Kummerkastenantwort 2.274: Ich bin nicht weiblich. Und meine Familie akzeptiert mich nicht.

Hey, ich bin 19, afab. Ich wollte euch schon öfter schreiben, aber habe es dann doch nicht getan. Trotzdem möchte ich euch sagen, dass eure Arbeit wirklich klasse ist. Vielen Dank dafür. Ich konnte so einen Teil meines queeren Imposter Syndroms überwinden. Ich entschuldige mich schon mal für den langen zweiteiligen Text.
Mein erstes Problem und das, was mich schon seit einem Jahr begleitet ist mein Gender. Ich habe irgendwie das Gefühl nicht wirklich weiblich zu sein. Ich fühle mich extrem unwohl, wenn Leute mich „Frau“ oder „Mädchen“ nennen und an einigen Tagen auch, wenn ich meine nicht so flache Brust sehe. Hin und wieder denke ich, dass ich mir alles nur einbilde und eigentlich cis bin, aber wenn ich schon so lange darüber nachdenke, ist es meist nicht so, oder? Jedenfalls weiß ich, dass ich kein Label brauche aber wenn ich eins finden könnte, würde ich mich vielleicht etwas besser fühlen. Ich fühle mich irgendwie feminin, aber das liegt vielleicht auch eher daran, dass ich feminine Kleidung mag. Wenn man auch die ganzen Stereotypen (btw: denen ich nicht entspreche) und das Aussehen weglässt, fühle ich mich überhaupt nicht wie ein Mädchen. Aber auch nicht wie ein Junge und bin mir unsicher, wie sich dieses Gefühl eines bestimmten Genders direkt anfühlt (wie z.B. weiblich zu sein). Ich kann immer nur sagen, was ich nicht bin. Die Label nichtbinär oder demigirl haben auch nicht zu mir gepasst. Über agender hatte ich auch schon nachgedacht und librafeminin und genderqueer, aber war mir dann unsicher, ob die überhaupt auf mich zutreffen, da die Definitionen mir selten weitergeholfen haben. Jedes Mal, wenn mich jemand fragt, ob ich ein Mädchen oder Junge bin (kommt häufiger vor, weil mein Name nicht so eindeutig ist) möchte ich einfach nur antworten „Ich bin ich“. Habt ihr vielleicht einen Rat? (1)

(2) Ein anderes Problem ist, dass ich mich als asexuell und (wahrscheinlich) lesbisch bei meinen Eltern und meiner Oma geoutet habe und das nicht so verlaufen ist, wie ich es mir gewünscht habe. Meine Oma hat mich bzgl. meiner Asexualität und anderem beleidigt und zum Mädchen mögen gesagt „Tun wir das nicht alle ein wenig?“ und seitdem will sie mich noch verstärkt mit jedem x-beliebigen Typen verkuppeln. Mein Papa macht nur Witze über alles Mögliche oder macht Geräusche wie ugh, was mich kränkt. Das fängt bei Homosexualität an (obwohl ich nicht mal die erste in unserer Familie bin, die nicht hetero ist) und endet bei trans Personen. Meine Mom hingegen ist etwas offener, allerdings wollte sie von mir eine genaue Erklärung haben, wieso ich auf Mädchen stehe und von der Norm abweiche. Das sei doch alles nur durch die Medien. Dass ich ace bin und wahrscheinlich lesbisch hat sie damit abgetan, dass ich noch nie Sex hatte und erst richtig guten mit einem Mann haben müsste um das zu wissen. Nein danke. Als ich mal kurz etwas von meinem Gender erzählt hatte, war sie sich sicher, dass ich einfach nur verwirrt bin. Ich weiß nicht, was ich noch tun kann, damit sie mir glauben und mich akzeptieren.
Ich habe nach einer Erklärung für meine Mom in dem Moment gesucht, aber konnte keine finden oder formulieren. Ich fühle mich extrem schlecht und down und wünsche mir einfach nur von meiner Familie die Unterstützung zu bekommen, die ich mir auch wünsche. Ich habe Angst ein Gespräch zu suchen, weil ich dann mit Worten nicht das sagen kann, was ich sagen will. Ich kann keinen Brief schreiben, weil ich früher für so etwas getadelt wurde und sie niemand lesen wollte. –„Man könnte das ja auch sagen.“
Ich habe auch schon bei einer Telefonberatung für Jugendliche gegen Kummer angerufen, doch die haben mich weggedrückt, nachdem ich von meinem Coming Out erzählt habe.
Habt ihr vielleicht einen Rat für mich?
Vielen Dank im Voraus

Hej,

(1) dein Gender definierst nur du. Du wirst keine zwei Menschen finden, die ihr Geschlecht genau gleich empfinden und es genau gleich definieren. Wenn du also das Gefühl hast, dass ein Label zu dir passt, du dich damit wohlfühlst – nutze es. Dein Label muss für dich funktionieren, niemals du für dein Label.

(2) Kannst du dich mit den anderen Queers in deiner Familie verbünden und austauschen? Zusammen ist man stärker und robuster gegen das, was da von Außen kommt. Vielleicht könnt ihr zusammen auch ansprechen, was euch verletzt?

Falls du doch ein Gespräch suchst, kannst du übrigens trotzdem einen Brief schreiben, den du vorliest. Wünsche dir vorher von allen, die das hören, dass sie dich bis zum Ende lesen lassen, ohne dich zu unterbrechen – und zwar auch nicht mir “ugh” oder ähnlichem. Nach dem Lesen könnt ihr dann darüber reden.

Gerade zu solchen Gesprächen kann es helfen, wenn du dir eine Person zur Unterstützung dazu holst, eine*n Freund*in oder eben die andere(n) queere(n) Person(en) in der Familie. Ansonsten schau vielleicht, ob du Kontakt zu queeren (Jugend)Zentren in deiner Nähe aufbauen kannst, um dort Anschluss zu finden.

Liebe Grüße,
Valo

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