Kummerkastenantwort 2.001: Meine Eltern akzeptieren mein Coming Out als trans nicht.
CN Suizidalität
Teil 1 (Caven):
Hallo.
Ich bin 14 ½ Jahre alt und afab. Es kostet mich einige Überwindung, das hier zu schreiben, weil für mich ist das Thema „trans*“ recht schwierig und auch mit viel Negativität behaftet. Mit knapp 13 Jahren hatte ich mein Coming Out als lesbisch und nicht-binär bei meinen Eltern, auf das nicht sehr gut reagiert wurde.Mir wurde verboten, mich in irgendeiner Weise zu outen und auch mich auf irgendeine Weise über dieses Thema zu informieren. Seitdem leide ich darunter, mit meinem Deadname angesprochen oder insgesamt als Mädchen behandelt zu werden, weil ich das einfach nicht bin.
Das hat mich an den Rand des Wahnsinns getrieben und ich denke auch teilweise heute noch über Suizid nach. Ich soll bald in Therapie gehen, aber ihr wisst ja wie das mit den Wartezeiten ist. Außerdem schäme ich mich für die Suizidgedanken, weil es ja doch irgendwie belastendere Themen gibt, die so etwas auslösen können, weshalb auch davon niemand weiß.
Irgendwann kam dann für mich die Zeit, in der ich mir eingeredet habe, dass ich ja irgendwie Mädchen bin, weil ich figurbetonte Kleidung mag, genauso wie Nagellack und Schminken. Es wird von mir erwartet, dass ich ein Mädchen bin, deshalb bin ich das auch, war und ist teilweise meine Denkweise.
Doch seit kurzem kommt der Gedanke, trans* männlich zu sein immer öfter und immer stärker in mir hoch. Heimlich, vor allem nachts, schaue ich mir TikToks an und beneide die Menschen, die es geschafft haben, zu sich selbst zu stehen und ihre Transition durchgeführt haben. Ich bin soweit, dass ich mir eingestehen kann, dass ich auch so ein Leben haben möchte. Ein Leben als Mann. Aber wie soll das in meiner Familie funktionieren?Teil 2 (Caven):
Ich kann mir keinen Binder holen, weil meine Eltern mir das verbieten und ich keine andere Möglichkeit habe, obwohl mich die Dysphorie manchmal fast umbringt. Ich kann ihnen teilweise nicht mehr in die Augen sehen, weil ansonsten der Hass hochkocht, obwohl ich sie doch irgendwie liebe. Sie sind meine Familie. Und ich wünsche mir nichts sehnlicher als von ihnen akzeptiert zu werden und dass sie mich unterstützen.
Wie kann ich lernen, zu akzeptieren, dass ich trans* männlich bin? Wie kann ich dazu stehen? Was kann ich tun, damit ich mich wohler fühle?
Ich hoffe, dass ihr mir helfen könnt. Danke schon mal im Voraus.
Euer Caven
Hallo Caven,
ich hab da ein paar rein sachliche Infos für dich:
- deine Eltern dürfen dir nicht verbieten
- dich über sexuelle Orientierung zu informieren
- dich über Geschlechter und Nicht-Binärität zu informieren
- mit anderen über dich zu reden
- Klamotten zu tragen, in denen du dich wohl fühlst
- egal, in welcher Beziehung du zu Menschen stehst oder standest, manchmal ist die einzig gute Zukunft für dich (zeitweise) ohne diese Menschen
Soviel der rein sachliche Teil. Zu den ersten Punkten haben wir hier im Blog auch mal Anwältinnen interviewt, die sich da weiter auskennen. Vielleicht findest du da noch mehr dazu, wie deine Rechte sind, was deine Eltern dürfen, und was nicht.
geh auf Abstand
Du fragst, wie du zu Sicherheit kommen kannst, dass du wirklich trans* bist. Du fragst das, nachdem du uns erzählt hast, wie du drunter leidest, dass du kaum du sein kannst, wie Dysphorie und Depression dich aufisst – ich glaube, es wird schwierig, mehr Sicherheit zu finden, dass das, was du leben sollst, nicht du bist.
Die Frage ist eher, wie kommst du da raus. Also sowohl im übertragenen Sinne, wie du mehr und mehr die Dinge tun kannst, die dir gut tun, leben kannst, wer du bist. Als auch, was bei dir sicherlich mindestens mal wert ist, drüber nachzudenken, wie du zeitweise aus diesem Umfeld rauskommen kannst.
An diesem Punkt wird es schwer für uns in einem anonymen Kummerkasten, die genauen Punkte aufzuzeigen, wer und wo da die richtigen Kontakte sind, wer sich auskennt und dich vor Ort unterstützen kann.
Vielleicht gibt es bei dir in der Gegend ja eine queere Jugendgruppe oder ein städtisches Jugendzentrum oder sowas. Und vielleicht gibt es dort im Team Sozialarbeiter*innen, denen du dich anvertrauen kannst. Das ganze vor dem Hintergrundwissen, dass es über das Jugendamt Notschlafplätze für Jugendliche gibt, die dauerhaft oder übergangsweise Abstand von ihren Familien brauchen. Und du klingst stark, als könnten sich einige deiner Probleme mit diesem Abstand deutlich entspannen. Wenn du möchtest, können wir dich im Mailkontakt dabei unterstützen. Schreib uns dazu an hallo@queer-lexikon.net
Wenn dir das zu heftig erscheint: ja, das ist ein krasser Schritt und einer der letzten aber auch mächtigsten den du gehen kannst. Gerade jetzt in der Pandemie ist bisschen schwierig, da was weniger extremes zu finden. Sehr viel Zeit bei Freund*innen beispielsweise ist ja nicht so richtig eine Option, wenn Kontakte immer noch vermieden werden sollten.
zieh rote Linien
Du darfst Dinge für dich einfordern. Auch wenns stressig wird oder das deinen Eltern nicht gefällt. Du willst dich nicht schminken? Tus nicht. Du brauchst diesen übergroßen Hoodie, um dich und all deine Dysphorie drunter zu verstecken? Her damit. Niemand, auch nicht deine Eltern, haben ein Anrecht, dass du dich rechtfertigen musst, dafür, wer du bist. Passt ihnen nicht? Das müssen sie mit sich aushandeln, nicht mit dir. Es steht ihnen frei, sich zum Beispiel im Queer Lexikon zu informieren. Sie können dich sachlich fragen, was du möchtest und was du brauchst und dann kann man im Rahmen eurer Möglichkeiten schauen, was da geht. Ein kategorisches nein ist keine Option.
So. Das ist eine ganze Menge und ich denke, das muss sich erstmal setzen. Ganz wichtig: Du darfst du sein und das ist genug und gut. Und du hast Rechte, die du einfordern kannst und die dir zustehen.
Alles Gute
Xenia