Kummerkastenantwort 1.781: Ich bin mir unsicher über meine Identität

Hallo, ich (14, AFAB) identifiziere mich inzwischen als genderfluid, habe aber ständig das Gefühl, mir alles nur einzubilden oder hochzuspielen. Die Sache ist die, dass ich mich nie zu 100% weiblich gefühlt habe, aber es wohl nicht wirklich wahrgenommen habe. Im April dieses Jahres hatte ich dann einen Tag, an dem es sozusagen Klick gemacht hat und ich wusste, nicht weiblich zu sein (war da agender). Ich habe nach einem Monat das Label genderflux gefunden und mich erstmal damit identifiziert. Ab da habe ich die Schwankungen in meiner Identität deutlicher wahrgenommen (aber alles was nicht weiblich war einfach als agender abgetan). Ich habe auch gemerkt, dass ich schon früh “Zeichen” hatte, nicht komplett cis zu sein.
Zum Beispiel war es für mich immer normal, meinen Namen, sie/ihr Pronomen, Ausdrücke wie “Mädchen”, “Junge Dame” oder “Tochter”, “Schwester” teilweise abzulehnen oder nicht zu mögen. Stereotypen habe ich immer gehasst, war aber immer hin und her gerissen (Freunde von verschiedenen Geschlechtern, “Jungs” und “Mädchen” Sachen, etc), wollte also sozusagen immer alles ein bisschen sein. Aber das war “natürlich einfach nur, weil ich gerne gegen den Strom schwimme und von offenen Eltern erzogen wurde”.
Schließlich hatte ich einen Tag, wo ich mich teilweise männlich gefühlt habe – also passte genderflux nicht mehr als Label, sondern genderfluid. Seit ich mich so identifiziere, nehme ich aber meine Geschlechter alle viel deutlicher wahr und habe auch öfter und stärkere Dysphorie.
Es fühlt sich so an, als würde ich alle “Symptome”, sage ich mal, übertreiben und hochspielen. Ich habe euren Artikel über das queere Impostersyndrom heißen und mich darin wiedergefunden. Selbst wenn ich heulend in meinem Zimmer hänge, weil ich meine Brüste nicht mehr will, fühle ich mich, als würde ich mir das einbilden um was Besonderes zu sein.
Ich habe niemanden, mit dem ich über meine Gefühle reden kann, aber um mich zu outen bin ich noch zu unsicher… es ist eine Zwickmühle.😣

Hi!

Du sprichst da zwei sehr häufige Probleme an. Das queere Imposter Syndrom hast du ja selbst schon erkannt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir deine Geschlechter nur einbildest, weil du etwas besonderes sein willst. Queer sein bringt nämlich keine besonderen Vorteile mit sich, außer der Möglichkeit man selbst zu sein. Außerdem klingt es für mich nicht wirklich aufmerksamkeitheischend, sich ungeoutet und alleine über die eigene Identität Sorgen zu machen. 😉

Bei der Zwickmühle stimme ich dir auch zu. Ohne jemanden zum reden ist es oft nicht leicht sich wirklich über die eigene Identität klarzuwerden. Wenn aussprechen also nicht drin ist, kann es helfen Dinge aufzuschreiben. Damit kann man schwammige Gefühle vielleicht ein bisschen besser eingrenzen. Das kann zum Beispiel hier sein, oder auch für dich selbst in einem Tagebuch oä. Wenn dir aber der Austausch wichtig ist und weiter hilft, könnte vielleicht der Regenbogenchat eine gute Anlaufstelle für dich sein. Dort gibt es andere queere Jugendliche, die sich ebenfalls mit solchen Fragen beschäfigen. Komm gerne mal vorbei!

Und um es nochmal ganz deutlich zu sagen: du bist queer genug. Wenn genderfluid jetzt grade passt und sich gut anfühlt, darfst du dich so nennen. Selbst wenn du es dir nur einbilden solltest, ist es ja zumindest im Moment richtig. Und das reicht vollkommen.

Liebe Grüße
Lir

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