Kummerkastenantwort 988: Eine Freund*in hat sich als trans geoutet, was mich meine Geschlechtsidentität hinterfragen lässt.

Hallo,
Ich weiß nicht wirklich wie ich anfangen soll und wo das ganze endet. Ich selber bin vom biologischen Geschlecht her weiblich und 21 Jahre alt. Es wird auf jeden Fall wohl lang. Irgendwie bin ich durch meine beste Freundin dazu gekommen mich mit der LBGT-Szene auseinandersetzen zu müssen, da diese sich als Trans vor mir geoutet hat. Etwas wo ich sie bzw ihn definitiv unterstützen möchte wo ich kann. Das war für mich ab fast Sekunde 1 klar, auch wenn ich über die,, Folgen” der Transidentität absolut keinen Plan hatte und gerade in der ersten Woche ziemlich überfordert war. Dass sie doch noch weiter weg wohnt und das, für sie, kein Thema für am Telefon ist, hat dabei nur noch mehr geholfen mich völlig verirrt und überfordert zu fühlen.
Das ist aber nicht der Punkt. Durch Seiten wie eure, Reportagen und Bücher die sie mir geliehen hat, tut es mir zwar wahnsinnig leid, dass ich ihr das ganze nach wie vor nicht abnehmen kann, aber ich komme damit klar.
Durch Balians Geschichte, die sie mir geliehen hat, hatte ich auch endlich die Chance durch seine Worte mit Teilen meiner Vergangenheit die mich verfolgt haben umzugehen.
Zur Zeit beschränkt sich unser Kontakt leider nur auf unsere Treffen alle paar Wochen wo sonst mindestens 2 Stündige Telefonate aan der Reihe waren. Vermutlich auch eine Entwicklung dadurch, dass sie die nächsten Tage Zwischenprüfung in der Ausbildung hat. Dennoch macht es mir Angst. Zwar kann ich es durch Balians Worte(also in mir hat er echt einiges ausgelöst, was er ja immer wollte) besser verkraften und schaffe es nicht zu klammern, was sonst gerne mein,, Problem” war, dennoch habe ich Angst sie zu verlieren(die Genderung ist übrigens zum aktuellen Zeitpunkt so semirichtig. Es ist einfach noch ihre Schutzzone, dass ich es nur weiß aber nicht umsetze, bevor es noch andere Leute aus unserem Bekanntenkreis erfahren) aber gerade da liegt für mich ein riesen Problem. Sie ist ein Mensch der seine Emotionen eher versteckt hält(mit meinem jetzigen,,Wissen” aus Berichten anderer Transidentitären verständlich), was es mir unheimlich schwer macht sie so zu gendern, dass sie sich wohlfühlt. Die Info(nachdem ich mich nach langem Hadern getraut habe diese Frage zu stellen, wieso sie mit sie-Pronomen angesprochen werden will, wenn es ihr so unangenehm ist. Ohne das ich ihre Identität anzweifeln wollte) das sie es quasi als Schutz braucht, macht es einfacher. Dennoch fällt es mir schwer, da sie in ihrem Verhalten ohne das ich es wahrnehmen konnte schon immer eher mein bester Freund als meine beste Freundin war. Auch samt den Vermutungen von Anfang an, ob wir zusammen wären macht es so fast Sinn. Auch vom Verhalten wenn wir alleine war, kam mir selber manchmal der Gedanke, dass wir uns wie ein Paar verhalten würden und ging sogar so weit, dass ich mich gefragt habe ob ich lesbisch sein könnte. Das fühlte sie aber einfach nicht richtig an. Der Gedanke in der Woche nach ihrem Outing dagegen hetero zu sein und sie zu lieben dagegen fühlte sie fast befreiend an. In meinem Kopf existieren für sie inzwischen aber auch eher männliche Wörter als weibliche Das macht es mir nicht leichter angstfrei zu akzeptieren, dass unsere Freundschaft(trotz WG-Plänen dieses oder nächstes Jahr, wobei dieses Jahr es mir trotz anderer Hürden wahnsinnig erleichtern würde, da ich sie wenn sie bei ihrem Plan wann sie die Dinge wie Alltagstest etc angehen möchte, unterstützen könnte und mich auch nicht drauf verlassen müsste das sie redet.) durch ihre Entwicklung ein Ende nehmen muss, damit sie sich frei finden kann ohne dass ich ihr im Weg bin. Etwas was ich ihr sollte es nötig sein trotz allem ermöglichen möchte.

Dennoch habe ich jetzt das,, Problem”mich in dieser völlig neuen Welt auch neu einzuordnen wollen. Nein, nicht wollen. Hinterfragen zu müssen, weil meine viel zu kleine Welt auf den Kopf gedreht wurde. Der Gedanke an Cis war zwar erst vom Gefühlt der einzig richtige, aber im Nachhinein bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich mir das nicht einfach eingeredet habe, weil Transidentität(der einzige andere Begriff den ich zu dem Zeitpunkt kannte) auch nicht passte. Auch der Gedanke mich zu schminken oder sonstiges fühlt sich nicht richtig an. Zwar habe ich mich immer schon eher in der Kategorie Pferdemädchen eingeordnet(hart im Nehmen, nicht immer unbedingt auf das Äußere bedacht. Zumindest wollte ich mir das einreden) aber wenn ich jetzt einiges Revue passieren lasse, am Wochenende haben wir uns teilweise eher wie Kumpel verhalten mit kleinen Kämpfen, etwas was ich sonst nur mit meinem kleinerem Bruder gemacht habe, aber sich nicht falsch anfühlte. Mit einer anderen Frau würde es wohl vermutlich aber nicht dazu kommen. Dennoch habe ich im Grundschulalter immer eher mit den Jungs gespielt und auch eine zeitlang nur einen besten Freund und keine Freundinnen wirklich gehabt. Aber irgendwie weiß ich nicht, ob das eine Erklärung ist die ich mir an den Haaren herbeiziehe, um eine Erklärung zu haben, die es mir erspart mich weiter mit mir auseinandersetzen zu müssen. Andererseits ist ,, weibliche” Kleidung( in meinen vermutlich noch etwas festgefahren Augen Kleider, tiefer Ausschnitt, etc.) definitiv nicht meins. Ich mag meinen Körper auch in meiner Körperhaltung und meinem Sein nicht,, präsentieren”, aber mag meinen weiblichen Körper gerade dadurch, dass ich durch eher breitere Schulter und wenig Brust nicht so,, zerbrechlich”aussehe wie ich manche Frauen empfinde.
Was mir eher Gedanken macht ist das Innere. Im letzten Schuljahr in der Berufsschule hatten wir das Thema Kommunikation und sollten es in Gruppenarbeit auf verschiedene Ebenen aufdröseln(Kommunikation zwischen Männern und Männern, Frauen und Frauen und Männern und Frauen). Ich habe mit 2 anderen Männern und einer anderen Frau mit denen ich auch sonst viel gemacht habe Männer und Frauen gehabt gemerkt wie unwohl ich mich mit dem Bild gefühlt habe, dass ich wie eine Frau kommunizieren soll. Gerade weil zu diesem Bild gehört alles ewig weit besprechen zu wollen(okay. Zumindest der Punkt fehlt mir in meiner momentanen Freundschaft ja etwas auch wenn das was das Thema Trans angeht eigentlich geht) oder wie in einem Sketch von Loriot alles falsch zu verstehen(wir hatten einen Sketch wo es um die Auswahl eines Kleides geht und der Mann sagen konnte was er wollte, die Frau war dennoch beleidigt). Auch so denke ich manchmal bei bestimmten Sachen, dass das ja wohl jetzt eher eine männliche Seite an mir ist. Dennoch korrigiere ich, wenn falsche Pronomen oder Ansprachen verwendet werden sehr schnell. Wobei ich mich jetzt gerade beim Schreiben frage ob das nicht vielleicht auch eher eine reflexartig Korrektur ist um mich nicht weiter infrage stellen zu müssen.
Für eine reine innere männliche Haltung ohne großen Konflikt mit dem äußeren scheint es ja kein Wort zu geben was passt um es auf Stimmigkeit mit mir prüfen zu können. Andererseits ist es auch der Gedanke und die Angst jetzt nur etwas finden zu wollen, was,, anders” ist um eine weitere Gemeinsamkeit mit meiner besten Freundin zu haben. Wobei es auch das, glaube ich, nicht ist. Sie ist sie und ich bin ich und um es ihr erleichtern würde ich ihr die,, Bürde/Last” der Transidentität auch gerne abnehmen wenn ich könnte. Und dann wiederherum fand ich es immer schon im Innern falsch mich mit typischen Frauencharaktereigenschaften abstempeln lassen zu müssen.

Ich glaube ich bin gerade einfach völlig rastlos, habe Angst loszulassen, bin aber auch schon insofern dabei, dass ich sie nicht mit WhatsApp vollspamme sondern warten kann, überfordert damit Geduld und Vertrauen zu haben und dazu noch mit mir selbst nicht im reinen, weil mir eben genannte Gedanken und das zerstörte Selbstbewusstsein einer Mobbing Vergangenheit im Weg stehen.

Falls es auf meinen vermutlich etwas wirren Romananfang eine Antwort mit hilfreichen Gedankenanstößen geben kann, würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße

Hallo,

danke für deine Nachricht. Ich lese daraus, dass du ganz viele Fragezeichen und Unsicherheit hast und ich versuche mal dir die gewünschten Gedankenanstöße als Antwort zu formulieren.

Dass eins sich selbst mehr hinterfragt, wenn sich Freund*innen outen ist ganz normal, denke ich. In solchen Momenten gibt es neuen Input, bisherige Weltbilder werden in Frage gestellt und eins muss Dinge im Umgang mit der Freund*in (ver)lernen. Dennoch finde ich es wichtig, der sich-outenden Person erst mal ganz viel Raum für ihren Prozess zu geben, sie zu unterstützen, zu fragen was sie von dir braucht und was nicht und sich Zeit zunehmen um sich zu informieren. Momentan sollte deine Freund*in mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Sorgen im Zentrum stehen. Das heißt nicht, dass deine Gedanken und Gefühle keine Rolle spielen, sondern dass sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt in eurer Freund*innenschaft den Raum und die Zeit bekommen, die sie verdienen.

Was du in Bezug auf die Unsicherheit mit deiner Rolle als Frau beschreibst klingt für mich vor allem nach einem sehr stereotypen Bild vom Frau-sein. Es gibt keine weiblichen oder männlichen Eigenschaften und was ihr da in der Schule über weibliches und männliches Kommunizieren gelernt habt ist – entschuldige die Wortwahl – ziemlich große Sch***e! Letztendlich bist du die einzige Person die definieren kann, welche Geschlechtsidentität sie hat, aber für mich klingt es so als würdest du dich mit dem Label “Frau” eigentlich wohl fühlen, nur eben nicht so gerne Sachen machen und mögen die als “typisch weiblich” gelten. Aber surprise: typisch weiblich gibt es gar nicht. Manche Frauen tragen gerne Latzhosen und Blaumänner, manche Frauen kämpfen, manche Frauen kommunizieren ganz direkt – weil Menschen nämlich alle einfach unterschiedlich sind.

Diese zwei Dinge möchte ich dir gerne mitgeben. Ob sie hilfreich sind oder nicht musst du entscheiden. Ich wünsche dir jedenfalls alles Gute und dass du deiner Freund*in eine gute Unterstützung bei der Transition sein kannst.

Viele Grüße,

Rabia

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