Kummerkastenantwort 669: Welches Geschlecht habe ich?

Hallo liebes Queer-Team,

Wo soll ich anfangen?

Mein Name ist Rebecca und ich wurde weiblich geboren. Allerdings fühle ich mich nicht 100% weiblich und habe es wohl auch noch nie. Ich trage zwar hin und wieder Kleider und Röcke, aber hauptsächlich besteht mein Kleiderschrank aus weiten Männershirts und großen Hoodies. Meine Haare sind auch seit Oktober 2019 kurz geschnitten und ich fühle mich pudelwohl damit.
An sich mag ich meinen Körper ansonsten (klar, ein paar Pfunde könnten weg), nur meine Brüste nerven mich manchmal wirklich. Ich trage seit Wochen oder sogar schon Monaten, da bin ich mir nicht ganz sicher, wobei es wohl eher Monate sind, keine BHs mehr und fühle mich in ihnen auch verdammt unwohl und das obwohl ich eine relativ weite Oberweite habe. Auch bei den Bikinis, vor allem jetzt im Sommer, finde ich das echt schrecklich. Es ist mir heute echt aufgefallen, als ich mit meiner Schwester im Pool war und am liebsten ohne Bikinioberteil hineingegangen wäre. Sie nerven auch echt, wenn ich mich zum einschlafen auf den Bauch lege oder ähnliches. Aber ich kann mir irgendwie auch nicht vorstellen keine zu haben, wisst ihr was ich meine?
Ich kann es mir nicht wirklich bildlich vorstellen keine Brust zu haben. Aber durch meine weiten Tshirts war das bisher auch kein Problem. Sie regen mich nur gelegentlich auf.

In einer Gruppe Jungs fühle ich mich ziemlich weiblich, in einer Gruppe Mädels ziemlich männlich…

Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, wie das früher als Kind war. Ich erinnere mich, dass ich Kleider nicht wirklich mochte und auch immer lieber irgendetwas mit Jungs gemacht habe (so an sich). Ich habe mir auch schon früher Gedanken darüber gemacht, dass ich als Junge etwas gewisses tun könnte, was ich rein gesellschaftlich, als Frau nicht tun kann: Beispiel: Oberkörperfrei irgendwo rum laufen.
Und ich wollte schon immer wissen, wie das wohl ist.

Zusätzlich zu alldem, hatte ich auch noch echt seltsame Träume. Nicht unbedingt in der letzten Zeit, aber so generell und an diese Träume kann ich mich wirklich gut erinnern.
Ein Traum handelte von einem schwulen Pärchen (es ist nicht wichtig wer es war, auch wenn die personenkonstellation ziemlich seltsam war) und von deren Geschlechtsverkehr. Ein anderer Traum handelte ebenfalls von Geschlechtsverkehr, allerdings war ich in der Position des Mannes (ich weiß nicht mehr alles von dem Traum, also auch nicht ob ich die perspektive eventuell zwischendurch gewechselt habe).
Und ich frage mich einfach, was diese Träume mir bitte sagen wollen oder ob sie mir überhaupt etwas sagen wollen?
Im Internet findet man nichts dazu. Was stimmt da nicht mit mir bzw was bin ich bitte, dass ich z.T. homoerotische Träume habe?!?
Ich stehe halt auf Männer, da bin ich mir ziemlich ziemlich sicher. Aber ich weiß nicht, ob diese Tatsache irgendwie etwas damit zu tun hat/ zu tun haben könnte?!

Ich muss aber auch sagen, dass diese ganzen Gedanken, die ich mir gerade mache und die ich hier gerade so herunterrassel ziemlich neu für mich sind, da ich mich tatsächlich erst seit wenigen Tagen mit diesem Thema auseinandersetze. Wirklich aufgefallen, dass ich eventuell Nonbinary sein könnte, ist es mir erst heute. Heute habe ich mir da wirkliche Gedanken drüber gemacht und bin mal alles in meinem Kopf durchgegangen, was mir so aufgefallen ist.
Aber ich bin mir eben nicht sicher was ich bin.
Wie gesagt habe ich mich bisher so an sich immer wohl gefühlt.
Mich kann man auch mit gefühlt jedem Pronomen betiteln, das macht mir nichts aus (hat es noch nie).

Ich habe auch noch nie wirklich verstanden, wieso alles gegendert werden muss. Also z.B. bei “Liebe Schülerinnen und Schüler” hätte meiner Meinung nach dieses “Schülerinnen” wegfallen können. Ich habe mich bei “Schüler” genauso angesprochen gefühlt. Aber ich muss halt auch dazu sagen, dass ich noch nie ein “typisches Mädchen” war. Vielleicht empfinde ich auch nur deshalb so.

Auf jeden Fall überschlagen sich momentan meine Gedanken.
Ich fühle mich momentan als nichts halbes und nichts ganzes. Als beides und nichts gleichzeitig. Und ich weiß nicht, ob es nur davon kommt, dass ich mich in irgendetwas hineinsteigere über das ich verschiedene Artikel gelesen habe.
Ich habe auch schon mit einem Freund von mir darüber gesprochen, der bei solchen Themen ein super Ansprechpartner ist. Aber ich hasse diese Ungewissheit! Was bin ich denn nun? Mein Kopf fühlt sich, wenn ich darüber nachdenke, nicht besonders gut an.
Am liebsten wüsste ich es einfach ganz genau. Ohne wenn und aber.
Ich habe halt auch wie gesagt Angst, dass ich mich eventuell in diese ganze Sache ziemlich reinsteigere, weil ich jetzt einiges darüber gelesen habe und dann meine zu dieser Gruppe zu gehören. Ich weiß es einfach nicht.
Das mit dem Bikini heute, könnte ja auch sein, weil ich in meinem Kopf beschlossen habe nonbinary zu sein, nur weil ich etwas darüber gelesen habe und jetzt unsicher bin ob ich es bin oder nicht, oder?
Ich mache mir da wirklich echt viele (vielleicht zu viele) Gedanken über das Ganze, wie ihr vielleicht merkt. Und ehrlich, ich wäre euch wirklich sehr sehr dankbar, wenn ihr mir helfen könntet. Zumindest ein wenig. Damit das Chaos in meinem Kopf ein bisschen weniger wird.

Alles Liebe,
Rebecca

PS: ignoriert bitte die andere Nachricht, die ihr von mir vorfindet. Ich habe die Nachricht abgeschickt bevor sie fertig war, weil ich auf den Button gekommen bin.

Hi Rebecca!

Das klingt nach mehreren Baustellen, ich versuche das mal der Reihe nach zu beantworten. Falls was dabei runter fällt oder zu kurz kommt, schreib gerne nochmal dazu! 🙂

Zuerst bezüglich deiner Brüste: Wenn sie dich stören, muss du sie deshalb nicht sofort entfernen lassen. Eine gute Möglichkeit, um auszuprobieren, wie es mit weniger Oberweite wäre, bieten Binder. Damit wird die Brust ein gutes Stück weit komprimiert und je nach Größe kann man damit tatsächlich eine flache Brust bekommen. Allerdings kann man sie nur ein paar Stunden täglich und nicht zum Schlafen tragen. Aber um in manchen Situationen die Brüste zu kaschieren oder ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es mit weniger Busen sein könnte, sind sie super. Ich empfehle dir zu dem Thema auf jeden Fall Balthis Binder Broschüre zu lesen.
Falls du sie generell behalten möchtest, sie dir aber einfach zu groß sind, gibt es auch die Option einer Brustverkleinerung. Grade bei großer Oberweite haben ja selbst cis Frauen oft Probleme wie Rücken- oder Kopfschmerzen und nehmen Operationen in Anspruch. Wenn du aber an den Punkt kommen solltest, kann dich vermutlich ein*e Chirurg*in besser beraten, was für dich die besten Optionen sind.

Den Träumen würde ich jetzt erstmal keine so große Bedeutung beimessen. Klar, sowas kann auf unterbewusste Wünsche hindeuten, aber das kann auch einfach Verarbeitung von etwas, das du z.B. in einem Film gesehen hast, sein. Es schadet nicht, das im Hinterkopf zu behalten, aber wir Menschen träumen auch oft genug einfach Unfug, der sich nicht sinnvoll deuten lässt. Aber egal wie viel oder wenig Bedeutung das hat, es heißt definitiv nicht, dass mit dir etwas nicht stimmt. Im Zweifelsfall ist das einfach nur eine Sache (oder einezufällige Zusammenwürfelung von Dingen), die dein Unterbewusstsein grade umtreibt. Egal welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung du letztlich hast, da ist nichts verwerfliches dran!

Die Angst, dass du dich vielleicht grade nur in das Thema reinsteigerst, kennen glaube ich sehr viele in der queeren Community sehr gut. Aber mir ist bisher soweit ich weiß noch keine Person begegnet, die sich so starke Gedanken bis Sorgen um ihre Geschlechtsidentität gemacht hat und am Ende doch cis war. Kann vorkommen, aber ich glaub die meisten steigern sich nur deshalb in das Thema rein, weiles sie sehr direkt betrifft. 😉
Und dass bisher immer alles so weit ok war, muss nicht dagegen sprechen. Solange die Sprache fehlt, um sich tatsächlich Gedanken über die eigene Identität zu machen und einem nicht so richtig bewusst ist, dass es da überhaupt andere Optionen gibt, als was bei Geburt drauf gestempelt wurde, ist es auch schwer zu merken, dass da vielleicht was falsch ist. Grade auch dadurch, dass uns meistens schon früh suggeriert wird, dass sich niemand mit seinem Körper richtig wohl fühlt, ist es schwer, Dysphorie als solche zu erkennen.
(Um da mal aus dem Nähkästchen zu plaudern: bis vor ein paar Jahren dachte ich noch, ich hätte zwar nicht das mir bei Geburt zugewiesene Geschlecht gewählt, wäre es nicht derDefault gewesen, aber es wäre schon ok so. Spoiler: wars nicht.)
Leider gibt es genau eine Person, die dir sagen kann, was dein Geschlecht ist. Du selber. Ja, es wäre schön einfach einen multiple choice Test auszufüllen und ein definives Ergebnis zu kriegen, aber dafür ist das leider viel zu kompliziert und persönlich. Es hilft leider nur Label auszuprobieren und in dich rein zu horchen. Was macht dich glücklich? Was fühlt sich gut an? Wo drücken Dinge zu sehr?
Setz dich dabei aber nicht zu sehr unter Druck. Geschlecht ist schwer. Und Label wie questioning oder ‘ich hab doch auch keine Ahnung, frag mich nächstes Jahr nochmal’ sind auch jederzeit vollkommen valide Optionen. Und jetzt zu sagen, dass du beispielsweise nicht-binär bist und nächste Woche feststellen, das etwas anderes doch besser passt und danach die Woche wieder etwas anderes wäre ebenso in Ordnung. Sowas ist nicht in Stein gemeißelt!

So. Das war jetzt ziemlich lang und auch wenn ich dir zu nichts eine eindeutige Antwort geben kann, gibt es vielleicht zumindest den ein oder anderen Ansatz zum weiterdenken und nachfragen. Wie gesagt, für Rückfragen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung. 🙂

Liebe Grüße
Lir

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