Xenias ultimativer Wegweiser für das Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz ist nun seit etwas über einem Monat vollständig in Kraft. Zeit nochmal alles zusammenzufassen: Wie geht das? Was brauche ich? Was sollte ich wissen?
Dazu haben wir uns auch in der Community umgehört und eure Antworten und Erfahrungen sind hier mit eingeflossen. Vielen Dank dafür!
Die kürzeste Anleitung
Eigentlich ist das ganz einfach – also für deutsche Verhältnisse – und daher geht eine Änderung nach SBGG ungefähr so:
- Anmeldung: Gib einem Standesamt deiner Wahl Bescheid, dass du Namen oder Personenstand mit dem SBGG ändern möchtest
- Terminvereinabarung: Besorg dir einen Termin drei Monate später bei diesem Standesamt
- Erklärung: Geh zu diesem Standesamt erkläre deine Änderung
- Abwarten: Warte bis deine Änderung überall angekommen ist
Weil das hier aber Deutschland ist, gibt es zu jedem Punkt noch Anmerkungen:
1. Anmeldung
Im ersten Schritt musst du drei Monate vor der eigentlichen Änderung das Standesamt von deiner Änderungsabsicht informieren. Das kann theoretisch jedes Standesamt in Deutschland sein, muss aber auch das sein, wo du dann die eigentliche Erklärung abgibst.
Manche Standesämter stellen dafür Formulare auf Papier oder online bereit. Die müssen nicht benutzt werden. Eine Anmeldung muss lediglich mündlich oder schriftlich erfolgen. Das heißt: Entweder als Text auf Papier mit Datum und Unterschrift oder persönlich vor Ort vorgesprochen. Falls du dich mündlich vor Ort anmelden willst, brauchst du möglicherweise einen Termin.
Die Anmeldung muss auch nichts weiter enthalten außer die Information, wer ihr seid und dass ihr eine Erklärung nach SBGG abgeben wollt. Manche Standesämter möchten an der Stelle schon neuen Namen oder Geschlechtseintrag abfragen. Das ist aber rechtlich nicht verpflichtend und nicht bindend. Sie könnte ungefähr so aussehen, wenn du sie per Brief schickst. Die Teile in den eckigen Klammern sind optional, nutze sie aber gerne, wenn es für dich passend erscheint:
Guten Tag,
mit diesem Schreiben melde ich, {bisheriger Name} geboren in {Geburtsort} am {Datum}, mich gemäß §4 SBGG für eine Änderung meines Geschlechtseintrags und meiner Vornamen an. [Zukünftig möchte ich folgende Namen führen: {Name, Name Name}. Mein Geschlechtseintrag soll auf {Eintrag} geändert werden].
Bitte bestätigen Sie mir den Eingang dieses Schreibens und die erfolgte Anmeldung. [Senden Sie mir bitte weiterhin einen Terminvorschlag für die Erkärung nach §2 SBGG zu.]
Freundliche Grüße
{Datum, Ort, Unterschrift}
Dein bisheriger Name, Geburtsort und Geburtsdatum sollte dich gegenüber dem Standesamt für die Anmeldung ausreichend identifizieren. Durch Datum und Unterschrift erlangt die Anmeldung dann Schriftform und erfüllt so die Voraussetzungen nach Gesetz.
2. Terminvereinbarung
Die Erklärung erfolgt dann frühestens drei Monate später. Genauer gesagt ab dem ersten Tag nach drei Monaten ab der Anmeldung. Also eigentlich drei Monate plus ein Tag, weil das ist, wie gesetzliche Fristsetzungen üblicherweise funktionieren.
Eine Anmeldung gilt höchstens ein halbes Jahr. Es bleiben also drei Monate Zeitfenster für den Termin.
Am besten vereinbarst du den Termin für die eigentliche Erklärung direkt schon bei der Anmeldung.
3. Erklärung
Nach diesen drei Monaten kannst du dann die Erklärung im Standesamt vor Ort abgeben. Dabei gilt vom Gesetz her, dass du deinen Geschlechtseintrag ändern musst und deine Namen zusätzlich ändern kannst.
Du musst vor Ort deine Identität nachweisen. Manchmal reicht dafür dein Personalausweis, andere Standesämter verlangen einen Auszug aus dem Geburtenregister oder eine Geburtsurkunde. Mach dich am besten in der Wartezeit schon schlau!
Eine Erklärung abgeben im amtlichen Sinne ist meistens im wesentlichen das begleitete Ausfüllen eines Formulars. Du musst also keine ausformulierte Rede oder so etwas vorbereiten. Hilfreich kann sein, wenn du auf einer Briefvorlage die wesentlichen Punkte aufschreibst, dann kann die Person im Amt Namen zum Beispiel abschreiben und es entstehen keine Missverständnisse über Schreibweisen. Das kann ungefähr so aussehen:
Guten Tag,
ich, bisher {alter Vorname}, geboren am {Geburtstag} in {Geburtsort} erkläre nach §2 SBGG, dass mein Geschlechtseintrag in {neuer Eintrag} geändert werden soll. Als zukünftige Vornamen bestimme ich {neue Namen}. {neuer Eintrag} entspricht meiner Identität am besten. Ich bin mir der Folgen dieser Erklärung bewusst.
Sollte eine entsprechende Änderung wider erwarten nicht möglich sein, bitte ich um eine schriftliche Ablehnung mit Rechtsbehelfsbelehrung.
Freundliche Grüße
{Ort, Datum, Unterschrift}
Das Standesamt vor Ort nimmt das ganze dann entgegen und leitet es intern weiter. Damit ist der formelle Part für dich geschafft! Juhu!
Viele Bundesländer erheben dafür eine Gebühr.
Wenn das Standesamt die Annahme ablehnt, frage nach einer schriftlichen Begründung mit einer Rechtsbehelfserklärung. Dann kennst du einerseits das konkrete Problem, kannst dich aber auch andererseits beraten lassen und gegebenfalls einen Widerspruch einlegen.
Falls du minderjährig aber über 14-Jahre alt bist, müssen deine Eltern oder gesetzliche Vertretung dem Antrag zustimmen. Bist du unter 14 können sie ihn stellvertretend für dich stellen. Wenn du nicht volljährig bist, musst du zur Erklärung eine Bestätigung mitbringen, dass du über die Rechtsfolgen beraten wurdest. Solche Beratungen bieten zum Beispiel Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe oder Psychotherapeut*innen an.
4. Abwarten
Deine Erklärung wird dann von dem Standesamt, das deinen Eintrag im Geburtenregister führt, bearbeitet. Dazu muss sie da erstmal ankommen, falls du deine Erklärung nicht direkt dort erledigt hast.
Sobald die Änderung dort erfolgt ist, werden in der Regel automatisch die Rentenversicherung und das Einwohnermeldeamt benachrichtigt.
Und meistens auch du. Manche Standesämter schicken eine neue Urkunde, andere einen erweiterten Auszug aus dem Register, manche ein Formular, das die Änderung bestätigt, manche auch gar nichts. Je nach Bundesland kann es auch sein, dass dafür eine Gebühr verlangt wird.
Wenn du die Erklärung in dem Standesamt abgegeben hast, wo dein Geburtenregistereintrag hinterlegt ist, fallen die Post- und Übertragungswege weg und du kannst häufig direkt deine neue Geburtsurkunde direkt mitnehmen.
Die Rentenversicherung verschickt meistens Informationen, wenn sich Sachen geändert haben. Dadurch bekommst du recht schnell Bescheid meistens. Auch das Einwohnermeldeamt kann sich melden, wenn dort festgestellt wird, dass die Person, die deinen neuen Namen trägt, keinen gültigen Personalausweis hat, wo auch dein Name drauf stünde. Du bekommst das also auf jeden Fall mit. Die Frage ist nur, wodurch.
Was sollte ich noch wissen?
Im Wesentlichen gilt all das, was bei Neugeborenen für deren Namen gilt, auch für Namensänderungen mit dem SBGG. In der Regel höchstens so 5 Namen, es müssen auch Namen sein. Und sie sollen zum Geschlechtseintrag passen. Wer das alles entscheidet? Die Person im Standesamt vor Ort. Das schlechte daran: wenn die “nein” sagt, bedeutet das Arbeit, das gute daran: falls sie “nein” sagt, ist etabliert, wie Widersprüche gestellt werden und wie mögliche Klagewege sind, weil Standesämter eben auch bei Geburten öfter mal Namen ablehnen.
Das Gesetz hat immer noch und ist deswegen immer noch nicht nur bürokratischer, sondern auch objektiv schlechter, als es sein könnte, Aufhebungsklauseln für Leute ohne dauerhaften Aufenthaltstitel oder mit aktuell männlichem Geschlechtseintrag. Falls im zeitlichen Zusammenhang mit deiner Erklärung Ereignisse geschehen, die deinen Aufenhaltstitel erlöschen lassen oder ein Kriegsfall eintritt, kann deine Änderung zurückgehalten oder annulliert werden. Wir glauben nicht, dass diese Klauseln einer Verfassungsbeschwerde Stand halten würden, aber aktuell sind sie Teil des Gesetzes und damit auch anwendbar.
Auch: nach einer einmal erfolgten Änderung muss mindestens ein Jahr vor einer etwaigen zweiten Änderung vergehen und wenn die Änderung zu einem schon mal geführten Geschlechtseintrag zurück geht, müssen laut Gesetz auch die zuvor geführten Namen wieder geführt werden.
Falls dein Nachname geschlechtsspezifisch ist, wie es zum Beispiel in einigen nordischen Staaten üblich ist, kannst du, nach oder mit erfolgter Änderung deinen Nachnamen ebenfalls anpassen lassen. Die Rechtsgrundlage dazu ist allerdings nicht im Selbststbestimmungsgesetz, sondern im §1617f des bürgerlichen Gesetzbuchs.
Adventure Awaits
Und dann wirds interessant. Weil in der Theorie sollten Namen überall änderbar sein. In der Praxis ist das Konzept von Leuten, die ihren Vornamen ändern, ganz oft nicht eingeplant und abenteuerlich, da eine Änderung zu erwirken. Manchmal gehts am einfachsten einfach Dinge zu kündigen und neu zu ordern – da kann es aber sein, dass es nicht mehr das exakt selbe und möglicherweise auch teurer ist. Eigentlich sollte das aber auch nicht notwendig sein, da Offenbarungsverbot und Datenschutzrichtlinien prinzipiell Firmen und Institutionen verpflichten, deine Daten zu korrigieren. Ist aber manchmal anstrengend, das durchzusetzen. Einfacher wird das beispielsweise, wenn das ausführende Standesamt eine Bescheinigung mit altem und neuem Namen ausgibt. Das machen einige, andere aber behaupten, so etwas gäbe es gar nicht.
Es gibt Berichte von einigen Jobcentern, dass Auszahlungen nur an Personen mit weiblichem oder männlichem Geschlechtseintrag funktionieren. Wir lieben Behörden. Wir lieben Digitalisierung. Wir lieben Deutschland. Ich gehe davon aus, dass das sehr bald behoben wird, hätte ja keiner ahnen können, dass es über 10 Jahre nach der rechtlichen Einführung Leute gibt, die keinen Geschlechtseintrag haben.
Wir haben auch nach euren Erfahrungen gefragt. Das war nicht repräsentativ, und selbst, wenn es das gewesen wäre, würde das nicht automatisch dazu führen, dass es bei euch wie bei der Mehrheit sein muss, aber: Für die allermeisten war es jenseits der Bürokratie eine ziemlich gute Erfahrung. Termine gingen nicht länger als eine halbe Stunde. Ämter waren, obwohl die Regelungen neu sind, recht routiniert und freundlich. You, too, can do this!
Kleine Anmerkung zu diesem Abschnitt:
„Falls dein Nachname geschlechtsspezifisch ist, wie es zum Beispiel in einigen nordischen Staaten üblich ist, kannst du, nach oder mit erfolgter Änderung deinen Nachnamen ebenfalls anpassen lassen. Die Rechtsgrundlage dazu ist allerdings nicht im Selbststbestimmungsgesetz, sondern im §1617f des bürgerlichen Gesetzbuchs.“
Damit hat Xenia inhaltlich zwar Recht, jedoch gibt es §1617f erst ab dem 1. Mai 2025, da das zugehörige Gesetz erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft tritt und diesen Paragraphen ins BGB einfügt. 🙂