Kummerkastenantwort 1.168: Ich habe Dysphorie

Hallo zusammen,

ich befinde mich schon länger in einer Krise, was meine Identität betrifft.
Ich bin als Frau geboren und auch so erzogen worden. Das hat mich schon immer sehr belastet, aber ich habe es lange akzeptiert.
Seit meiner Pubertät leide ich darunter, weibliche körperliche Attribute bekommen zu haben und weiblichen Zuschreibungen ausgesetzt zu sein. Als Kind habe ich mich vor allem als Mensch wahrgenommen, darunter, ab einem Punkt ganz klar “das Mädchen”, “die Frau” zu sein, habe ich seit dem Ende meiner Kindheit stark gelitten.
Zeitweise hatte ich den starken Wunsch, einen männlichen Körper zu haben, doch daraus wurde mit der Zeit der Wunsch, einen neutralen Körper zu haben. Inzwischen habe ich mich mit meinem Körper “arrangiert”, forme ihn so, dass er mir erträglicher wird. Ich lebe als Frau, habe mich darin eingerichtet, aber fühle mich elend und verloren, wie unvollständig. Je älter ich werde, desto mehr belastet mich dieses Label. Mein Selbstverständnis ist einfach nicht 100% weiblich. Eher dazwischen, manchmal wie “mehr” als das – das fühlt sich großartig an – , manchmal wie einfach “weniger” – dann fühle ich mich, als fiele ich auseinander.
Ich bin zur Zeit akut orientierungslos, weil ich merke, immer weniger für mich behalten zu wollen, wie ich mich eigentlich identifiziere, doch ich habe große Angst, von meinem engsten Umfeld so nicht akzeptiert zu werden.
Alles sehen in mir nur “die Frau” und scheinen gar nichts anderes auch nur in Betracht ziehen zu wollen.
Ich glaube, deshalb schreibe ich hier auch rein, um das einmal veräußern zu können, wenn auch anonym, wenn auch “nur” in diesem Kummerkasten.
Habt ihr irgendwelche nützlichen Tipps oder Denkansätze für mich?

Liebst

Hi!

Es ist von außen leider nicht wirklich möglich dein Geschlecht zu bestimmen. Aber ein paar Label, die zu dir passen könnten kann ich dir vorschlagen. Ob und was davon wirklich zu dir passt musst du ausprobieren, aber vielleicht hilft es zumindest als Ansatz. 🙂

Das Gefühl nicht 100%ig weiblich zu sein könnte in Richtung Demigirl/Demifrau gehen. Aber auch Label in Richtung Genderfluid könnten passen, da du eine Veränderung je nach Situation beschreibst. Das kann aber auch einfach davon kommen, dass manchmal einfach alles falsch und furchtbar ist und manchmal sich Dinge ignorieren lassen. Grade, wenn du dir wünschst “neutraler” zu sein, passt aber natürlich auch allgemein Nichtbinär oder Begriffe unter diesem Schirm. Falls du nichts passendes findest, ist es auch eine valide Option nur zu sagen, dass du keine Frau bist. Label sind in erster Linie für dich und du bist niemandem eine genaue Erklärung schuldig!

Der beste Weg zum Dinge Ausprobieren ist meiner Erfahrung nach, sich andere Personen mit ins Boot zu holen. Zusammen kann man dann schauen, wie es sich anfühlt von anderen mit einem bestimmten Label bezeichnet zu werden oder auch (falls das für dich relevant ist), wie sich ein anderer Name oder andere Pronomen anfühlen. Das kann mit engen Freunden sein, aber es geht auch ganz anonym im Internet. Falls du noch unter “junge*r Erwachsene*r” passt, könnte dir da unser Regenbogenchat helfen.

Was dein Umfeld angeht, ist es leider auch schwer Vorhersagen zu machen. Die allermeisten werden nicht von selbst auf die Idee kommen, dass du nicht das dir zugeschriebene Geschlecht hast. Dafür ist unsere Gesellschaft leider zu cisnormativ. Wenn aber nicht von vornherein absehbar ist, dass sie dich nicht akzeptieren werden, empfehle ich mit ihnen darüber sprechen. Outings sind nie zwingend nötig, aber grade wenn es dir mit der Zuschreibung von außen schlecht geht, sehr sinnvoll.

Ich hoffe das reicht dir für einen ersten Überblick. Solltest du weitere Fragen haben oder auch einfach nochmal etwas von der Seele schreiben wollen, melde dich gerne wieder!

Liebe Grüße
Lir

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