Elf Freunde müsst ihr sein… No homo!

Vor einigen Jahren hat Laura sich als Fußballfan geoutet. Das war ein schwieriger und auch mutiger Schritt für sie und hat vor allem in ihrem queeren Umfeld für Verwunderung gesorgt. Aber sie ist aus dieser Erfahrung stärker herausgekommen – und jetzt erzählt sie uns ein bisschen was über die Debatte rund um Queerness und Coming Out im deutschen Profifußball.

In ihrer März-Ausgabe 2021 veröffentlichte das Fußball-Magazin 11Freunde einen Artikel unter der Schlagzeile „Ihr könnt auf uns zählen!”, in dem die Unterschriften von über 800 Fußballspieler*innen abgedruckt wurden, die sich solidarisch mit queeren männlichen Spielern – von Frauen ist erstmal keine Rede – zeigen wollen. Ziel der Aktion ist es, ein Zeichen gegen Queerfeindlichkeit zu setzen, also einen Anfang, um diesen Spielern das Coming Out leichter zu machen. Denn: Es gibt immer noch keine offen queeren Männer im aktiven deutschen Profifußball.

Bereits bei der Vorberichterstattung in den Sozialen Medien hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich irgendwie nicht so freuen konnte, wie es so viele Andere taten. Warum eigentlich? Immerhin sind da sehr viele Namen aus großen Vereinen und mehreren Ligen im deutschen Fußball, die ihre Unterschriften unter den Artikel gesetzt, für das Titelblatt posiert oder Statements gegeben haben. So viel Unterstützung, Mitgefühl und Offenheit! Und das aus einer Branche, die  immer etwas hinter der Gesellschaft zurückzubleiben scheint, vor allem, wenn es um Männlichkeitsbilder geht.
Überhaupt schneidet der Artikel einige positive Dinge an: Zum Beispiel wird auf die Anstrengungen hingewiesen, durch die Vereine, Verbände und Fans bereits Rassismus im Stadion die Stirn geboten und deutlich verringert haben. Und dann wird der Frauenfußball angesprochen, als positives Beispiel dafür, dass offen queeres Leben und eine Profikarriere sich nicht widersprechen müssen. Zwei hoffnungsvolle Sichtweisen, wenn wir sie auf die Queerfeindlichkeit im Männerfußball übertragen!

Da fangen meine Probleme aber auch schon an: Warum wird Frauenfußball eigentlich so herausgehoben? Immerhin ist die mediale Aufmerksamkeit hier ohnehin schon deutlich geringer, ein Coming Out wird also auch einfach nicht so sehr beachtet. (Ich muss ja selbst noch nach lesbischen Frauen in der Bundesliga googlen, kann aber ohne nachzudenken Robbie Rogers, Justin Fashanu oder Thomas Hitzlsperger als Beispiele für nicht europäische, verstorbene oder nicht mehr aktive schwule Fußballer nennen…)
Und warum müssen in einem Aufruf nach Solidarität mit queeren Menschen auch immer Sexismus und Rassismus mit in den Topf geworfen werden? In vier der sieben abgedruckten Statements wird explizit gesagt, dass keine Form der Ausgrenzung, ob wegen Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung, tragbar sein kann. Das ist natürlich richtig und wichtig, weil alle Formen von Diskriminierung irgendwie zusammenhängen und das Eine nicht ohne das Andere verbessert werden kann. In diesem Fall verwässert es aber die Botschaft. Als wäre es verwerflich, ausschließlich über Queerfeindlichkeit zu reden und spezifisch queere Menschen anzusprechen. Ist queere Diskriminierung allein ein zu heißes Eisen, das abgekühlt werden muss, indem man sagt, dass man natürlich gegen alle Diskriminierung ist? Bloß nicht zu viel Nähe zum Thema aufbauen, weil sonst Leute auf falsche Ideen kommen könnten?

Dieses Abstandhalten ist zum Standard geworden, hab ich das Gefühl. Vor einigen Monaten hat der SC Freiburg in den sozialen Netzwerken verkündet, dass die Kapitän*innenbinde aller Teams von jetzt an in Regenbogenfarben gehalten sein wird, als „Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz sowie gegen Diskriminierung, Hass und das Vergessen nationalsozialistischer Verbrechen”. Dabei wurde komplett übergangen, dass der Regenbogen seit Jahrzehnten als queeres Symbol benutzt und erkannt wird. Damit wird ein Zeichen, das ich sehr persönlich auf meine Identität beziehe, langsam zu einer Kategorie, die irgendwie alles und damit dann nichts mehr sagt.

Aber gut. Der Wille zählt, oder?

Wenn ich mal außen vor lasse, dass Solidarität für queere Teammitglieder doch eigentlich selbstverständlich sein sollte. Wenn ich ignoriere, dass ausgerechnet der große FC Bayern München die Aktion (aus welchen Gründen auch immer) nicht unterschrieben hat. Wenn ich mal übergehe, dass die Autor*innen immer nur von „Homosexuellen” und „Homosexualität” sprechen und das Wort schwul nur ein einziges Mal genannt wird, nämlich in Anführungszeichen und in seiner Verwendung als Synonym für „schwach, unmännlich, weich” (ernsthaft, 11Freunde? Ernsthaft?!). Dann bleibt für mich immer noch eine Sache übrig, die mich an der Art und Ausdrucksweise der Aktion und des Artikels echt frustriert:

Coming Out wird als „mutig” und „kräftezehrend” beschrieben; Anfeindungen, zerstörte Beziehungen zu Familienmitgliedern und Freund*innen und Diskriminierung werden in den Mittelpunkt gestellt. Ich will keine dieser Sichtweisen abstreiten — aber Coming Out ist nicht nur Verlust. Coming Out ist nicht nur die Tatsache, dass danach die verletzenden Sprüche persönlich und nicht mehr nur als allgemeine Beleidigungen und „Witze” in den Raum geworfen werden. „Stell dir vor, ein Fußballprofi hat sein Coming-out und es macht keine Schlagzeilen” schreibt 11Freunde und fragt, ob diese Vorstellung utopisch sei.

Gegenfrage: Könnt ihr euch mal ausschließlich positive Schlagzeilen vorstellen?

Ich glaube, wir brauchen mal einen Perspektivenwechsel. Weg davon, wie schwer und anstrengend und (negativ) folgenreich so ein Coming Out sein kann. Als wüssten wir das nicht alle schon. Als müsste uns irgendjemand erzählen, wie furchtbar ein queeres Leben sein kann, wenn uns die Medien in Film, Fernsehen, Literatur, Musik und dem Leben drumherum über Jahrzehnte lang nur genau das zugestanden haben. Unser queeres Leiden ist offenbar immer noch der einzige Punkt, den sich alle nicht „Betroffenen” vorstellen können. Nach dem Motto: Muss ja furchtbar sein, dieses queere Leben.
Dabei ist Coming Out viel mehr, ist Euphorie und offene Arme und Community weit über die Grenzen des Fußballs hinaus. Also Perspektivenwechsel: Liebe nicht geoutete Fußballgötter, Ihr absoluten Legenden, macht Euer Coming Out, weil es sich so verdammt gut anfühlt! Weil Tausende von Menschen im und außerhalb vom Stadion Eure Namen singen wollen, weil Ihr zu ihnen — zu uns — gehört.

Liebe nicht geoutete Fußballgötter, hier habt Ihr eine Community, die euch noch gar nicht kennt und die für euch jetzt schon durchs Feuer gehen würde. Ihr spielt für den Erzfeind meines Vereins? Ich kauf eure Trikots trotzdem, weil manche Sachen sind größer, wichtiger als der Fußball. Für Vereinstreue ist dann später wieder Zeit.