzählerische Figuren, die oft auch klischeehaft sind, und immer wiederkehren. Sie sind deshalb leicht als Muster zu erkennen. Bekannte Tropen sind z.B. der Auserwählte, der geheime Erbe, der weise alte Mann, gefundene Familie/ Found Family, Liebe auf den ersten Blick, etc.

[4] Community Building ist alles, was die Gemeinschaft zwischen Individuen stärkt, z.B. innerhalb der queeren Community.

[5] So werden häufig liebevoll jüngere queere Menschen, die sich erst kürzlich geoutet haben und neu in der queeren Community sind, genannt.

[6] Queer coding ist die queere Darstellung von Charakteren im Subtext. Sie sind also nicht explizit queer, aber sie wirken für Menschen, die dafür sensibel sind, queer.

[7] Token-Charaktere sind Charaktere, die einer Minderheit angehören, aber der einzige Charakter dieser Minderheit sind. Sie sind häufig flach dargestellt und auf den Teil ihrer Identität, der der Minderheit angehört, reduziert. Meistens tragen sie nicht wirklich zur Vielfalt bei, sondern simulieren eher Vielfalt.