Kummerkasten Antwort 109 – Nicht trans/nonbinary genug?
Hallöchen!
Ich habe folgendes Problem. Ich bin Genderfluid (he/xier) , aber kann mich in keines der Spektren so richtig einordnen. Ich fühle mich nicht “Trans* genug”, aber auch nicht “non-binary genug”. Es ist halt so das ich mich an den meisten Tagen weiblich fühle, mein Gender aber trotzdem schwankt.
Als was kann man sich denn dann identifizieren?
Und, welche nicht neopronomen gibt es die in Frage kommen könnten (abgesehen von “es”)
Gibt es überhaupt “trans* und enby genug”?
Und wie kann ich es lösen das es im deutschen nicht für alles Genderneutrale Formen gibt (Bruder/Schwester)? Im moment habe ich drei Menschen gebeten die Männlichen Formen zu nutzen, da die meisten umschreibungen sich etwas seltsam anhören.Zum Abschluss ein kleiner Tipp, wer sein genderverlauf notieren will in einer App, für den empfehle ich die App “Daylio”. Einfach die Namen der Stimmungen in Gendernamen umbenennen, bei Aktivitäten so sachen wie “Brust abgebunden” etc. hinzufügen und Zack hat man die beste notizapp
Danke schonmal im vorraus für eure Antwort
Hallo liebe*r Unbekannte*r,
wir finden, es gibt keine Möglichkeit, “zu wenig” trans oder nichtbinär zu sein. Die Definition von trans sein ist für uns, sich nicht (oder nicht vollständig/ausschließlich) mit dem Geschlecht zu identifizieren, dem du bei der Geburt zugewiesen wurdest. Das scheint bei dir der Fall zu sein – also bist du trans, und damit auch “trans genug”.
Klar, es gibt viele Menschen, auch innerhalb von trans und nonbinary Communities, die klare Regeln und Grenzen dafür aufstellen wollen, was genau es bedeutet, trans oder nichtbinär zu sein. Diese Menschen haben aber nicht das Recht, deine Identität in eine Schublade zu packen – nur du darfst entscheiden, wer du bist. Es gibt nicht eine einzige und “richtige” Art und Weise, trans oder nichtbinär zu sein, weil wir alle Individuen sind und auf unsere ganz eigene Art leben und Erfahrungen machen. Du kannst nur auf deine Art du selbst sein, und du musst dich nicht an irgendwelche angeblichen Normen und Regeln anpassen – du verdienst Respekt und Anerkennung genau so, wie du bist.
Es ist im Deutschen schwierig, eine Sprache zu finden, die nicht männlich oder weiblich gecodet ist. Die “männlichen” Formen zu verwenden, ist vollkommen in Ordnung, wenn sie sich für dich besser anfühlen als die anderen Optionen. “Er” und grammatikalisch maskuline Formen müssen nicht bedeuten, dass sich eine Person auch maskulin oder als Mann identifiziert, genausowenig wie “sie” oder grammatikalisch feminine Formen unbedingt bedeuten, dass eine Person eine Frau ist. Manche nichtbinäre Menschen verwenden im Deutschen “er” oder “sie”, manche verwenden beides abwechselnd. Ich persönlich verwende “es” für mich bei Menschen, bei denen ich weiß, dass sie sich mit Nichtbinarität auskennen und es nicht als abwertend betrachten, und “er” bei allen anderen, weil es so einen schönen Kontrast zu dem darstellt, wie Menschen mich optisch einordnen. Andere Menschen verzichten ganz auf Pronomen und benutzen nur noch ihren eigenen Namen oder eine Kurzform davon (z.B. Name Pippin, Pronomen “pip” – das wird dann nicht konjugiert/grammatikalisch angepasst). Umgehungsmöglichkeiten sind meist Kurzformen wie “Studi” statt Student/Studentin/Student*in, Passivformen wie “Studierende” (geht aber eher nur, wenn von mehreren Leuten die Rede ist) oder indem du einen Satz daraus machst wie “[Name] studiert” statt “[Name] ist ein Student”. Es gibt für viele Begriffe auch neutrale Formen, z.B. “Das ist mein Geschwister, [Name]”. (Die Vermeidungsform davon wäre “Das ist [Name], wir sind Geschwister.”) Das meiste hiervon braucht ein bisschen Zeit zur Umgewöhnung und klingt am Anfang vllt. etwas seltsam und ungewohnt, aber aus meiner Erfahrung gewöhnen sich Menschen schnell daran und es kann auch Spaß machen. (Ein Beispiel: Da ich an einer Hochzeit teilnehme, aber weder Brautjungfer noch Trauzeuge bin, hat Annika mich zum “Brautjungferich” erklärt – unsere ganz eigene geschlechtsneutrale Variante, über die wir gut lachen können.)
Am Besten probierst du einfach aus, was sich für dich am besten anfühlt, und holst dir am Besten ein paar Leute mit ins Boot, denen du vertraust. Was sich richtig anhört und anfühlt, kriegst du vielleicht am ehesten raus, wenn andere es auf dich anwenden.
Zuletzt noch danke für deinen super Tipp zur App! Der wird sicherlich auch nützlich für andere Leute sein, die hier mitlesen.
Viele Grüße und alles Gute,
Balthazar