Ich möchte einen trans* Menschen unterstützen, der sich selbst abwertet – was kann ich tun?

René_ Rain Hornstein wünscht sich das nicht-binäre Pronomen em (im Genitiv ems) und Sternchenformen für sich (z.B. Autor*in). Hornstein hat Psychologie studiert und die Abschlussarbeit über Trans*-Verbündetenschaft geschrieben. Derzeit forscht Hornstein im Rahmen eines Dissertationsprojektes zu internalisierter Trans*-Unterdrückung. Mehr Infos finden sich unter www.rhornstein.de

Du bist cis und kennst und schätzt eine trans* Person, die sich selbst und ihre Trans*-Identität abwertet. Was kann ich Unterstützendes tun, wenn ich davon weiß? Im ersten Text habe ich erläutert, wie trans* Menschen von der Gesellschaft abgewertet werden und sich in Folge dessen auch selbst abwerten. Im zweiten Text habe ich dargestellt, was trans* Menschen tun können, wenn sie merken, dass sie sich selbst abwerten. Nun in diesem dritten und letzten Text werde ich cis Menschen einige Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, die solidarisch etwas dagegen tun wollen.

Silhouette einer Person, die sich die Nase zuhält, weil es stinkt.

Trans*-Feindlichkeit als solche erkennen lernen: Das Gas muss anzufangen, zu stinken

Sich als trans* Mensch aufgrund gesellschaftlicher Trans*-Feindlichkeit selbst abzuwerten, kann mit Gas verglichen werden. Es ist unsichtbar und wenn es sich im Haus ansammelt, wird es gefährlich und kann explodieren. Um das Gas zu bemerken, muss es mit Gestank verbunden werden[1]. Wenn es stinkt, weiß ich, dass ich schnell etwas tun muss, weil etwas ganz schön schiefläuft.

Verinnerlichte Trans*-Feindlichkeit ist auch gefährlich und wir müssen erst lernen, sie zu erkennen. Zu Beginn der eigenen Auseinandersetzung als cis Mensch mit Trans*-Feindlichkeit ist diese unsichtbar. Genauso unsichtbar ist auch verinnerlichte Trans*-Feindlichkeit. Der erste Schritt als cis Person, die Unterstützung geben will, ist also, ein Bewusstsein und detailliertes Wissen über Trans*-Feindlichkeit zu erlangen. Wie äußert sie sich? Was sind trans*-feindliche Wörter, Argumente und gesellschaftliche Strukturen? Ich muss also lernen, das trans*-feindliche Gas zu riechen. Hierfür empfehle ich Bücher von trans* Menschen, wie z.B. „Ich bin Linus“ von Linus Giese, „Trans Frau Sein“ von Felicia Ewert oder „Support your Sisters Not your Cisters“ von FaulenzA.

Verinnerlichte Trans*-Feindlichkeit erkennen

Als zweiten Schritt muss ich dieses Wissen auf verinnerlichte Trans*-Feindlichkeit anwenden: Sagt der trans* Mensch, den ich unterstützen will, etwas Abwertendes über sich in Bezug auf das eigene trans* Sein? Zum Beispiel: „Ich wäre lieber cis“ oder: „Ich bin hässlich und niemand wird mich je lieben“? Oder tut der trans* Mensch etwas, das signalisiert, dass er sich selbst für wertlos, nicht schützenswert oder für verachtenswert hält? Das könnte zum Beispiel sein, sich in Gefahr zu bringen, sich nicht vor Krankheit zu schützen, oder sich nicht aus gewaltvollen Situationen zu entfernen. Ein besorgniserregender Satz hierzu könnte sein: „Ich habe es verdient, dass ich gewaltvoll behandelt werde, denn ich bin schlecht.“

Eine weitere Form verinnerlichter Trans*-Feindlichkeit ist es, wenn trans* Menschen schlecht über andere trans* Menschen sprechen und diese abwerten, sie meiden oder sie ausschließen. Dann wird Trans*-Feindlichkeit innerhalb der Trans*-Community aneinander ausgelassen.

Konkrete Handlungsmöglichkeiten

Wenn ich als cis Mensch mitbekomme, dass sich eine trans* Person selbst abwertet, kann ich nachfragen, ob ich die Aussage richtig verstanden habe. Dann kann ich die Aussage ins Zentrum des Gesprächs rücken und diese hinterfragen. Ich kann in Frage stellen, ob die Aussage wahr ist oder ob sie vielleicht nur teilweise zutrifft.  Zum Beispiel kann ich sagen: „Was Du sagst, beruht auf der Annahme, dass Du schlecht bist und Gewalt verdient hast. Aber niemensch hat Gewalt verdient. Du hast das Recht darauf, gut behandelt zu werden!“

Ich kann zusätzlich Wertschätzung oder Liebe für den trans* Menschen ausdrücken, dessen Selbstabwertung ich mitbekomme. Zum Beispiel kann ich sagen: „Es macht mich traurig, zu hören, wie Du so gewaltvollen Gedanken zustimmst. Ich hab Dich sehr gerne und mir ist es wichtig, dass es Dir gut geht und Du respektvoll behandelt wirst.“

Wie tröste ich gut?

Die Forscherin Brené Brown sieht Mitgefühl als tägliche Praxis an, in der wir unsere Fähigkeiten anwenden, empathisch zu sein (2021). Empathie erfordert, dass ich bereit bin, den Schmerz einer anderen Person wahrzunehmen und diesen anzuerkennen. Dafür ist es nicht notwendig, exakt dieselbe schmerzhafte Situation erlebt zu haben, wie die Person, die ich unterstützen will. Ich muss als cis Mensch nicht trans* werden, um mit trans* Personen Empathie zu empfinden. Es reicht, wenn ich die Gefühle anerkenne, welche die andere Person fühlt und mich daran erinnere, wie es war, als ich selbst diese Gefühle empfunden habe.

Der nächste Schritt ist, mitzuteilen, dass ich diese Gefühle verstehe. Es ist dabei wichtig, die andere Person nicht zu bewerten oder zu beschämen, sondern ihr zu glauben, dass es schwer ist, was sie gerade durchmacht, auch wenn es nicht mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmt. Du könntest etwas sagen wie: „Ich bin cis, darum habe ich diese Erfahrung nicht selbst gemacht. Aber diese Gefühle, die Du beschreibst, kenne ich aus anderen Situationen auch. Das fühlt sich schrecklich an.“

Absprachen in Beziehungen treffen

Wenn ich den trans* Menschen, den ich unterstützen will, häufiger treffe, zum Beispiel weil wir befreundet sind oder weil wir zusammen arbeiten, kann ich versuchen, Absprachen zu dieser Selbstabwertung zu treffen. Ich könnte fragen: „Ist es für Dich in Ordnung, wenn ich Dich darauf anspreche, wenn ich merke, dass Du Dich selbst abwertest?“ Es könnte eine Absprache darüber getroffen werden, als unterstützender Mensch in oder nach der selbstabwertenden Situation etwas dazu zu sagen und den trans* Menschen darauf aufmerksam machen.

Ich könnte danach fragen, wie der Mensch darauf angesprochen werden will und wir könnten seine Wünsche darüber sammeln, wie ein gutes Ansprechen aussieht. Ob das in oder nach der Situation ist, ob es nur unter vier Augen passieren soll, welche Formulierungen als gut empfunden werden etc.

Ich könnte versuchen, herauszufinden, was der Mensch als guten Trost empfindet und ob der Mensch in dieser Situation getröstet werden möchte. Eine allgemein sinnvolle Frage kann sein: „Was täte Dir jetzt gut?“

Solche Absprachen könnten auch in Gruppen getroffen werden. Es könnte überlegt werden, ob in der Gruppe möglicherweise ein regelhaft wiederkehrender Austauschmoment oder Tagesordnungspunkt verabredet werden kann, bei dem sich über gegen sich selbst oder andere gerichtete trans*feindliche Aussagen geredet wird. Es könnte gesammelt werden, welche Wünsche die Gruppenmitglieder daran haben, darauf angesprochen zu werden. Zum Beispiel könnten die Beispiele schriftlich gesammelt und die beteiligten Akteur*innen könnten anonymisiert werden (sofern das möglich ist).

Cis Menschen können trans* Menschen unterstützen

Als cis Mensch habe ich die Möglichkeit, verinnerlichte Trans*-Feindlichkeit zu erkennen. Dafür muss ich erst etwas über Trans*-Feindlichkeit lernen. Ich kann mit Mitgefühl und Empathie auf selbstabwertende Äußerungen reagieren und muss sie nicht unkommentiert stehen lassen. Mit Menschen oder in Gruppen, die ich besser kenne, kann ich Absprachen darüber treffen, wie dieses Kommentieren gut ablaufen kann und in welcher Form es erwünscht ist. Damit kann ich als cis Mensch ein Stück dazu beitragen, trans* Menschen bei der Bewältigung ihrer verinnerlichten Trans*-Feindlichkeit zu unterstützen.

Anmerkungen:

Dieser Artikel basiert auf einem wissenschaftlichen Überblicksartikel, den ich 2021 veröffentlicht habe. Mein Überblicksartikel hat folgende Literaturangabe: Hornstein, René_ Rain (2021): Giftkunde der internalisierten trans* Unterdrückung: Zum Stand der Forschung und den Möglichkeiten einer solidarischen trans* Psychologie. In Esto Mader, Joris A. Gregor, Robin K. Saalfeld, René_ Rain Hornstein, Paulena Müller, Marie C. Grasmeier, Toni Schadow (Hg.): Trans* und Inter*Studien – Aktuelle Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.

Brené Browns Buch von 2021, in dem Mitgefühl und Empathie besprochen werden, hat den Titel „Atlas of the Heart“

[1]Das wird tatsächlich so gemacht: Gas zum Kochen ist an sich geruchlos, wird aber aus Sicherheitsgründen mit einem Geruch versetzt, damit es bemerkt wird, wenn es ungewollt ausströmt.

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