Kummerkastenantwort 1.732: Woher weiß ich, ob ich trans, cis oder genderfluid bin?

Hallo,
seit ungefähr zwei Jahren überlege ich jetzt schon, nicht cis zu sein. Aufgrund dieser langen Zeit des Zweifelns bin ich mir auch relativ sicher, dass das stimmt – andernfalls hätte ich bestimmt irgendwann gesagt “gut jetzt, du bist eine Frau”. Seit längerer Zeit benutze ich in meinem Kopf das Label genderfluid für mich, allerdings bin ich mir inzwischen nicht mehr sicher, ob meine “weiblichen” Phasen wirklich “echt” sind, oder ob ich mich zeitweise einfach nur mehr mit meinem Körper arrangiere. Ich habe auch keine/wenig Dysphoria, nur die letzten Tage, an denen ich mich viel mit dem Thema beschäftige, fühle ich mich irgendwie traurig/nostalgisch wenn ich in den Spiegel schaue. Ich sehe mich als hübsches Mädchen und habe gleichzeitig die leise Ahnung, dass ich versuche, jemand anderes zu sein. Mein Problem ist jetzt, dass ich mich zurzeit ziemlich männlich fühle und ernsthaft darüber nachdenke, ein Transmann zu sein. Gleichzeitig habe ich aber Angst, in nächster Zeit, vielleicht sogar nach einem Outing, herausfinden zu müssen, dass ich doch “nur” genderfluid bin und mich wieder weiblich fühle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dann diese “männliche” Phase leugnen würde, so wie ich jetzt Angst habe, früher “weiblichere” Phasen gehabt zu haben und sie momentan zu leugnen. Dazu kommt, dass ich Angst habe, in meinem Kopf Identitäten wie Non-Binary oder eben genderfluid konsequent für mich auszuschließen, weil ein Outing als eine solche Identität schwieriger wäre, bzw. in Teilen meines Umfeldes ganz unmöglich wäre. Wie kann ich unterscheiden, ob ich Trans, Cis oder genderfluid bin?

LG (vielleicht) Finn

Hi Finn!

Es gibt leider keine sichere Möglichkeit zu bestimmen, ob du cis, trans und/oder genderfluid bist. Die sicherste Methode ist auszuprobieren, womit es dir besser geht. Wenn du aber in einem Umfeld bist, das dich nicht dabei unterstützt, geht das aber zugegeben nicht so einfach.

Wenn sich genderfluid oder auch andere Label für dich gut anfühlen, dann ist da wahrscheinlich was dran. Und da du dich dazu auch noch dysphorisch fühlst (ja, dieses Gefühl von Trauer kann durchaus schon Dysphorie sein), klingt das für mich eher nicht, als wärst du cis. Das muss nicht bzw. nicht für immer stimmen. Du bist aber definitiv trans und genderfluid genug, um dich so zu nennen, wenn du möchtest. Und wenn alles unsicher ist, ist questioning immer ein Label, das dir offen steht.

Die nächste Frage ist, ob und wie du damit umgehen willst. Möglicherweise würde es dir gut tun, zu transitionieren. Dabei denken viele direkt an OPs, Hormone und Bürokratie. Aber Transition kann alles sein, in beliebig großem Umfang, beliebig kleinen Schritten und beliebiger Reihenfolge passieren. Es kann zum Beispiel sein, dich bei einer befreundeten Person, die es für sich behält, zu outen. Oder einen anderen Kleidungsstil, eine neue Frisur, Binder oder ähnliche Dinge im Bezug auf Geschlechtsrepräsentation ausprobieren. Vielleicht ist offline auch alles zu stressig und du möchtest dich lieber annonym im Internet rantasten. Sowas geht z.B. auf einem separaten social media account oder in unserm Regenbogenchat, wenn du noch unter Jugendliche*r/junge Erwachsene*r fällst.

Fühl dich dabei bitte auf keinen Fall gezwungen etwas zu machen, was dir mehr schadet als nutzt. Es ist in Ordnung, wenn du zum Schutz vor diskriminierenden Menschen nichts weiter machen möchtest, als für dich selbst deine Identität zu klären. Genauso ok ist es, dir ein neues Umfeld zu suchen, in dem du ganz offen du selbst sein kannst. Und alles dazwischen geht auch. Probier aus, was du brauchst und was dir gut tut. Was und wie viel oder wenig das ist, macht dein Geschlecht nicht weniger echt. Welches Geschlecht du hast weißt nur du und wie viel du andere daran teilhaben lässt, ist allein deine Entscheidung!

Liebe Grüße
Lir


PS: Noch ein kleiner Hinweis, der nichts direkt mit deiner Frage zu tun hat: cis und trans sind Adjektive und beschreiben nur, ob das Geschlecht von dem bei Geburt zugewiesenen abweicht. Die meisten trans Personen möchten deshalb, dass man trans Mann statt Transmann schreibt. Die zusammengezogene Variante impliziert, dass es eigentlich kein Mann, sondern etwas anderes ist. Bei anderen Adjektiven wird das ja auch nicht gemacht. Wenn man das nicht weiß, ist das kein Drama, und als Selbstbezeichnung ist es sowieso ok, aber wenn du über andere redes, bist du mit der Adjektiv Schreibweise auf der sicheren Seite. 🙂

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