Ein Fest für wirklich alle
Von Xenia aus unserem Blogteam, die selbst überrascht ist, dass sie es dieses Jahr noch geschafft hat, über was anderes als das Selbstbestimmungsgesetz zu bloggen.
Blogbeiträge bei uns sind in der Regel für alle. Oder mindestens für viele. Wir erzählen, was im Queer Lexikon passiert, berichten über aktuelle queere Geschehnisse oder wir machen queere Lebensrealitäten sichtbar.
Heute ist eine Ausnahme. Ein bisschen. Freilich können alle diesen Artikel lesen, wie sollten wirs verbieten. Aber er richtet sich nicht an alle – sondern an Personen, die sowohl evangelisch (vermutlich klappt das auch noch, wenn du katholisch bist) als auch nicht cis sind. Auch und gerade an die, die deswegen auch unsicher über Dinge sind oder verunsichert werden.
Dieser Blogpost geht ganz explizit und offiziell und angekündigt nicht an Leute, die Religion im Allgemeinen, das Christentum oder evangelischen Glauben sowieso Kacke finden und genausowenig an Leute, die in ihrer Religion keinen Platz für queere Glaubensgeschwister sehen oder glauben, diese irgendwie heilen zu wollen. Herzlichen Glückwunsch, dieser Beitrag existiert in Teilen wegen euch, weil ich von euch und euren Takes genervt bin und weil ihr bewusst und unbewusst, willentlich und fahrlässig, wissentlich und versehentlich Leuten das Leben schlechter macht als es sein müsste.
Nochmal in aller Deutlichkeit: Dieser Blogpost ist aus der Perspektikve einer protestantischen queeren Person für protestantische queere Personen. Hier stehen unter anderem Dinge, die im Rahmen des Glaubens wahr sind und nicht objektiv oder sachlich belegbar, es werden Bibelstellen besprochen und zitiert. Üblicherweise nehmen wir im Queer Lexikon Blog die Bibel nicht als objektiven Beleg oder als Quelle für Information über die wahrnehmbare Wirklichkeit. Heute schon.
Angeblich ist ja Weihnachten
Weihnachten ist zwar nicht das wichtigste religiöse Fest in christlichen Konfessionen, aber das gesellschaftlich am üppigsten begangene. Und es ist grade. Wieso also nicht einen schnellen Blick in einen der Texte geworfen, die dazu am häufigsten gelesen und zitiert werden. So als gemütlichen Einstieg?
Es ist das erste, was der Evangelist Lukas in seiner Erzählung der Weihnachtsgeschichte erzählt, nachdem Jesus geboren ist. Ein Engel erscheint Hirten, die dort in der Nähe auf dem Feld draußen sind und erzählt ihnen, was da passiert ist. Das klingt je nach Übersetzung ungefähr so: “Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.”
Und da wird keinerlei Unterschied gemacht. Alle Hirten, alle Völker einfach alle. Und das können wir ganz persönlich mitnehmen. Weihnachten ist auch für mich. Auch für mich, wenn ich bi bin. Oder trans. Der Engel macht da keinen Unterschied und kündigt das einfach allen an.
Erschöpfende Analyse
Wir können da auch noch ganz vorne anfangen. Also altes Testament und die biblischen Schöpfungsmythen ranziehen. Tut anscheinend Not, weil ich und vermutlich viele andere queere Person auch, schon fragwürdige Takes dazu hören. Ganz vorne heißt hier, da reingehen, wo Menschen da das erste Mal auftauchen. Wo Gott sie macht. Und das klingt dann ungefähr so: “Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau”.
Diese ganze Geschichte ist symbolisch, eine Menge Tierarten tauchen da gar nicht erst auf, trotzdem steht nicht außer Frage, dass auch die von Gott gemacht wurden. Keine Aufzählung hier hat den Anspruch, dass sie vollständig ist. Und genausowenig ist die Aufzählung von Mann und Frau hier vollständig. Aber einen hab ich noch: Der mächtigere Part hier ist: “ein Bild, das uns gleich sei” oder auch “Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes” – wenn Gott da Männern und Frauen definitiv gemacht hat, die stehen ja da, folgt daraus schon ne ganz einfach Sache: Geschlecht ist hier keine Eigenschaft von Gott. Denn: wenn der Mensch, der von Gott da gemacht wird, ebendlich gemacht ist, dann muss jede Eigenschaft, die das gemachte Ebenbild hat, auch schon eine Eigenschaft von Gott sein. Bisschen wie Dinge, die man in einem Spiegel sehen kann: wenn du es im Spiegel siehst, ist es auch im Raum mit dir. Wenn aber jetzt männlich eine Eigenschaft von Gott ist, dann wären alle Menschen, die Gott schafft, männlich. Da aber Gott mindestens auch noch Frauen geschaffen hat, heißt das, dass Gott entweder weder männlich noch weiblich ist oder, dass Gott sowohl männlich als auch weiblich ist. Das macht im Argument aber gar keinen Unterschied: denn egal, ob Gott gar kein Geschlecht hat, was im ebendlichen Menschen ankommen kann oder ob Gott alle Geschlechter hat, und die da ankommen können: Menschen sind mit oder ohne jedwedem Geschlecht von Gott im Ebenbild erschaffen.
Auch hier steht kein Ausschluss. Auch hier ist kein Raum, um rumzueiern, wer mehr oder weniger Ebenbild ist. Geschlecht ist dabei einfach keine Kategorie. Weder für Gott noch für den geschaffenen Mensch. Gott macht da keinen Unterschied. Und Gemeinde täte gut daran, den auch nicht zu machen.
Was für Gott gilt, gilt auch für Gemeinde
Bisher gings hier um einzelne Leute und Gott. Um: sind die von Gott so gemacht, ist Jesus auch für diese Leute geboren und am Start. Jetzt gehts auch ein bisschen um Gemeinde. Die Stelle ist aus dem Galater-Brief, von dem niemand mehr so genau weiß, an wen er genau ging, wohl auf jeden Fall an eine Gemeinde in der römisch-besetzten Provinz Galatien in der heutigen Türkei. Der Brief richtet sich insgesamt eher mahnend an die Gemeinden dort, weil einiges, was dort üblich wurde, im Widerspruch mit dem Stand, was sonst in den frühen christlichen Gemeinden praktiziert wurde. Und so setzt der schreibende Apostel Paulus am Ende einen sehr deutlichen Hinweis. Der klingt je nach Übersetzung ungefähr so: “Ihr seid jetzt alle durch den Glauben Kinder Gottes und in der Gemeinschaft verbunden. … Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklavenstand noch frei, hier ist nicht Mann noch Frau.”
Paulus bricht hier relevante Kategorien auf. Die Unterscheidung in Jude und Grieche ist heute ganz oft nicht mehr so präsent, aber in einem Brief ins frühchristliche Kleinasien war die Trennung deutlich und allgegenwärtig. Das gleiche gilt auch für die nächste benannte, und überwundende, Kategorie: Sklavenstand. Die Chancen, Rechte, Möglichkeiten und Pflichten von Menschen hingen und hängen wesentlich davon ab, in welchen gesellschaftlichen Stand oder Klasse sie hineingeboren wurden. Auch diese Kategorie wird hier gesprengt. Und als drittes Beispiel sprengt Paulus auch den Unterschied Mann-Frau. All diese scheinbar untrennbaren und scheinbar unabänderbaren Unterschiede sind hier aufgehoben. Diese Kategorien sollen auch für die Gemeinde keine Trennung mehr ergeben. Kurzum: Der Brief erinnert eindringlich, dass alle in der Gemeinde als Kinder Gottes gleich sein dürfen. Egal, wo sie herkommen, welchem gesellschaftlichem Stand oder welcher gesellschaftlichen Klasse sie angehören und auch unabhängig vom Geschlecht.
Es ist immer noch Weihnachten
Eigentlich sollten alle diesen Ort haben, wo sie angenommen und willkommen sind. Wie sie sind. Eigentlich sollte Kirchengemeinde genau so ein Ort sein können. Eigentlich sollte ich hier gar nicht anfangen müssen.
Kirchengemeinde sollte für alle ein Zuhause sein können. Für alle eine Zuflucht sein können. Mit Gottes bedinungslosem Ja zum ebenbildlich geschaffenen Mensch wird das von vornerein klar gemacht. Und Kirche müsste eigentlich nichts weiter tun, als das fortzusetzen und vorzuleben. Im Priesteramt, im Diakonenamt und auch von Glaubensgeschwister zu Glaubensgeschwister.
Aber weil du genausogut weißt wie ich, dass das im Zweifel nicht so ist, und weil du im Zweifel auch genau deswegen hier bist, übernehm ich das mal: Gott hat kein Geschlecht und ist demnach auch nicht cis, und wenn Gott alles das nicht ist, musst du’s auch nicht sein. Das ändert halt am Ende auch nichts dran, dass du als Teil der Schöpfung sein darfst, wie du bist. Keine Sorge, du musst nicht für ewig so bleiben, du darfst dich verändern, du kannst wachsen, du kannst, darfst und sollst dir das gute Leben holen. Und wenn du das willst, kannst du all das im Glauben tun. Da spricht nix dagegen und nichts, was es schon gibt, nichts, was es irgendwann geben wird und erstrecht keine Person kann da was entscheidend dran ändern. Und deswegen: Weihnachten ist auch für dich, für alles von dir. Es ist keinen Widerspruch darin und nichts ist falsch daran, evangelisch und trans zu sein. Und daher wünsche ich dir und uns allen Gemeinden, die uns so annehmen, wie auch Gott uns angenommen hat.
Amen!!! Und vielen, vielen Dank für diesen Artikel. Meine Kirche soll für alle da sein, weil alle wunderbar gemacht sind, geliebte Kinder G*ttes, geschaffen, gewollt und geliebt ganz genau so, wie sie sind. Dafür versuche ich zu arbeiten, als trans Kirchenälteste (Kirchvorsteherin, Presbyterin) in meiner Gemeinde und als evangelische Christin in meiner queeren Community.
Frohe Weihnachten!