Kummerkasten Antwort 249 – Wie erkläre ich, dass ich aktuell keinen Sex möchte?

Liebes Kummerkasten-Team vom Queer Lexikon,

seit ein paar Monaten treffe ich mich regelmäßig mit einer Person, die ich echt toll finde. Wir haben viel gemeinsam und viel Spaß zusammen. Wir haben uns durch die enby community unserer Stadt kennengelernt und dementsprechend auch einen sich überlappenden Freund*innenkreis. Dass wir jetzt „miteinander gehen“ ist irgendwie ganz von selbst passiert und ich bin echt verliebt und glücklich.
Bei unseren letzten zwei Treffen, bei denen wir miteinander allein waren, hatte ich das Gefühl, dass die Person versucht hat, mir körperlich näher zu kommen. Wir umarmen und küssen uns zwar sonst auch und wir halten auch manchmal Händchen, aber die letzten Male war sier verschmuster als sonst. Das an sich finde ich auch schön, aber ich bin verunsichert, ob sier erwartet, dass wir bald miteinander schlafen. Das setzt mich ganz schön unter Druck. Ich glaube nämlich, dass ich dazu nicht bereit bin und weiß nicht, wie ich das ansprechen kann.
Ich hätte schon Lust darauf, irgendwann einmal mit meiner Herzensperson Sex zu haben – aber definitiv nicht jetzt. Aus religiösen Gründen möchte ich damit am liebsten bis zur Ehe warten oder falls wir nicht heiraten möchten, eben solange damit warten, bis unsere Beziehung zueinander so gefestigt ist, dass sie einer guten Ehe gleichkommt.
Bevor ich meine jetzige Partnerperson kennengelernt habe, hatte ich sporadisch sexuelle Beziehungen zu anderen queeren Leuten. Die Leute waren voll in Ordnung, doch ich habe nach ein paar Mal ausprobieren gemerkt, dass ich mir Sex lieber in einem anderen Kontext wünsche. Außerdem war ich damals nicht so gläubig wie heute, sondern musste mich spirituell erst selbst finden, um zu wissen, wie ich meinen Glauben ausleben möchte.
Ich bin definitiv nicht asexuell, das habe ich für mich schnell gemerkt. Ich möchte lediglich gerade abstinent leben.
Ich habe innerhalb der LGBTIQ+ community gemischte Erfahrungen gemacht, was religiös und queer sein anbelangt. Innerhalb vieler religiöser Institutionen werde ich abgelehnt, weil ich queer und trans* bin. In der queeren community wiederum werde ich oftmals als gläubige Person als „rückstandig“ oder „von minderer Intelligenz“ angesehen. Deshalb halte ich meine Religionszugehörigkeit (muslimisch) auch meistens geheim bzw. nur enge Freund*innen, von denen ich weiß, dass sie cool drauf sind, wissen davon.
Meine Partnerperson müsste es eigentlich wissen. Aber wir haben noch nie so richtig ausführlich darüber gesprochen, weil es bisher keinen Anlass gab und was Sex angeht, hatten wir auch noch kein Gespräch dazu.
Ich weiß nicht, wie ich der Person erklären soll, dass ich vorläufig keinen Sex möchte. Ich habe Angst, dass sier mich dann komisch findet und nicht mehr mit mir zusammen sein will. Und ich will auch nicht, dass sier denkt, ich würde sihn nicht schön finden und das nur als Ausrede benutzen.
Wie kann ich dieses Thema nur ansprechen?

(PS: Für mich könnt ihr gerne das Pronomen „er“ verwenden)

Hallo lieber Mensch,

erstmal möchte ich sagen: Ich verstehe deine Sorgen sehr gut. Die Kombination aus queer/trans und religiös sein ist meist eine schwierige, und viele Menschen in beiden Communities haben ihre Schwierigkeiten damit. Ich verstehe deswegen deine Entscheidung, in queeren Kontexten nicht allzu oft über deine Religion zu reden.

Was das Thema Sex angeht: Nicht zu wissen, woran du mit der anderen Person bist, ist eine echt stressige und unangenehme Situation. Ich halte es auf jeden Fall für wichtig, dass du der anderen Person erklärst, was deine Einstellung zum Thema Sex ist, und dass du erklärst, dass es dich nervös macht, dass du nicht weißt, wie deine Herzensperson dazu steht. Ob du das Thema Religion dabei erwähnen möchtest oder nicht, bleibt dir überlassen – das kommt ganz darauf an, wie sicher du dich damit aktuell fühlst. Natürlich ist es auf Dauer schön und auch wichtig, dass du deiner Beziehungsperson auch mit schwierigen Themen vertrauen kannst – das bedeutet aber nicht, dass du alle für dich schwierigen Themen auf einmal ansprechen musst.

Am Besten überlegst du dir, welche Art von Kommunikation dir für dieses Thema am liebsten ist: Möchtest du mit deinem Herzensmensch persönlich darüber sprechen, möchtest du das lieber per Telefonat machen, oder fühlst du dich mit einer schriftlichen Form, z.B. per Textnachrichten oder Brief, am wohlsten? Wichtig ist, dass du dich dabei selbst nicht zu sehr unter Druck setzt, aber auch deinem Herzensmenschen Raum gibst, sihre Position dazu zu erklären und die Antwort zu akzeptieren. Es kann sein, dass ihr zu diesem Thema unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse habt – das ist voll okay, und bedeutet nicht, dass irgendwer von euch was falsch macht. Dann müsst ihr gemeinsam herausfinden, ob ihr einen Kompromiss finden könnt, der für euch beide in Ordnung ist (das heißt nicht, dass irgendwer von euch etwas tun sollte, was ihr nicht tun möchtet, sondern, dass ihr beide einen Weg finden müsst, der für euch in Ordnung ist). Es kann auch sein, dass ihr keinen Kompromiss finden könnt, der für euch beide funktioniert – auch das ist okay und bedeutet nicht, dass jemensch von euch etwas falsch gemacht hat. Manchmal sind zwei Menschen einfach nicht in allen wichtigen Bereichen kompatibel – dann müsst ihr überlegen, was das für eure Beziehung bedeutet und ob das etwas zwischen euch ändert. Und falls dein Herzensmensch verständnislos, harsch oder sogar gemein reagiert, oder dich zu etwas überreden möchte, das du nicht willst, dann ist es gut, dass du darüber schnell Klarheit schaffen konntest und dass du gleich herausgefunden hast, woran du mit diesem Menschen bist.

Es kann aber natürlich auch sein, dass es für deinen Herzensmensch alles vollkommen okay und unkompliziert ist – dann ist es umso besser, dass ihr darüber gesprochen habt, weil ihr euch dann beide in der Beziehung sicherer und wohler fühlen könnt. In Beziehungen ist es immer wichtig zu kommunizieren – und vor allem im Bezug auf Sex und Intimität. Da haben wir alle ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen und Vorlieben, und niemensch kann Gedanken lesen, um gleich auf Anhieb alles davon richtig zu erraten. Da müssen wir einfach alle daran arbeiten, dass wir darüber reden lernen.

Ich habe da ganz viel Vertrauen in dich und wünsche dir alles Gute für dein Gespräch, und außerdem wünsche ich dir ganz viel Akzeptanz von allen Seiten, was deine Religion und Queerness angeht. Du verdienst es, genauso geliebt zu werden, wie du bist, und zwar ganz und gar und nicht nur in Teilen. <3

Liebe Grüße,
Balthazar

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