Neues vom Selbstbestimmungsgesetz: Heute Rudern mit dem Bundes-Innen-Ministerium (BMI)

Von unserer Blogleitung Xenia, die eigentlich gerne mit Gesetzen arbeitet, aber auch schon mal wieder Lust hat, sich mit was anderem zu befassen.

Update: Das Bundes-Innen-Ministerium hat die Echtheit des zweiten Schreiben bestätigt. Danke an Kara von FragDenStaat.

Nach ewigem Rumgeeiere und 40 Jahren Transsexuellengesetz zwischenzeitlich zwei konkurrierenden und widersprüchlichen Ideen, Vornamen und Personenstand ändern zu können, und noch viel mehr Deutschland ist zum 1. August der erste Paragraph aus dem Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten. Der Rest folgt zu Anfang November. Wer Geschlechtseintrag und Vornamen ändern möchte, kann das nun im Standesamt voranmelden und 3 Monate später dann dort erklären und dann passiert das. Theoretisch. Wir haben davon erzählt.

Mitte Juli kam das Bundesinnenministerium mit einem Schreiben um die Ecke, wo sie die Rechtsauffassung präsentierten, dass sich über das SBGG die Anzahl der Vornamen nicht ändern ließe und dass Vornamen immer einen eindeutigen Geschlechtsbezug haben müssen. Eine Menge Standesämter haben sich daran orientiert oder das einfach übernommen.

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Das neuste Kapitel der Saga

Und jetzt gab es zum 14. August ein weiteres Rundschreiben vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) an die Innenministerien und Senatsverwaltungen für Inneres der Länder, in der das Ministerium die Ausführungen zu ihrer Auslegung des SBGG “konkretisiert”. Das ist zumindest das Wort, was im Schreiben verwendet wird. Im wesentlichen revidieren sie ihre bisher kommunizierte Ansicht komplett. Das ist schon mal ein guter Start, es gibt einige “aber”.

Ist das Schreiben echt?

Das finden wir gerade raus. Alles an dieser Story ist Peak Deutschland. Das ursprüngliche Rundschreiben liegt uns vor, original gescannt mit einem senkrechten grauen Streifen von einem herumschmierenden Drucker. Ein Vögelchen hat uns nun ebenso das zweite Schreiben in den Briefkasten gezwitschert.

Jetzt könnte man annehmen, dass ein Bundesministerium offizielle Schreiben und Mitteilungen üblicherweise im selben Layout und auf dem selben Briefpapier herausgibt. Das neue Schreiben kommt ohne den hübschen Drucker-Schmierstreifen aber dafür mit dem Zusatz “nur per E-Mail”, das ist plausibel, dass jenes dann ohne Streifen daher kommt.

Die Schreiben unterscheiden sich äußerlich:

  • in Layout,
  • in der Schriftart,
  • im Textsatz und
  • in einem Designelement auf dem Briefbogen

Das Schreiben von Mitte Juli hat ein eigenes Aktenzeichen, das von diesem Monat kommt ohne entsprechenden Vermerk.

Das neue Schreiben gibt an, zwei Teile des alten Schreibens zu konkretisieren, nimmt aber in der folgenden Konkretisierung nur auf einen Punkt davon Bezug.

Beide sind von der selben Person unterschrieben, das neuere jedoch mit dem Zusatz “im Auftrag”, und das obwohl dort mit “meines Runschreibens” auf das ältere referenziert wird. Dadurch sind nicht nur bei uns Zweifel an der Echtheit aufgekommen.

Eine Anfrage an das Bundesinnenministerium dazu läuft, ist aber bisher noch nicht beantwortet. Andere Verbände, Vereine und Zusammenschlüsse zum SBGG sind sich ausreichend sicher in der Authenzität, sodass sie davon berichten und das in ihre Informationen aufnehmen. Um online verfügbare Informationen konsistent zu halten, tun wir das an dieser Stelle auch, obwohl die Bestätigung aus dem BMI noch aussteht.

Was steht denn nun drin?

Das neue Rundschreiben beginnt so:

nach Abstimmung mit den für das SBGG federführenden Ressorts BMFSFJ und BMJ sind Ziffer 1 und Ziffer 3 meines Rundschreibens vom 18.07.2024 wie folgt zu konkretisieren:

Ziffer 1 im Juli-Rundschreiben ist im Kern der folgende Satz und eine Begründung, die ich uns hier erspare:

Die damit erforderliche Gesetzesauslegung führt hiesigen Erachtens zu dem Ergebnis, dass § 2 Abs 3 SBGG keine gesetzliche Grundlage für eine Änderung der Anzahl der Vornamen bietet.

Ziffer 3 beinhaltet ähnlich abenteuerliche Ideen über die Wahl von Vornamen von Personen, die keinen männlich- oder weiblich-Eintrag im Geburtenregister führen wollen:

Denkbar ist für Personen, die die Geschlechtsangabe “divers” oder die Streichung der bisherigen Geschlechtsangabe wählen, dass sie nicht nur in gleicher Anzahl wie zuvor geschlechtsambivalente Vornamen, sondern auch Vornamen, von denen einzelne Vornamen dem einen und die anderen dem anderen Geschlecht entsprechen, gleicher Anzahl wie zuvor führen können.

Und was sagt die angekündigte Konkretisierung nun? Die sieht so aus:

Für die Bestimmung der Vornamen nach § 2 Abs 3 SBGG sind die für die Anzahl der Vornamen allgemein gültigen Grundsätze anzuwenden. […] Das bedeutet eine Höchstgrenze von maximal fünf Vornamen. Innerhalb dieses Rahmens kann die Anzahl der Vornamen im Zuge der Erklärung nach § 2 SBGG verändert (d.h. erhöht oder verringert) werden.

Das ist nicht, was ich unter einer Konkretisierung verstehen würde, wenn ich vorher sage “nein, das geht nicht” und nachher sage “natürlich geht das, so wie es sonst auch geht”. Ich kann nur mutmaßen, was “nach Abstimmung mit den federführenden Ressorts” in einer Welt bedeutet, wo “konkretisieren” Synonym mit “vollständig zurückrudern und das Gegenteil behaupten” ist.

Schön an der ganzen Geschichte ist, dass die Rechtsauffassung des BMI sich damit dem Wortlaut der Gesetzesbegründung stark angenähert hat. Wir erinnern uns, dort steht: “Es gelten für die Vornamensbestimmung dieselben Regeln, die für die Vornamensbestimmung bei Geburt gelten.” – auch das hatte das BMI zwischenzeitlich in Zweifel gestellt.

Nochmal in aller Deutlichkeit: Das BMI hält nicht an seiner Rechtsauffassung fest, dass das SBGG die Änderung der Anzahl von Vornamen nicht erlaubt.

Was war jetzt mit Ziffer 3 aus dem Juli Rundschreiben? Wie wurde das konkretisiert? Nun, das hab ich mich auch gefragt, das wird im neuen Rundschreiben nicht explizit benannt. Es kann im zitierten Absatz mitgemeint ein Stück weit mitgemeint sein, weil auch Ziffer 3 im alten Rundschreiben Bezug auf die Anzahl von Vornamen genommen hatte. Der folgende Satz im Rundschreiben wäre:

Die Auslegung der Bestimmungen des SBGG im Einzelfall wird letztlich durch die Rechtsprechung zu klären sein.

Und könnte tatsächlich als eine Konkretisierung verstanden werden: Die alte Rechtsauffassung des BMI ist für das BMI weiterhin zutreffend, aber nach der Abstimmung mit den beiden anderen Ministerien sieht es eine Welt, in der es nicht Recht hat und das offenbart sich dann vor Gericht. Das hätte aber starke Vibes von erst mal einen auf wichtig machen und dann nach einem berechtigten Rüffel nicht klein beigeben wollen.

Vielleicht ist die Konkretisierung aber auch, dass es aus den vielen Worten aus dem Juli-Rundschreiben null Worte wurden und die komplette Rechtsauffassung in sich zusammengefallen ist.

Eins noch

Im neuen Rundschreiben ist dann noch folgender Satz

Bei diesen Hinweisen handelt es um nicht rechtsverbindliche Empfehlungen für die Rechtsanwendung.

An dem Satz wäre erstmal nichts auszuetzen. Das passt dazu, dass Standesbeamt*innen schon per Gesetz nicht an Weisungen gebunden sind. Gleichzeitig fehlt ein solcher Hinweis im Rundschreiben aus dem Juli. Jetzt wäre natürlich naheliegend zu sagen, dass das ein Satz auf dem Niveau von “Weiterhin gilt das Grundgesetz” wäre. Natürlich gilt das. Und nur, weil es da nicht steht, heißt das nicht, dass es nicht gilt.

Gleichzeitig haben eine Menge Standesämter das gelesen und anschließend Formulierungen mit “an die Rechtsauslegung gebunden” und sinngemäß “kann man nix machen, sorry not sorry” benutzt. Und hier wirds halt irgendwo zum Problem. Diese gesamte Rechtsauffassung hat nichts außer willkürliche Schikane gegen queere Personen beinhaltet. Das BMI hatte nie die Position, das anzuweisen – aber so getan als ob und das an die Landesinnenministerien geschickt. Die Landesinnenministerien haben das auch ohne weitere öffentliche Kommunikation hingenommen und den Standesämtern gefaxt. Wo sie auch nichts und niemand zu gezwungen hätte. Die Standesämter waren nie in der Position, den Quatsch überhaupt lesen zu müssen – aber haben’s gelesen und direkt mitgemacht. Ohne jede Verpflichtung, ohne jede Bindung an eine Weisung, ohne einen Bezug im Gesetz und ohne irgendeinen ersichtlichen Grund erschien es da einer Menge Leute viel zu logisch, Bürokratie und Hindernisse in den Weg zu legen.

Das BMI hat auf Nachfrage zum ersten Schreiben zeitweise schlicht empfohlen, eine -nach ihrer Ansicht ins Gerburtenregister- eintragungsfähige Variante mit in der Erklärung anzugeben und dann anschließend zu klagen. Anscheinend, weil man davon ausgeht, dass trans Leute nach 40 Jahren TSG einfach immer noch Bock auf Gerichtsverfahren haben, um ihre Identität anerkennen zu lassen.

Dass das BMI jetzt hergeht und explizit betont, dass das nicht rechtsverbindlich ist, lässt den Standesämtern gerade redensartlich Tür und Tor offen, an der jetzt revidierten Rechtsauffasung festzuhalten. Da die “Konkretisierung” ja selbst deutlich macht, dass sie eben nicht bindend ist.

Das riecht schon wieder viel zu sehr nach Deutschland. Schaffen es nicht, zwei Rundschreiben mit den selben Adressaten zur selben Angelegenheit mit dem gleichen Layout rumzuschicken; aber ist auch nicht so wichtig, Hauptsache man kann eine Minderheit irgendwie noch ein bisschen Gängeln, nach dem die wunderschön gängelnde Gesetzeslage, die 40 Jahre lang in Teilen menschenrechts- und grundgesetzwidrig gegängelt hat, jetzt dann doch mal wegmusste. BMI denkt sich aus, Landesministerien leiten weiter, Standesämter machen mit. Freiwillig. Und sowas nervt mich so bisschen, solange Gehorsam für solche Gängeleien verteilt wird wie nervige Werbung auf YouTube, fällt’s mir einfach stellenweise schwerer als es sollte, an eine stabile und wehrhafte Demokratie zu glauben, in der nicht jede Behörde einfach jeden diskriminierenden Scheiß mitmacht, der von jemandem im Ministerium aufs Papier gepupst wurde.

Keine Antworten

  1. Anonymous sagt:

    Ich habe heute einen zusätzlichen Brief bekommen, in dem das Standesamt die Aussage, die Anzahl der Namen ließe sich nicht ändern, revidiert. Es geht also doch :))

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