Kummerkastenantwort 1.311: Bin ich trans?
Ave liebes Queer Lexicon Team!
Ich bin 17 Jahre alt und seit einiger Zeit denke ich darüber nach, ob ich Trans (ftm) bin … ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich es bin. Ich habe nicht die krasseste Dysphorie, aber sie ist definitiv vorhanden. Deshalb könnte ich mir auch vorstellen, medizinisch zu transitionieren. Außerdem verspühre ich Euphorie wenn ich mir vorstelle, zukünftig einen männlichen Körper zu haben und einen männlichen Namen usw. zu benutzen.
Aber hier kommen auch diverse Ängste und Zweifel ins Spiel.
Ich spiele mit Leidenschaft Volleyball (momentan im Frauen-Team, denn ich bin noch nicht geoutet), aber wenn ich mir die Jungs in meinem Verein so anschaue, habe ich darauf in Zukunft eher weniger Bock. Sie sind irgendwie alle so laut und machohaft und … anstrengend. Ich hoffe inbrünstig, es liegt nur am Alter, haha. Trotzdem habe ich Angst, dass ich aufgrund einer Geschlechtsangleichung mit allem drum und dran diesen Sport aufgeben werde, weil ich mich in einem Männer-Team unter all den riesigen Cis Männern nicht wohl fühle.
Außerdem habe ich generell Angst, dass es mir schwerer fallen wird, neue Freunde zu finden, wenn ich mit der Schule fertig bin, weil mich die Menschen nicht vollständig als das akzeptieren, was ich bin. Es fällt mir sowieso schon schwer, mich mit Jungs anzufreunden und ich fühle mich unter Mädchen meist wohler. Aber über einen Typen, der nur mit Mädchen abhängt, werden auch nur blöde Gerüchte verbreitet. Hinzu kommt noch, dass ich ein bisschen Sorge habe, wie meine jetzigen Freunde reagieren und ob eine Transition viel an unserem Verhältnis ändern wird.
Meine letzte Angst ist definitiv die seltsamste: Ich bin mir ziemlich sicher, auf Frauen zu stehen und habe mich daher bisher als lesbisch identifiziert, worauf ich auch irgendwie richtig stolz war. Ich war dann auch dementsprechend auf diversen LGBTQ+ Social Media Accounts unterwegs und dabei stößt man ja häufig auf so Witze über heterosexuelle Männer. Ich fand die bisher auch meist recht unterhaltsam, aber jetzt … identifiziere ich mich als genau dad, über das ich bisher immer dumme Witze gemacht habe. Das verunsichert mich irgendwie extrem, weil ich das Gefühl habe, ein Witz zu sein … jemand, über den sich queere Menschen lustig machen, weil er straight ist und eine heterosexuelle Beziehung hat.
(Kleiner Disclaimer: Ich möchte hier nichts pauschalisieren. Nicht alle Volleyballer sind laute Machos und nicht alle queere Menschen machen Witze über Heteros.)
Zusammengefasst kann man also sagen, dass ich bezüglich meiner Zukunft ziemlich verunsichert bin und im Bezug auf manche Dinge Angst vor Veränderung habe. Das gepaart mit dem zeitweise auftretenden queeren Imposter-Syndrom (Bin ich überhaupt Trans genug?) machen mein inneres Chaos komplett. Meine Stimmung ähnelt in letzter Zeit dementsprechend einer Sinuskurve.
Liebe Grüße,
der seltsame Typ, der Mathe-Witze macht (Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was da gerade passiert ist.)
Hallo!
So wie es dir geht, geht es sehr vielen trans Menschen während ihres Coming Out Prozesses, das ist völlig normal. Wie du selbst schreibst: das ist dieses queere Imposter-Syndrom von dem wir hier im Kummerkasten auch ständig sprechen. Ich würde dir raten, vielleicht Kontakte zu anderen trans Jugendlichen und jungen Menschen aufzubauen. Das geht z.B. in einer trans (Jugend-)gruppe in deiner Nähe oder in unserem Regenbogenchat.
Ich kann gut verstehen, dass du dich von bestimmten Formen von Männlichkeit und Heterosexualität abgrenzen möchtest. Aber letztendlich ist das etwas gutes: Du kannst die Art von Mann sein, die du gut und positiv und richtig findest. Und du wirst definitiv auch Freund*innen finden, die dich akzeptieren und mit denen du dich wohlfühlst und die keine seltsamen Gerüchte verbreiten oder dich judgen. Auch dazu sind queere Räume ob digital oder nicht eine gute Sache.
Und übrigens: Es gibt viele trans Männer, die sich vor ihrem Coming Out als lesbisch identifiziert haben – und das als Mann immer noch tun, eben weil sie z.B. tiefe Wurzeln in der lesbischen Community haben.
Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen, sonst melde dich gerne nochmal.
Liebe Grüße,
Annika