Kummerkastenantwort 972: Ist die sexuelle Orientierung angeboren?
Ist die sexuelle Orientierung angeboren oder kann man sich frei entscheiden?
Mir kommt es oft so vor, als würde sich das Narrativ hierbei ständig ändern und nach ein paar hitzigen Diskussionen in- und außerhalb der Queer-Community weiß ich nun selber nicht mehr, was ich glauben soll. Könnt ihr mir auf diese Frage eine eindeutige Antwort geben?
Liebe Grüße und bleibt gesund!
Hallo,
ich kann dir sogar mehrere eindeutige Antworten geben.
- Entscheiden tun wir uns für Labels, die wir wählen. Dafür, wen wir lieben oder wer wir sind, entscheiden wir uns nicht aktiv.
- Sexuelle Orientierung kann sich im Lauf des Lebens verändern. Statisch angeboren sein kann sie also nicht. Aber sie kann auch nicht einfach gezielt verändert werden (ließ: Konversionstherapien funktionieren nicht).
- Ähnlich, wie etwas, was angeboren ist, sind wir nicht frei in der Entscheidung über unsere sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität
Das ist bisschen subtil alles. Deswegen treffen manche Argumente, die zutreffen würden, wenn das alles angeboren wäre zu – während andere nicht zutreffend sind.
Dazu kommt noch, dass es nur eine bedingt gute Idee ist, Sexualität und Identität nach externen Kriterien zu diagnostizieren. Einerseits gibt es auch bei uns gesellschaftlich verankert und toleriert starke Queerfeindlichkeit. Wenn jetzt ein Bluttest oder eine App Menschen sexuelle Orientierungen zuschreibt, gefährdet das Menschen aktiv – unabhängig davon wie korrekt die Ergebnisse sind.
Da wir weiterhin gar nicht wissen, ob es überhaupt messbare Eigenschaften gibt, die eine Aussage über Geschlecht oder Orientierung machen, (was sowieso anzuzweifeln wäre) sind Messungen dafür ohnehin mehr ein Raten. Und alles, was hier falsch geraten wird, ist in der Auswirkung auch verheerend, weil es zu so etwas ähnlichem wie Konversionstherapie, also dem pseudo-wissenschaftlich begründetem Versuch, sexuelle Identität oder Orientierung therapeutisch zu verändern, führt.
Wenn der “offizielle” Gentest sagt, dass ich schwul bin, muss ich das ja sein, also muss ich anfangen Männer zu daten und mich schwul verhalten, weil ich das sonst ja falsch mache. Und so entstünde ein sozialer Druck, Dinge zu leben, die nicht da sind. Auch deswegen ist es eine sehr schlechte Idee, zu versuchen, sexuelle Orientierung zu messen. Bei solchen Messversuchen geht es häufig um die Frage, ob das im Genom nachzuweisen wäre. Und das könnte von Geburt an nachgewiesen werden. Deswegen ist die Frage nach der Messbarkeit von außen eng verbunden mit der Frage danach, ob queer-sein angeboren ist.
Liebe Grüße
Xenia