Kummerkastenantwort 308 – Ich bin ein (trans) Junge – was jetzt?

Hallo!
Um mich kurz vorzustellen: Ich bin 15 Jahre alt und mit den weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren worden.

Seit ca. meinem 7. Lebensjahr wollte ich lieber ein Junge sein, und stellte mir mich selbst immer als einen vor und erfand einen Spitznamen. Ich habe meine Haare seitdem immer recht kurz, und trage lieber “maskulinere Kleidung” weil ich mich sonst nicht wohl fühle (Weswegen auch öfters Sprüche kommen). Beim Schwimmen zum Beispiel hab ich immer nur Bermuda Shorts angezogen etc. Ich wurde immer ausschließlich für einen Jungen gehalten bis zum ca. 12. Lebensjahr.
Mit Anfang der “kritischen” Pupertät war ich dann mehr oder weniger gezwungen beim Schwimmen ein Oberteil anzuziehen, die Leute hielten mich aber weiterhin für einen Jungen. Ich habe Badebekleidung folglich immer mehr gehasst und meine Mutter hat sich daran gewöhnt, mir immer nur “männliche” Kleidung zu kaufen. Ich fand mich damit ab, ein Mensch zu sein, nicht spezifisch ein Junge oder Mädchen, war mir dessen aber eigentlich nicht bewusst.
Dann fing es an mit Kommentaren meiner nicht näheren Familie, die ich nicht hätte hören sollen wie “Wow IHR BUSEN (wie ich dieses Wort verabscheue)” (Meine Oberweite ist.. mittel bis klein aber leiden nicht sehr klein) Ich hörte in der Schule, wie sich die meisten Mädchen über ihre Oberweite beschwerten, weil sie zu klein sei. Ich begann nur noch Sport.. BHs (noch so ein furchtbares Wort) zu tragen, und wünschte mir einfach nur mehr ein Junge zu sein. Ich trage möglichst dunkle Kleidung, zwei Sportteile übereinander und nur weite Sachen und Hoodies. Und immer nur schwarze Cargohose. Für den seltenen Fall, dass ich einkaufen gehen muss, gehe ich direkt in die Männerabteilung und bei festlichen Anlässen ziehe ich am Liebsten Männerhemden mit Krawatte an.
Boxershorts von meinen Brüdern sowieso schon seit Jahren. Ich empfinde wirklich eine starke Abneigung gegenüber allem, was mich daran erinnert, in welchem Körper ich stecke, wie zB. auch Hygieneartikel, Badebekleidung, Duschen, Sportunterricht (wegen den vielen anderen Mädchen) oder Spiegel. Eine starke Abneigung empfinde ich auch vor allem gegenüber meiner Stimme, geringen Größe, Hüften bzw. Becken, Gesichtsform und natürlich besonders meinen Geschlechtsteilen gegenüber.

Ich habe irgendwann angefangen allgemein soziologische Merkmale, die viele Männer aufweisen zu kopieren, wie zum Beispiel Arme anders hängen zu lassen oder mich in einer anderen Reihenfolge anzuziehen als Frauen (Was eigentlich dumm klingt).

Fast alle Menschen sprechen mich, wenn sie mich nicht kennen, mit “er” an, was mich aufheitert und freut. Freunde und Verwandte korrigieren diese Menschen dann immer, was mich unglaublich nervt. Dennoch kann ich mit niemandem über dieses Problem reden, outen kann ich mich auch nicht – obwohl meine Familie wirklich sehr, sehr tolerant ist – weil ich zu große Angst habe und Teile meiner Familie oft meinen, dass sie froh sind, dass sie wenigstens EINE Nichte/Tocher/Enkelin haben, was mich verärgert. Ich bekomme öfters blöde Sprüche sowas wie “Bah, fass mich nicht an, du Lesbe” oder “Ah, die Transe (was nebenbei bemerkt überhaupt keinen Sinn macht)” und habe Angst vor Intoleranz oder blöden Sprüchen wie “Es ist nur eine Phase”.

Dass ich mit niemanden reden kann, stimmt mich oft wütend und traurig und demotiviert mich unglaublich. Umso besser ist es, dass ich diese Seite entdeckt hab. Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, diesen Text zu lesen.
Lg (am liebsten vielleicht) Leo :))

Hallo Leo!

Danke, dass du dich so vertrauensvoll an uns gewendet hast. Es tut mir leid, dass du dir wegen deinem Geschlecht, deiner Kleidung und deinem Aussehen schon so viele miese Sprüche anhören musstest. Dass du dich in Jungenkleidung am wohlsten fühlst, dich freust, wenn du als “er” angesprochen wirst, dich unwohl fühlst, wenn du mit weiblichen Begriffen in Verbindung gebracht wirst und dass du allgemein von dir nur in Verbindung mit Männlichkeit sprichst, macht für mich den Fall klar: du bist ein trans Junge. (Wenn du dich denn auch so bezeichnen möchtest.) Und das ist auch gut so.

Es tut mir leid, dass du momentan niemanden hast, um über dieses Thema zu reden, das ja ganz offensichtlich wichtig für dich ist und dich auch oft sehr belastet. Ganz zuallererst mal: Du bist nicht verpflichtet, dich vor irgendwem zu outen, vor allem, wenn du dich dabei nicht sicher fühlst oder wenn du dvon ausgehen kannst, dass die Reaktionen negativ sind. Ich kann nur auch sagen: Es ist enorm befreiend für die meisten Menschen, offen über sich selbst und ihr Geschlecht reden zu können. Dafür sind wir unter anderem auch hier: Damit Menschen, die niemanden zum Reden haben, sich einmal ganz aussprechen können. Es gibt aber auch viele andere Anlaufstellen. Vielleicht gibt es ja in deiner Gegend eine queere Jugendgruppe, oder vielleicht findest du online eine Community, mit der du über dein Geschlecht und ähnliche Themen reden kannst. Denn du bist in deiner Situation nicht alleine und musst sie auch nicht alleine stämmen! Vielleicht gibt es im Umfeld ja eine Person, der du dich anvertrauen kannst – eine Person aus deinem engen Freundeskreis, eine vertraute verwandte Person oder so? Wenn du auch nur eine Person einweihen kannst, wird es danach immer einfacher, mit allem anderen umzugehen.

Wichtig ist auch: Für deine Familie sollte am allerwichtigsten sein, dass es dir gut geht und dass du dich nicht verstecken musst. Zwar denken sie vielleicht gerade noch, dass du die “EINE Nichte/Tocher/Enkelin” bist, die sie haben – das stimmt aber auch jetzt schon nicht, egal, ob sie es wissen oder nicht, und so oder so sollte das nicht so wichtig sein wie dein Wohlergehen. Wenn queere Jugendliche sich outen, dann brauchen die Familien manchmal etwas Zeit, um sich daran zu gewöhnen, weil sie ja bisher meist ein ganz anderes Bild von der Person hatten und die Person jetzt erstmal neu kennenlernen müssen. Aber viele Familien gewöhnen sich mit der Zeit daran und ich habe auch Hoffnung für dich mit deiner Familie, weil du ja schreibst, dass sie sehr tolerant ist.

Noch ein ganz praktischer Tipp: Wenn du deine Oberweite kaschieren möchtest, könnte dir ein Binder dabei helfen. Und wenn du beim Schwimmen kein Oberteil tragen willst, das weiblich aussieht, gibt es als Alternativen auch Schwimm-Shirts, die z.B. zum Surfen oder Tauchen getragen werden können – die sind dann teilweise aus Polyester oder Neopren, sind auch im Schwimmbad erlaubt und sehen meist recht maskulin oder neutral aus. Zur Not können die auch über ein “weibliches Oberteil” drübergezogen werden.

Ich hoffe, das alles konnte dir weiterhelfen. Wenn du weiterhin irgendwen zum Reden brauchst, bist du hier immer willkommen. <3

Viele Grüße,
Balthazar

Das könnte dich auch interessieren …