Kummerkastenantwort 3.651: Wie gehen nicht-binäre Personen mit dieser Gesellschaft um?
Liebes Queerlexikon,
ich habe eine Frage an alle Menschen, die aufgrund ihres Aussehens/ihres Ausdrucks in unserer Gesellschaft nicht eindeutig als Mann oder Frau gelesen werden:
Wie geht ihr damit um?
Ist es für euch ein angenehmer Zustand, weil es Ausdruck eurer Geschlechtsidentität ist bzw. damit übereinstimmt?
Wie haltet ihr es aus, mit Fragen, fragenden Blicken, Kommentaren etc. konfrontiert zu sein und ständig anderen Auskunft über euer Geschlecht geben zu müssen?
Mir geht es so, dass ich mal als Mann, mal als Frau angesprochen werde, teilweise korrigiert sich mein Gegenüber nochmal in der Anrede, ich werde z.B. auf der Toilette angesprochen und habe oft das Gefühl, dass ich angestarrt werde, weil Menschen nicht wissen, wie sie mich einordnen sollen. Manchmal kommt es vor, dass ich von Fremden random nach meinem Geschlecht gefragt werde.
Mich persönlich stresst das extrem. Ich stehe generell nicht gerne im Mittelpunkt und möchte eigentlich einfach nicht auffallen und meine Ruhe haben.
Das Positive daran ist, dass ich durch die ganzen Reaktionen in den letzten Jahren angefangen habe, über mein Geschlecht nachzudenken und wie ich mich dabei fühle, als Mann oder Frau angesprochen und gesehen zu werden.
Ich denke inzwischen dass ich vielleicht trans bin und denke darüber nach, Hormone zu nehmen und OPs zu machen.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich diese medizinischen Schritte tatsächlich für mich brauche, oder ob ich mich nur dem gesellschaftlichen Druck beuge und es mir sozusagen leichter machen will, indem ich mein Äußeres so anpasse, dass ich eindeutig gelesen werde.
Deshalb würde es mich so sehr interessieren, wie andere mit so einer Situation umgehen.
Ist es eine Schwäche, dass ich mich körperlich verändern möchte, damit ich eindeutig wahrgenommen werde?
Oder liegt das einfach daran, dass meine Geschlechtsidentität binär trans ist und eben nicht nicht-binär?
Hilfe!
Hej!
Du hast wirklich lange auf eine Antwort warten müssen, entschuldige bitte!
Tatsächlich finde ich es oft angenehm, achte auch an manchen Tagen beim Styling darauf, dass es eben uneindeutig ist. An andern Tagen hab ich aber auch mal nicht die Kraft, mich den Fragen und Blicken auszusetzen und dann style ich mich deutlich konformer, als ich es vielleicht würde, wenn es andern egaler wäre.
Wenn mich jemand tatsächlich auf mein Geschlecht anspricht, habe ich eine Auswahl an Antworten, die ich mir auch mal bewusst aufgeschrieben habe, z.B. „Das geht Sie/dich nichts an.“ „Sowohl, als auch.“, „Das weiß ich zum Glück besser als Sie.“ Ich achte dabei darauf, dass es keine Fragen sind, auf die dann Diskussionen folgen können. Je nach Situation entscheide ich mich aber auch dazu, die Leute zu ignorieren – weil es mir grundsätzlich eben auch am liebsten wäre, wenn mich Leute einfach in Ruhe ließen.
Womit wir zu einer deiner Fragen zurückkommen, nämlich Hormone etc, um weniger aufzufallen.
Am wichtigsten ist erst mal: nein. Niemand ist schwach, nur weil er*sie*they Hormone einnehmen oder OPs haben möchte. Das kann und darf ein inhärentes Bedürfnis sein, dass der Körper anders aussieht und man selbst anders wirkt. Ja, auch aus Schutz- und Ruhebedürfnis heraus – sofern du dich gut damit fühlen kannst, wie du dann (möglicherweise) aussiehst, klingst, usw.
Ob du nun binär oder nicht-binär trans bist, wirst du leider selbst für dich herausfinden müssen. Frag dich, mit welchen Aspekten von Männlichkeit und Weiblichkeit du dich identifizieren kannst und willst, ob sie dich zu einem Geschlecht (oder beiden?) machen, oder ob du vielleicht keins davon fühlst oder irgendwas anderes. Wichtig: Selbst wenn du zum Schluss kommst, im nichtbinären Spektrum zu sein, darfst du trotzdem binärgeschlechtlich aussehen. Jede Art dich und dein Geschlecht auszudrücken, sind richtig und valide.
Liebe Grüße
Valo