Kummerkastenantwort 4.224: Ist es verwerflich nur aus sexuellen Gründen über eine Transition nachzudenken?
Ist es verwerflich nur aus sexuellen Beweggründen eine geschlechtsangleichung in Betracht zu ziehen? Ich bin 18 (männlich. Glaube ich) und stehe extrem auf sissy porn, pegging usw. Alleine trage ich gerne Höschen und BH’s und wünsche mir sexuell immer eine Frau zu sein. In meinem Alltag bin ich als junger Mann jedoch vollkommen glücklich. Nur ist Sex ein für mich sehr wichtiger Teil meines Lebens und ich frage mich einerseits ob es verwerflich und respektlos gegenüber transsexuellen wäre seinen Körper so extrem zu verändern nur wegen Sex und andererseits frage ich mich ob es noch andere gibt die ähnliche gedanken/probleme haben.
Was ich dazu sagen sollte ist das mir alleine das Tragen von weiblicher Kleidung nicht ausreicht um mich beim Sex wirklich als frau zu fühlen.
Hallo,
das sind eine Menge Fragen auf einmal. Ich werde versuchen, das ganze in Ruhe und eins nach dem anderen durchzugehen.
Aus meiner Sicht ist jetzt erstmal nichts verwerfliches daran, wenn du eine Transition für dich in Erwägung ziehst – verschiedene Menschen transitionieren aus verschiedenen Gründen und erstens gehen mich die Beweggründe anderer Menschen nichts an, und zweitens ist die einzige Person, der du damit im Zweifelsfall schaden könntest, du selbst.
Davon abgesehen: eine medizinische Transition hat einen riesigen Einfluss auf dein gesamtes Leben. Wenn du in deinem Alltag weiterhin als junger Mann wahrgenommen und gelesen werden möchtest, müsstest du dort die Auswirkungen deiner Transition vermutlich verstecken. Das würde langfristig zum Beispiel bedeuten, dass du einen Binder tragen müsstest, um deine Brüste zu verstecken. Falls du sogar über eine genitalangleichende Operation nachdenkst, würde das vermutlich bedeuten, dass du nicht mehr im Stehen pinkeln könntest, was auf öffentlichen Toiletten, z.B. am Arbeitsplatz, immer etwas nervig ist. Hormonersatztherapie beeinflusst außerdem nicht nur, wie dein Körper aussieht (und auch das viel umfangreicher, als dass es dir nur Brüste gibt), sondern auch, wie deine Emotionen und dein Denken funktioniert. Das liegt nicht daran, dass Männer und Frauen kernunterschiedlich sind oder so ein Quatsch, sondern einfach daran, dass eine Hormonersatztherapie nun mal die Hormonlevel im Körper verändert, und damit auch das Zusammenspiel der verschiedenen chemischen Botenstoffe und so im Kopf und im Körper. Und damit eben auch das Denken und das Fühlen. Es könnte auch passieren, dass du nach deiner Transition tatsächlich Dysphorie empfindest, weil deine Geschlechtsidentität und dein Körper dann nicht mehr so richtig zusammen passen.
Das sind nur ein paar Beispiele für die Auswirkungen auf dein gesamtes Leben, die eine medizinische Transition hätte. Eine Entscheidung darüber, ob es das wert ist, kannst letzten Endes nur du treffen. Aus rein praktischer Sicht wäre eine Transition in Deutschland vor diesem Hintergrund außerdem ziemlich schwierig, wenn du nicht sämtliche beteiligten Ärzt*innen permanent anlügen möchtest. Was natürlich grundsätzlich ginge, aber halt sehr, sehr anstrengend wäre.
Vielleicht wäre es außerdem ganz sinnvoll für dich, deinen Pornographie-Konsum einmal kritisch zu hinterfragen. Das meine ich jetzt nicht im Sinne von “alle Pornographie ist böse und schlecht für dich.” Es ist nur so, dass wir in einer Welt leben, wo Porn nur wenige Klicks entfernt und quasi immer verfügbar ist. Da passiert es leicht, dass der Pornkonsum und/oder Masturbation zu einer Art Gewohnheit oder sogar zu einer Sucht wird, die es schwer macht, außerhalb davon sexuelle Befriedigung zu empfinden. Es hilft außerdem, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die meisten Pornodarsteller*innen außerhalb des Drehs ein vollkommen anderes, gewöhnliches Leben führen. Im Rahmen dieses Selbst-Hinterfragens könntest du außerdem mal schauen, ob es vielleicht andere Dinge/Kinks gibt (die nicht so stark in dein tägliches Leben eingreifen), die dir sexuelle Befriedigung bringen könnten. Du könntest auch schauen, ob es vielleicht Sex-Spielzeuge oder Prothesen gibt, die du für Sex benutzen kannst, die dir helfen, dich wohler zu fühlen. Es gibt außerdem Therapeut*innen, die mit Menschen über ihr Sexualleben sprechen und schauen, wie man seine Vorlieben am gesündesten ausleben kann. Vielleicht ist ja auch sowas etwas für dich?
Ich bin mir außerdem ziemlich sicher, dass es andere Menschen gibt, denen es genau so geht. Ich weiß aber leider nichts darüber, wo man diese Communitys findest. Vielleicht kann dir die BDSM-Jugend hier weiterhelfen.
Liebe Grüße,
Elias