Kummerkastenantwort 4.574: Kann lesbisch ein Geschlecht sein, und wo finde ich lesbische Literatur

Hi!

Wisst ihr, Geschlecht ist verwirrend. Ich bin „assigned female at birth“ und ich habe auch kein Problem damit als Frau gesehen zu werden. Das heißt ich müsste eigentlich cis sein. Aber ich bin irgendwie keine Frau. Ich habe mich eine Zeit lang bewusst sehr maskulin gekleidet, darauf geachtet das meine Haare kurz sind und ich habe sogar darauf geachtet mehr Raum beim Sitzen einzunehmen („manspreading“), und es hat „funktioniert“. Ich wurde von Fremden zu dieser Zeit so gut wie immer für männlich gehalten. (Solange ich nicht gesprochen habe, meine Stimme hat die Illusion zerstört und das fand ich immer sehr schade.) Mittlerweile habe ich mich schon recht lange damit abgefunden, dass man mich als Frau einkatigoriseiert. Also, ist das jetzt „cis“? Ich bin außerdem lesbisch und sehe das als großen Teil meiner Identität. Kann „lesbisch“ auch einfach ein Geschlecht sein? Weil, im Kontext meiner Beziehung habe ich kein Problem als Frau gesehen zu werden. Ich bin die Freundin meiner Freundin. Wenn sie mich als ihren „Freund“ bezeichnen würde, wäre das (eigentlich wollte ich „falsch“ schreiben aber jetzt wo ich mehr drüber nachdenke wäre das sehr schön.) Ist das was hier mit meinem Geschlecht los ist irgendwie… lesbisch, butch, mit Überschneidungen zu transmaskulin? Ich hab auch mal das Wort „Lesboy“ gelesen und das fand ich treffend.

Ich schätze meine Frage ist, „Kann lesbisch ein Geschlecht sein?“ Und eure Antwort ist „Ja“, weil ich weiß, dass es Menschen gab und gibt, die „Lesbisch“ als Selbstbezeichnung für ihr Geschlecht verwenden.
Wenn ihr bis hier hin gelesen habt, könnt ihr mir vielleicht lesbische Literatur empfehlen? Und glaubt ihr man könnte darüber auch eine vorwissenschaftliche Arbeit schreiben? (Ich mache meine Matura – österreichisches Wort für „Abitur“ – an einer Abendschule und schiebe die VWA schon ewig vor mir her…)

Wie dem auch sei, vielen vielen Dank für’s Lesen!
– Steffi

Hall Steffi,

ich mag, wie du einen großen Teil deiner Frage hier selbst beantwortest: Ja, lesbisch kann ein Label für Geschlecht sein. Der Ursprung liegt unter andrem darin, dass wir aus einer Gesellschaft kommen und teilweise noch sind, in der nur Männern (also nicht Frauen) aktives sexuelles Begehren empfinden dürfen. Das führt aber unweigerlich dazu, dass Frauen, selbstbestimmt Anziehung empfinden (und nicht von einem Mann angezogen werden), in diesem Modell keine Frauen sein können – zumindest ist das das, was z. B. die lesbische Theoretikerin Monique Wittig schreibt. Und ist wie (Achtung, ich klebe hier neue Begriffe an alte Sachverhalte) patriarchale Strukturen versehentlich Lesbe als nicht-binäre Geschlechtsangabe konstruiert haben. Und während das in der Regel kein Mechanismus ist, der heute noch so offen funktioniert, hat sich das Konzept von lesbisch als Geschlechtsidentität weiterentwickelt.

Ich bin mir nicht sicher, ob du dir Literaturtipps zu wissenschaftlichen Sachen wünschst oder zu Freizeit-Dingen – kannst du uns da vielleicht nochmal schreiben?

Vorwissenschaftliche Arbeiten zu lesbischer Literatur könnte gehen. Das ist insgesamt ein recht breites Feld, da sollten sich Fragestellungen und Themen drunter finden lassen. Könnte sich bisschen belastend entwickeln, aber was in Österreich wie Deutschland für fast jedes Thema geht, ist, zu fragen: Wie waren da Dinge in der Nazi-Diktatur? Vielleicht lässt sich was tun zu lesbischen Strukturen im Untergrund, zum Schicksal lesbischer Personen aus deiner Stadt in dieser Zeit (oder noch früher). Heiraten ist lesbischen Paaren in Österreich erst durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts möglich geworden. Auch der Weg dahin lässt sich bestimmt in einer VWA bearbeiten.

Liebe Grüße
Xenia

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4 Antworten

  1. Steffi sagt:

    Also im besten Fall hätte ich gerne Literaturtipps zu wissenschaftlicher UND zu Freizeit-Literatur. Aber das kann ich auch selbst recherchieren, wenn ihr nicht zufällig eine Art Liste habt. Wenn ich mich auf eins von beiden beschränken soll, dann wissenschaftliche Literatur bitte. Ganz liebe Grüße!

    • Annika sagt:

      Hallo!

      Es gibt tatsächlich relativ wenig (aktuelle) wissenschaftliche Literatur zum Lesbisch-Sein, aber vielleicht wirst du bei Monique Wittig, Leslie Feinberg, Jack Halberstam und Gisela Wolf fündig?
      An Freizeit-Literatur gibt es inzwischen ziemlich viel, hier mal ein paar meiner aktuellen Favoriten: Die Bücher von Emily Austin, ‚One Last Stop‘ von Casey McQuiston, ‚Our Wives Under the Sea‘ von Julia Armfield, ‚When Women were Dragons‘ von Kelly Barnhill, ‚Big Swiss‘ von Jen Beagin, ‚Summer of Salt‘ von Kathrin Leno…
      Viel Spaß beim Stöbern!

    • Anonymous sagt:

      Ich würde dir ‚Die Sonne so strahlend und schwarz‘ von Chantal Fleur-Sandjon sehr empfehlen.

    • Ash sagt:

      Hallo Steffi!
      Ich hätte da etwas zur Freizeitliteratur:
      ‚Die Sonne so strahlend und Schwarz‘ von Chantal-Fleur Sandjon, ‚Wie Wellen im Sturm‘ von Alicia Zett, ‚Everlove-bis übers Ende dieser Welt hinaus‘ von Tanya Byrne, ’six times we almost kissed( und was beim siebten Mal passiert ist)‘ von Tess Sharpe. Ich hoffe es hat eines dabei, dass die gefällt. Viel Spass beim stöbern.

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