Kummerkastenantwort 1.308: Ich habe Angst vor Diskriminierung im Beruf, weil ich nicht-binär bin.
Hallo Menschen vom Queerlexikon.
Ich studiere im Moment Lehramt und sehr lange war es selbstverständlich für mich, dass ich Lehrer*in werden möchte. Seit einem halben Jahr bin ich jetzt als nicht binär geoutet und damit kamen plötzlich Existenzängste was das angeht. Ich bin afab und möchte vermutlich nicht drastisch medizinisch transitionieren, sehe mich aber trotzdem überhaupt nicht als Frau und benutze am liebsten es/sein im Notfall auch er/sein Pronomen. Ich habe Angst, dass ich keine Schule finde, in der ich relativ diskriminierungsarm als nicht binärer Mensch arbeiten kann, habe (und will) aber auch kein gut genügend Passing um als trans* Mann dort zu arbeiten. Ich mache mir Sorgen um unverständnisvolle Kolleg*innen, wütende Eltern und Kinder, die mich deswegen nicht ernst nehmen. Bin aber jetzt auch schon fast vier Jahre am studieren, kann und will eigentlich nichts anderes machen. Habt ihr irgendeinen Rat?
Hallo lieber Mensch,
ich verstehe deine Angst. Es gibt leider echt noch nicht viele Vergleichswerte für nichtbinäre Menschen in professionellen Berufssettings, und deshalb lässt sich nicht wirklich vorhersagen, wie irgendwer reagieren wird. Meine ganz persönliche Ansicht ist: Wir befinden uns derzeit an einem wichtigen Wendepunkt. Mit dem Geschlechtseintrag “divers” ist Nichtbinarität und Intergeschlechtlichkeit als Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen und in den nächsten Jahren wird sich vermutlich in dieser Hinsicht viel bewegen. Menschen wie du (und ehrlich gesagt auch ich) stehen jetzt also an der Spitze dieser Sache, kurz vor dem Berufseinstieg, und an uns wird sich zeigen, wie weit die Gesellschaft an welcher Stelle tatsächlich schon ist und wie viele Kämpfe uns noch bevorstehen. Ich kann da noch so viel Zuckerguss drüber streuen, aber: Einfach wird es für uns trotzdem nicht. An manchen Tagen bin ich einfach müde davon, immer Vorreiter*in sein zu müssen, immer mit meiner Existenz Bildungs- und Aufklärungsarbeit leisten zu müssen, ständig auf meine nichtbinäre Identität reduziert zu werden und nicht einfach mal nur sein zu können.
Trotzdem möchte ich dir Mut machen, es zu versuchen, wenn du möchtest. Vorreiter*in sein ist nicht für jede*n was und es kann eine Menge Arbeit und Belastung sein, aber es kann auch ungemein bestärken. Du hast hier die Chance, für alle von uns einen Weg zu ebnen! Und du bist dabei nicht allein! Vor gar nicht allzu langer Zeit hat der Hashtag #TeachOut auf Social Media seine Runden gemacht und eine große Bewegung und Verbindung von queeren Lehrer*innen ausgelöst, die u.a. für mehr Sichtbarkeit und bessere Unterstützung als queere Lehrpersonen kämpfen. Mit solchen Zusammenschlüssen kann einiges erreicht werden. Vielleicht findest du ja in dieser Bewegung auch Menschen für einen Austausch, für Zusammenschlüsse und zur gegenseitigen Bestärkung.
Ob du ihn annehmen möchtest oder nicht, bleibt deine Entscheidung, aber mein Vorschlag ist: Sei so authentisch du selbst wie nur möglich und versuch es einfach mal. Mich persönlich hat es immer am weitesten gebracht, selbstbewusst so zu tun, als würde ich überhaupt kein Problem erwarten, mit meiner Identität, meinen Pronomen, meinem (nicht vorhandenen) Passing. So konnte ich andere Menschen in die unangenehme Situation bringen, das ‘Problem’ von sich aus ansprechen zu müssen. Gerade im beruflichen Kontext machen das die wenigsten Menschen gern, weil es eine Angst vor Diskriminierungsvorwürfen oder gar Klagen gibt.
Und falls du irgendwann doch merken solltest, dass die Belastung oder der Widerstand zu groß wird, ist es immer noch okay, die Richtung zu ändern. Du hast nichts verschwendet oder verschenkt, wenn du es versuchst, und du hast genausowenig Zeit vergeudet, falls du jetzt schon beschließt, dass du lieber doch einen anderen Weg einschlagen möchtest. Alles, was du lernst und jede gemachte Erfahrung bringt dich auf die ein oder andere Weise weiter. Und in einem bin ich mir sicher: Es gibt schon jetzt in allen Berufsfeldern überall nichtbinäre Menschen, und wir werden in der Zukunft nur noch sichtbarer werden. Wir gehören überall hin, und wir dürfen uns dieses Recht einfordern!
Ich wünsche dir alles, alles Gute!
Viele Grüße,
Balthazar