Kummerkastenantwort 644 – Wie kann ich mit Lithromantik umgehen?

Bisher habe ich mich als zu sehr verletzt oder gefühlskalt beschrieben. Ich hatte bisher Beziehungen, in denen ich immer verletzt wurde. Alle anderen “Beziehungen” waren nur Sex, bzw Sextreffen. Nach meinem 1. Mal in einer Beziehung, bin ich fremdgegangen. Nicht, weil ich es wollte, sondern, weil es sich richtig angefühlt hatte. Ich hatte das Gefühl, meine Beziehung würde mich nicht toll finden, aber der, mit dem ich dann Sex hatte, schon. Es war das Gefühl, als wäre ich verliebt.

Es gibt manche Sprüche, die ich mir selbst immer sage: “Ich habe Angst vor Nähe, doch noch mehr vor keiner”, “Du musst dich selbst lieben, bevor andere dich lieben können” oder ” Ich bin verliebt darin, verliebt zu sein.” Ich liebe es, wenn jemand bei mir ist, wir intim miteinander sind und uns zu küssen, irgendwann verblasst dieses Gefühl und dabei fühle ich nichts, und will dann nicht mehr diese Nähe. Aber ich sehne mich nach einer Beziehung; aber genau so nach meinen Freiheiten.

Ich hab manchmal nicht das Gefühl, zu wissen, was ich will. Letztens habe ich meine Beziehung beendet, weil ich das erste Mal wieder Glück gespürt habe, wir haben uns geküsst, wir hatten Sex. Das Glück hörte auf, als er mehr wollte und mich unter Druck gesetzt hat. Ich wollte ihn am liebsten in den Wind schießen, aber das wäre ja unnormal, weil wir uns benommen haben, als wäre es eine Beziehung.

Letztes Jahr habe ich 5 Monate um die Gefühle von jemanden gekämpft, weil das zwischen uns perfekt war. Als wir zusammen gekommen sind, habe ich nach ein paar Wochen angefangen von meinem Ex zu träumen und dann habe ich Schluss gemacht, weil ich nicht mehr verliebt war? Keine Ahnung!! Eine Situation hat mich aber komplett aus der Bahn geworfen, ich habe einen Film geschaut, worum es auch darum ging, dass ein Mann und eine Frau ein Pärchen wurden und sich geliebt haben und auch geküsst etc. Ich hab mich nach diesen Gefühlen gesehnt, obwohl mein Freund neben mir lag. Bin ich wirklich lithromantisch? Wie kann ich damit umgehen und wo finde ich Gleichgesinnte.. ?

Hallo du,

ich kenne diese Gedanken und Gefühle, über die du hier sprichst, und es tut mir sehr leid, dass dir das alles so viel Kummer und Kopfzerbrechen bereitet. “Lithromantisch” ist für viele ein schwieriges Label, weil es sich selbst so zu widersprechen scheint – es entwickeln sich Gefühle für andere, aber nur bis zu dem Punkt, wo sie plötzlich erwidert werden und/oder wo es zu ernst und zu eng wird. Für viele Menschen ist es schwierig, damit einen Umgang zu finden, weil es ein sehr isolierendes, schuldbeladenes Gefühl ist – eins geht ja nicht in Beziehungen mit dem Gedanken oder dem Vorsatz, die andere Person zu verletzen, aber viele lithromantische Menschen landen irgendwann genau an dem Punkt, wo es unausweichlich scheint, dem Gegenüber das Herz zu brechen.

Lithromantik wird von vielen unter den Schirmbegriff des aromantischen Spektrums gezählt – vielleicht findest du dort auch eine Community und Leute mit ähnlichen Erfahrungen, mit denen du dich austauschen kannst. Spezifische Orte für Gleichgesinnte kennen wir keine, aber wir hören uns mal um und fügen hier noch ein, falls wir was finden!

Vor allem möchte ich dir eins sagen, von dem ich mir wünsche, dass es mir irgendwer gesagt hätte, als ich mich mit meiner eigenen lithromantischen Identität gequält habe: Du bist nicht kaputt, oder unnormal, oder furchtbar. Deine Gefühle sind okay und valide, so wie sie sind.

Du beschreibst am Anfang, dass du in der Vergangenheit in Beziehungen verletzt worden bist und dass du Angst vor Nähe, aber noch mehr vor Einsamkeit hast. Vielleicht fragst du dich deshalb, ob du wirklich lithromantisch bist oder ob deine Gefühle und dein Verhalten nur von deinen Erfahrungen in der Vergangenheit kommen. Ich glaube, das lässt sich gar nicht voneinander trennen: Deine romantische Orientierung, deine Erfahrungen und die Art und Weise, wie sie dich geprägt haben, das bist alles du. Labels wie lithromantisch sind nicht dafür da, einen festen, trennbaren und unabänderlichen Teil von dir zu bestimmen, sondern meiner Meinung nach einzig und allein dafür, deine Gedanken und Gefühle besser in Worte fassen zu können und dich besser mit anderen Menschen dazu austauschen zu können. Wenn der Begriff “lithromantisch” dir hilft, dich selbst und deine Situation zu beschreiben, dann kannst du ihn auf jeden Fall benutzen.

Und mein Rat, wie du damit umgehen kannst: Hör auf deine innere Stimme. Du musst dich nicht zu Beziehungen zwingen, die dich unglücklich machen, und es gibt tausende Wege, die du gehen kannst, die richtig für dich sind. Finde heraus, welche Arten von Beziehungen und Gefühlen du magst und rede wenn möglich mit potentiellen Partner*innen darüber, was du möchtest. Du darfst klare Grenzen setzen und dich aus einer Beziehung zurückziehen, in der diese Grenzen nicht respektiert werden. Niemensch hat das Recht, dich unter Druck zu setzen, nur um “eine normale Beziehung” zu führen. Alle Beziehungen sind unterschiedlich, und mit der Zeit und mit viel Kommunikation und In-dich-reinhören wirst du sicherlich herausfinden, welche Art(en) von Beziehung(en) für dich funktionieren.

Und noch ein persönlicher Tipp: Mir selbst hat es enorm geholfen, mich mit Polyamorie zu beschäftigen und mit polyamourösen Leuten zu reden. In vielen polyamourösen Beziehungskonzepten ist das Reden über eigene Vorstellungen und Grenzen selbstverständlich, und für mich hat es sehr den emotionalen Druck genommen, den ich in anderen Beziehungen gespürt habe, weil ich wusste, dass ich nicht die einzige Bezugsperson meiner Partner*innen sein muss. Damit habe ich mich in der Beziehung freier gefühlt und hatte auch selbst nicht mehr so sehr Angst davor, was passieren würde, wenn ich mich in eine neue Person verlieben würde. Ich weiß, polyamore oder selbst offene Beziehungen sind nicht für alle Menschen die beste Option, aber vielleicht kann diese Community ja dir helfen, wie sie mir auch geholfen hat.

Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, du findest all die Menschen und Werkzeuge, die du brauchst, um dich wohler mit dir selbst und mit anderen zu fühlen. Und melde dich jederzeit wieder, wenn du ein offenes Ohr brauchst – leider brauchen wir hier im Kummerkasten manchmal eine Weile, aber wir hören dir trotzdem immer gerne zu und helfen, wo wir können.

Alles Gute,
Balthazar

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