Kummerkasten Antwort 52: Meine Eltern wollen nicht, dass ich über meine sexuelle Orientierung spreche

Pride-Phobie?
Hallo, ich bin 18 Jahre alt und Teil der LGBTQ+-community.
Meine Familie akzeptiert das, doch mit einer Sache kann ich nicht gut umgehen. In Ermangelung eines besseren Wortes nenne ich sie “Pride-Phobie.”
Das bedeutet, dass meine Eltern nicht wollen, dass ich offen über Sexualität spreche, dass ich “andere belasten würde, wenn ich es ihnen erzähle”, dass es außerdem negativ auf unsere Familie zurückgeführt werden würde, weil die restliche Familie ja kein anderes Thema mehr finden würde.
Von Freunden habe ich auch gehört, dass man keine Flaggen braucht, wenn man will, dass LGBT normalisiert wird, weil Flaggen es ja herausheben.
Ich kann beide Ansätze verstehen. Aber ich teile sie nicht.
Regenbogenflaggen bedeuten für mich einfach so viel mehr, Liebe, Akzeptanz, Toleranz, Frieden, und besser sich feiern fürs Bi-Sein, als nicht damit klarzukommen. Und besser, mit Humor ein paar Gay Jokes zu machen, als sich von der Diskriminierung unterkriegen zu lassen.
Ein weiterer Punkt ist, was auch hier bei dem Diskriminierungs-Beitrag steht: manchmal ist es notwendig, eine Gruppe in den Vordergrund zu rücken – eben, damit sie normalisiert wird.
Ich habe auch schon gelesen, dass viele sich Mainstream-Filme mit LGBT-Charakteren wünschen.
Oder dass der Experimentalfilm dahingehend viel wichtiger sei.
Warum ist es denn nicht einfach möglich, beides zu haben? Wer sagt denn, dass man die andere Gruppe verurteilen muss?
Man merkt vielleicht, ich habe mich viel mit diesen Themen beschäftigt. “Zu viel”, sagen meine Eltern.
“Auf keinen Fall”, sage ich.
Ich kann nachvollziehen, wenn sie mich vor homophoben Personen schützen möchten oder dass nur, weil es mir egal ist, was andere über mich denken, das nicht allen Menschen so gehen muss.
Aber es artet immer ein bisschen aus, wenn ich mit “pride-phoben” Menschen über dieses Thema spreche, das mich so begeistert und fasziniert.
Soll ich still bleiben, lügen, wenn ich im Schwulen Museum war und mich selbst schützen vor Konflikten oder Homphobie in der Öffentlichkeit?
Oder soll ich *wirklich* dazu stehen, dass ich eine fortschrittliche, gleichberechtigte Zukunft anstrebe, die – oh Himmel – “aktivistisch” ist?
Es ist irgendwie schwer. Ich respektiere es ja.
Aber es fühlt sich einengend an.
Andere Meinungen dahingehend würde ich sehr gerne hören 🙂
– A

Hallo A,

Ich kann dein Gefühl sehr gut nachvollziehen, mir wird auch oft vorgeworfen, ich würde kein anderes Thema als Queer-Sein kennen. Ich denke, dass die sexuelle Orientierung natürlich ein großer Teil deines Lebens ist – es geht schließlich darum, in wen du dich verliebst, wie du dir dein Leben vorstellst, welche Diskriminierungserfahrungen du machst, wo du dich selbst repräsentiert siehst (in Kunst, in Filmen etc.) – und all das ist zum einen fundamental anders als bei heterosexuellen Personen und zum anderen ist es in der Gesellschaft nicht normal, dass darüber in einem nicht-heterosexuellen Kontext gesprochen wird.

Denn über Heterosexualität wird die ganze Zeit gesprochen – nur wird es nicht als solches benannt, sondern einfach für normal gehalten (z.B. in “Frauen”-Magazinen mit Tipps zu gutem Sex (natürlich nur für Frauen, die mit Männern schlafen), zu Beziehungen und Hochzeiten (auch nur für Frauen, die auf Männer stehen), in Liebesfilmen, in der Werbung, in der Literatur. Und auch du (bzw. die ganze queere Community) hast ein Recht darauf, dich selbst und deine Art zu lieben und zu begehren, repräsentiert zu sehen.

Mir hilft es dabei, mich zum einen mit Menschen zu umgeben, die auch queer sind bzw. die das Thema auch interessiert und dann ganz viel über das Thema zu sprechen. Du könntest also einer queeren Jugendgruppe / Facebook-Gruppe / Whatsapp-Gruppe, einer queerfeministischen Aktivist*innengruppe usw. Mit meiner Familie erwähne ich das Thema immer wieder – bringe aber betont auch immer wieder andere Themen auf. Ansonsten hilft es vielleicht, wenn du das auch einfach mit deinen Eltern besprichst. Du schreibst ja schon, dass du verstehen kannst, dass sie Angst davor haben, dass du Diskriminierung ausgesetzt bist oder dass sie das Thema vielleicht einfach nicht interessiert – wenn du das so formulierst klingt das nach einem guten Anfang für ein Gespräch. Du kannst dann ja auch sagen, dass es dir wichtig ist, dass du mit ihnen auch darüber sprechen kannst und wie du dir wünschst, dass sie darauf reagieren.

Ich wünsche dir alles Gute – und stay loud, stay proud!

Annika