Rezension “Verschnitt” (Jennifer Hauff)

„Ein Thriller ist kein Sachbuch!“ und „Na, wenigstens ist die inter Person nicht die Leiche…“ waren meine ersten beiden Gedanken, als ich das Rezensionsexemplar von „Verschnitt“ (Jennifer Hauff, erschienen bei mainbook, 2020) in den Händen hielt.
Zugegebenermaßen, ich hatte keine hohen Erwartungen und gehofft, dass es nicht allzu schlimm wird, was die Darstellung von Intergeschlechtlichkeit betrifft – eine Erwartung, entstanden aus der Erfahrung, schließlich wird Trans– und Intergeschlechtlichkeit in der Popkultur nur äußerst selten angemessen (für Betroffene) dargestellt und zu oft aus dya-cis Perspektive reißerisch ausgeschlachtet. Diese Erfahrungswerte und das Genre des Buches – ein Thriller – ließen mich also den Lesegenuss mit Vorbehalt beginnen.

Das Buch kurz zusammengefasst – der Klappentext: Lianes Familie wurde zerstört, als sie noch ein Kind war. Jetzt will sich die OP-Schwester rächen, an dem Kinderchirurgen, der geschlechtsverändernde Operationen an Kleinkindern vornimmt. Für ihren persönlichen Rachefeldzug sind ihr alle Mittel recht.
Als eine Patientin des Professors auf mysteriöse Weise verstirbt, findet Liane heraus, dass der Arzt illegale Hormonexperimente durchführt. Forschung und sein wissenschaftliches Renommee sind ihm dabei wichtiger als Einzelschicksale. Lianes Plan nimmt Fahrt auf. Doch mit ihren unkonventionellen Methoden bringt sie weitere Patienten in Gefahr.
Es gibt kein Zurück mehr. Kann sie die Menschenexperimente des Chirurgen stoppen, ohne selbst über Leichen zu gehen?

Ich muss zugeben, ich wurde überrascht. Bis auf eine kleine Wortänderung („Transgeschlechtlichkeit“ ziehe ich persönlich dem veralteten Begriff der „Transsexualität“ grundsätzlich vor) gab es aus aktivistischer Perspektive nicht nur wenig auszusetzen, im Gegenteil, das Buch hat das Thema „Intergeschlechlichkeit“ bzw. „Intersexualität“ aufgenommen, ohne es voyeuristisch auszuschlachten.
Ich möchte nicht spoilern, weshalb ich die Handlung im Dunkeln lasse, kann aber die Vorgehensweise der Protagonistin – selbst wenn sie dabei Grenzen überschreitet – grundsätzlich nachvollziehen. Ein weiterer Pluspunkt für das Buch: Die Grenzen dessen, was „richtig“ und „falsch“ ist, verschwimmen, sind nicht mehr an das Strafgesetzbuch gebunden und ausschließlich der Moral der Handelnden überlassen. Ob eher der Protagonistin oder dem Antagonisten Sympathie entgegengebracht wird, hängt zwangsläufig vom, unter Anderem politischen, Standpunkt der lesenden Person ab – eine angenehme Abwechslung zu anderen Büchern dieses Formats. Ich persönlich sympathisiere mit der Protagonistin und empfinde ihr perfides Vorgehen den Grausamkeiten gegenüber, die sie verhindern will, durchaus angemessen.

Dennoch muss ich sagen, dass die Handlung relativ vorhersehbar blieb, hier hat die Autorin einige Spannungsmomente und Aha-Effekte verschenkt. Viel war bereits im ersten Drittel des Buches angedeutet, das hat das Leseerlebnis zwar nicht sehr, aber doch ein bisschen geschmälert. Es blieb nicht mehr die Frage „was passiert“ oder „wer wird etwas tun“, sondern nur „wie passiert es“.

Auch bei den Charakteren hätte ich mir mehr Tiefe, mehr Komplexität vorstellen können, trotz emotionaler Belastung blieben sie seltsam flach und farblos. Ein wenig, als hätte die beeindruckende Entschlossenheit der Protagonistin der Handlung die Möglichkeit genommen, eine ausführliche Charakterentwicklung voranzutreiben und sich als undurchdringlicher Nebel über die Emotionen gelegt. Selbst die Beschreibung von Zweifeln und Verzweiflung blieb ungreifbar. Vielleicht ist hier die bisherige Arbeit der Autorin im Bereich der Jugendliteratur zu erkennen, ich würde mir jedoch in folgenden Werken mehr Tiefgang wünschen, gerade in der Verarbeitung und dem Umgang erlebter Traumata.

Gleichzeitig habe ich nur zwei Tage gebraucht, um das Buch zu vollenden und war am Ende zufrieden mit der Story. Es gab keine Jumpscares, kein blutiges Gemetzel. Mit dem Grauen wurde geschickt gespielt, ohne sich wie ein Stephen King in den Details von Schmerzen und Brutalität zu verlieren.

Dennoch muss ich sagen, dass die Handlung relativ vorhersehbar blieb, hier hat die Autorin einige Spannungsmomente und Aha-Effekte verschenkt. Viel war bereits im ersten Drittel des Buches angedeutet, das hat das Leseerlebnis zwar nicht sehr, aber doch ein bisschen geschmälert. Es blieb nicht mehr die Frage „was passiert“ oder „wer wird etwas tun“, sondern nur „wie passiert es“.

Empfehlen würde ich das Buch erst ab ungefähr sechzehn und nur für Menschen, die sich – wie ich – in den Details einer Story verlieren können.

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Eine Antwort

  1. 4. November 2020

    […] – Auf unserem Blog neu ist eine Rezension zum Roman “Verschnitt” über eine intergeschlechtliche Person. […]