Was soll eigentlich ein Mann sein?

Rhetorische Fragen in Überschriften sind schlechter Stil, hab ich gehört. Macht nichts, passt auch gut zu dem, was jetzt kommt. Buckle Up.

Dieser Artikel könnte sehr gut sein: „Haben wir ja in Bio gelernt. Männlich sind Menschen, die einen Penis und Hoden und wahrscheinlich Haare im Gesicht haben. Breite Schultern, schmales Becken, groß und muskulös.“

Funfact: die kleinste Person, die ich näher kenne, ist ein Mann. Eine der körperlich stärksten Personen, die ich kenne, eine Frau. So kommen wir also nicht wirklich weiter. Es bräuchte für eine solide Definition Aspekte, die sich eindeutig messen oder erfassen lassen und anhand derer wir eine Aussage über Geschlecht machen können; sozusagen harte Fakten.

Wir machen uns also auf die Suche. Können wir was messen oder feststellen, das dann ziemlich direkt dazu führt, Männlichkeit festzustellen oder auszuschließen? Direkt deswegen, weil wir die implizite Annahme mitnehmen, dass Männlichkeit etwas biologisches ist und somit in der Biologie schon drin ist und nicht erst durch aufwendige Interpretation dann offenbart wird.

Harte Fakten

Die Menge an möglichen Merkmalen, die wir aus Bio mitgenommen haben, bringt uns in ihrer Gesamtheit nicht wirklich ans Ziel. Versuchen wir also mal folgendes: Eine “Leiteigenschaft”, die einfach bestimmbar ist und anhand der das dann festgemacht werden kann. Vielleicht stellen wir fest, dass eine allein nicht reicht, dann klappts vielleicht mit zwei oder drei. Fangen wir mal mit Organen an und damit ob sie vorhanden sind. Was auch oft versucht wird, ist, Geschlecht an Fortpflanzungsfähigkeit zu knüpfen. Oder an Hormone oder Gene.

Organe

Das erste, was hier häufig fällt, wäre ein Penis. Wer einen Penis hat, ist ein Mann oder so. Nun. Ein Penis ist, mit ein paar Extras, eigentlich erstmal ne Körperöffnung, die es ermöglicht, Urin aus dem Körper auszuscheiden. Das ist ziemlich praktisch und wenn der Besitz einer solchen Mann definiert, tun mir alle Frauen leid, Blase entleeren muss schwierig sein.
Aber!, höre ich schon aus der Distanz, es kann ja auch andere Körperöffnungen dafür geben. Sehr guter Einwand. Die Art und Weise, wie wir Urin in die Umwelt entlassen, ist also kein Anhaltspunkt für eine Geschlechtsdefinition.

Ich sehe das Augenrollen bis hierhin, es ginge ja gar nicht um den Penis eigentlich sondern um die Hoden dazu. Ok. Damit kann ich tatsächlich Menschen in Gruppen einteilen. Also in die Gruppen hat 0 Hoden, 1, 2 oder 3, vielleicht gibts auch mehr. Wenn ich jetzt eine Welt will, in der es nur Frauen und Männer gibt, könnte ich sowas machen: Hat keine Hoden: Frau; hat mindestens einen Hoden: Mann. Das wird schon wieder etwas hakelig. Verliert nun ein Mann durch einen Unfall oder so seinen letzten Hoden, wäre er in dieser Definition keiner mehr. Oder nur noch Mann ehrenhalber. Das ist mir für eine trennscharfe Definition bisschen zu stumpf.

Fortpflanzung

Die Sache wäre ja eigentlich ganz einfach. Fortpflanzung ist in Säugetieren irgendwie definiert mit Eizellen und Spermien und deren Verschmelzung – ergibt ja zwei Gruppen, die eindeutig trennbar sind. Die einen haben die Eizellen, die anderen haben die Spermien.
Das öffnet die selbe Kanne Würmer wie die verworfene Hoden-Definition eben. Eine Person, deren produzierte Spermien -aus welchen Gründen auch immer- nicht in der Lage sind, Eizellen zu befruchten, wäre in so einer Definition kein Mann. Das ist aber nicht, wie das gesellschaftlich funktioniert. Von den meisten Männern wissen wir nicht um ihre Zeugungsfähigkeit und viele wissen das nicht mal selbst. Die wissen aber sehr wohl, dass sie ein Mann sind. Auch hier kommen wir nicht weiter.

Aber wir können hier noch einen draufsetzen. Viele Menschen wissen nicht, was in ihrem Ejakulat drin ist. Müssen sie ja auch nicht. Aber auch die Verbindung aus “ist in der Lage zu ejakulieren” und “ist deswegen ein Mann” kommt nicht hin. Da kommt noch ein Bonus obendrauf: Menschen wussten schon, dass sie Männer sind, bevor irgendwer wusste, was ein Spermium sein soll.

Hormone

Geslleschaftlich werden Östrogene als weibliche Hormone gehandelt (manchmal zusammen mit Progesteron) und Testosteron als männliche Hormone. Das klingt jetzt wie eine solide Trennung. Das wird bisschen erschwert dadurch, dass alle Menschen all diese Hormone in ihrem Stoffwechsel mit sich rumtragen. Das ist hier argumentativ nicht das Ende. Man kann hier Normbereiche einziehen, die sind wie: Wer über X davon hat, ist ein Mann / eine Frau. Haben wir jetzt ne Definition? Nein.
Wir müssten die mindestens präziser fassen. Was tun wir mit Personen, die für Testosteron und Östrogen jeweils in den Bereichen für Mann respektive Frau liegen? Oder andersrum, was tun wir mit denen, die aus beidem rausfallen. Ließe sich aber alles lösen, wenn Definitionen passend gebaut werden. Klappt das so? Ne.
Wie jetzt? Naja. Selbst wenn ich für alle denkbaren Verteilungen von diesen Hormonen eine Zuweisung finde, welches Geschlecht dabei rauskommt, dann ist das am Ende jetzt nichts naturgegebenes mehr, sondern was, wo eine menschgemachte Definition drauf liegt. Das kann man schon machen, aber durch eine so starke Interpretation ist dann auch eine Intention drin. Da ist also eine große Abstrahierung drin, weshalb das auch nicht vorbehaltlos funktioniert.

Hormone wirken bei Menschen auch sehr unterschiedlich und manchmal auch in manchen Aspekten gar nicht. Vom Vorhandensein einer bestimmten Menge Hormon kann also auch nur schwerlich auf weitere Eigenschaften der Person geschlossen werden.

Kommt erschwerend noch das selbe Problem wie die letzten Male obendrauf. Die meisten Menschen kennen ihre Hormonspiegel nicht. Aber ihr Geschlecht schon eher.

Gene

Gene, Chromosomen, DNS: Das jetzt ja wohl eindeutig, hier gibts nichts zu rütteln, oder? Doch.
Mal mit den Chromosomen angefangen. Da wird häufig gedingst, dass es Geschlechtschromosomen gibt, X und Y genannt. Die Idee ist, wer zwei X-Chromosomen hat, ist eine Frau, wer ein X und ein Y hat, ein Mann. Was tun mit Menschen, die nur eins davon haben? Oder drei? Damit sind da schon wieder mehr Ausprägungen da als Kategorien, in die wir einteilen wollen. Das ist schwierig.
Andererseits ist auch noch lange nicht gesagt, dass eine Person mit XX-Chromosomensatz tatsächlich eine Frau ist. Wie das? Nun, auf einem Chromosom ist Erbinformation in DNS kodiert. Damit Zellen wissen, was sie eigentlich anstellen, schauen sie bestimmte Sequenzen von dieser DNS an und tun entsprechende Dinge, die da eben kodiert sind. Jetzt ist es aber sowohl möglich, dass Teile, die wir auf Y-Chromosomen erwarten würden, auf einem X-Chromosom sitzen, als auch, dass eine “erwartete” Sequenz da ist, die aber in der Praxis gar nicht erst abgelesen wird. Also Beispiel: Wir haben da ein XY-Chromosomenpaar, da steht auch in der Gensequenz irgendwo drin, so dass es dann vom Embryo verarbeitet werden soll, dass da ein Penis wachsen soll, aber das wird einfach nie abgelesen. Wir kommen also auch hier nicht vom Fleck.
Und na ja, da steht die Problematik für einzelne Gensequenzen auch schon drin. Wir kommen also auch hier nicht zu einer klaren Mann-Definition.

Zuschreibung

Nach diesem kurzen Ausflug vom kleinsten Gensegment bis zum sichtbaren Organ haben wir also nach wie vor keine stabilen Kandidaten, die ohne übermäßige Interpretation auskommen und aufgrund von Körpern oder Teile davon ermöglich würden, Männlichkeit sachlich nachzumessen. Andererseits erfolgt ja bei Geburt eine Zuordnung zu einem Geschlecht. Das macht die geborene Person nicht selbst – wie auch. Hier erfolgt eine Beurkundung und das meistens durch eine Inaugenscheinnahme von Genitalien. So formuliert klingt das etwas falsch, unterstellt es doch ein großes Interessen an den Intimorganen von Neugeborenen. Unabhängig davon stoßen wir hier auch wieder auf zwei Probleme.
Das eine ist, dass hier rein faktisch keine Frau-Mann-Unterscheidung gemacht wird. Formal schon deshalb nicht, weil es auf dem Formular 4 Möglichkeiten gibt.
Zweitens auch sachlich nicht, weil das Kind nicht mit Frau oder Mann zur Welt kommt, sondern mit einem Organ, dessen Länge nachgemessen wird. Das heißt also, die faktische Definition, die wir haben, ist “wenn das Organ, mit dem Urin in die Welt verteilen wirst, bei deiner Geburt lang genug war, bist du ein Mann”. Das klingt hochgradig albern.

Und das soll alles sein, was wir haben, um eine Zuschreibung für ein ganzes Leben zu machen, was statistisch über unser Vermögen, über unsere Risiken für Altersarmut, darüber, wie oft und von wem wir unterbrochen werden und wer uns glaubt, wenn wir etwas erzählen, entscheiden? Richtig hot.

Fazit

Wird ziemlich schwierig, daraus was zu bauen, was ohne große Abstraktion auskommt und eindeutig bestimmten Personen die Mann-Eigenschaft von außen zuweist ohne sich komplett albern zu machen. Ist jetzt ärgerlich, aber mit Präskriptivismen kommen wir hier also nicht weiter.

Aber mal ernsthaft. Es ist sicher irgendwie möglich anhand Kombinationen von körperlichen Eigenschaften einer Person ein Geschlecht zuzuweisen. Das ist dann aber eine Interpretation des – häufig nur teilweise- bekannten Sachverhalts (und beinhaltet Annahmen und Raten über unbekannte Eigenschaften). Eine rein anatomische Geschlechtsdefinition ist nicht sinnvoll oder zielführend.

Vielleicht müssen wir uns ja doch an Verhalten orientieren und die Kriterienliste aus dem Grönemeyer-Song abarbeiten.

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