Die AIDS-Pandemie
Jascha „tomate“ Urbach ist HIV-positiv und hält regelmäßig Vorträge über Sexualität, Queerness und Gedöns. Auf seinem Blog unter https://tomate.su und auf seinem Twitter-Account @herrurbach schreibt er regelmäßig Über queere Themen und auch immer wieder zum Leben mit HIV.
Covid-19 ist nicht die erste und sicherlich auch nicht die letzte Pandemie. Oft wurden für die jetzt seit anderthalb Jahren laufende Pandemie Vergleiche zur spanischen Grippe gezogen, die vor über 100 Jahren die Welt heimgesucht hat. Und wenn irgendwo etwas nicht so gut läuft, werden gerne Vergleiche zu AIDS gezogen. AIDS und HIV werden so oft bemüht wie schon lange nicht mehr und doch wissen viele wenig bis gar nichts darüber.
Offiziell begann die AIDS-Epidemie in den Vereinigten Staaten am 5. Juni 1981, als das Center for Disease Prevention and Control (CDC – Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention) von fünf Fällen unterschiedlicher Lungenentzündungen in Los Angeles berichtete. In den nächsten 18 Monaten fanden sich mehrere solcher Cluster im gesamten Land. Da es sich ausnahmslos um homosexuelle Männer handelte, wurde die Krankheit GRID (gay-related immune deficiency – Schwulenbezogene Immunschwäche) genannt. 1982 wurde die Erkankung in AIDS umbenannt.
1984 wurde das AIDS-verursachende Virus erstmalig isoliert und HIV (Humane Immundefizienz-Virus) getauft. Es hat also nur 3 Jahre vom erstmaligen Auftreten der Erkrankung bis zur Isolation des Virus gedauert. Wir wissen heute, dass das Virus schon viel länger seinen Weg durch die Welt sucht: seit 1910 (+/- 20 Jahre) scheint das Virus in der Welt zu sein. Untersuchungen alter konservierter Gewebeproben konnte die älteste nachweisbare HIV-Infektion auf 1959 datiert werden. Und wir wissen auch, dass das Virus seit mindestens den 1920er Jahren in Léopoldville kursierte.
Zurück zum Beginn der Epedemie in den USA. Viele an GRID / später AIDS Erkrankten starben alleine in den Krankenhäusern. Nicht einmal Pflegepersonal traute sich in die Zimmer der Sterbenden. An AIDS Erkrankte vor der Hospitalisierung hatten keine Orte, an denen sie sich aufhalten konnten, zumindest anfangs. Es waren die Lederfetischisten, die ihre Bars für AIDS-Erkrankten öffneten und sie willkommen heißen, sich ihre Ängste und Sorgen anhörten und sie eben nicht ausschlossen. In den Krankenhäusern saßen oft Dykes on Bikes an den Betten der Sterbenden und begleiteten sie auf ihrem letzten Weg.
AIDS war ein Todesurteil, bis auf der XI. Internationalen Aidskonferenz 1996 die erste Kombinationstherapie vorgestellt wurde, die den Ausbruch von AIDS verhindert und sogar teilweise rückgängig machen kann. Mehrer Wirkstoffe haben verschieden Aufgaben: Verhindern des Eindringen des Virus, sie hindern das Virus daran, das Kommando in der Zelle zu übernehmen und ein anderer, dass die Zelle neue Viren freisetzt. Noch heute leben Menschen, denen Anfang der 1990er Jahre gesagt wurde, dass sie an AIDS sterben werden und die dank der antiretroviralen Therapie ein langes und erfülltes Leben führen.
2008 brach die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen (EKAF) eine Lanze für HIV-positive Menschen unter erfolgreicher Therapie: sie stellte fest, dass diejenigen, die unter Therapie sind, das Virus auch bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr nicht weitergeben können. Sie sind nicht infektiös.
Seitdem werden die Medikamente immer besser – von 3 Tabletten hin zu Kombinationswirkstoffen in einer Tablette, die einmal täglich eingenommen wird. In den ersten Ländern sind Depotspritzen zugelassen worden, die 2 Monate lang den Wirkstoff frei setzen.
Mit der PrEP (Prä Expositione Prophylaxe) können sich zum ersten Mal Bottoms selbst vor einer Infektion zuverlässig schützen und auch bei einem Risikokontakt ohne Schutz gibt es mit der PEP (Post Expositions Prophylaxe) die Möglichkeit, eine Infektion zu verhindern. Der Schrecken von AIDS sollte eigentlich verloren sein, aber wie immer ist die Realität eine andere.
In Deutschland leben 91.400 Menschen mit HIV. 73% von ihnen haben Angst vor der Stigmatisierung wegen ihres HIV-Status. HIV und AIDS sind immer noch so stark stigamtisiert, dass 16% aller HIV-Positiven eine Behandlung bei Zahnarzt verweigert wurde. Die meisten Menschen in Deutschland wissen nicht, dass eine nicht erkennbare Viruslast zu 100% Schutz vor Infektionen bietet. Viele wissen auch nicht, dass Berührungen, Speichel, Schweiß, Tränen oder Urin das Virus nicht übertragen können. Viele glauben, dass HIV-Positive an AIDS sterben werden.
Für die meisten positiven Menschen ist HIV nicht das Problem, sondern das frühe Aufstehen, weil sie zur Arbeit müssen. Oder dass es echt schwer ist, in Berlin eine Wohnung zu finden. Probleme bereiten Beziehungsstress oder Prüfungsstress in der Uni. HIV-Positive haben die gleichen Probleme wie alle Anderen auch, aber tragen zusätzlich noch die Last der Stigmatisierung, die ihre Infektion mit sich bringt.
Heute am Welt-Aids-Tag denken wir an diejenigen einer ganzen Generation, die gestorben sind und in unserer queeren Familie Lücken hinterlassen haben, die wir nicht schließen können. Wir denken aber auch an die, die wegen ihrer HIV-Infektion Ausgrenzung und Zurückweisung erfahren, weil sie den Status HIV-positiv besitzen.
Weiterlesen bei der Aidshilfe:
Leben mit HIV
HIV unter Therapie nicht übertragbar
Sich mit Medikamenten vor HIV schützen
2 Antworten
[…] 1. Dezember war World AIDS Day, zu dem uns Jascha Urbach einen Gastbeitrag zur AIDS-Pandemie geschrieben hat. Gleichzeitig verlosen wir den Film “120 BPM”, der vom Aktivismus der […]
[…] könnte. Natürlich konnte ich das und ihr könnt drüben beim Queer-Lexikon meinen Text „Die AIDS-Pandemie“ […]