Kummerkastenantwort 1.341: Ich habe viel Dysphorie

Hallo,
Ich bin 15 und ftm. Vor ca einem Monat habe ich mich bei meiner Familie geoutet, die das Ganze super aufgenommen haben. Sie nennen mich jetzt bei meinem richtigen Namen und nicht mehr bei dem alten, und eigentlich könnte die Situation nicht besser sein.
Aber. Natürlich kommt ein aber.
Seit dem habe ich immer stärkere Dysphorie. Jedes Mal, wenn ich mich im Spiegel sehe, fühle ich mich, als hätte mir irgendwer eine gescheuert. Ich wache morgens auf und alles ist beschissen. Egal wie ich mich abends hinlege, ich spüre immer noch meine Brüste und das ist schrecklich. Ich schlafe kaum. Ich weine fast jeden Abend.
Ich habe angefangen, schweigsam zu sein, weil ich meine Stimme nicht mehr ertrage, und wenn ich glücklich bin, holt mich das Geräusch meines eigenen Lachens wieder zurück und es ist wieder alles scheiße.
Ich mache kaum noch Distanzaufgaben für die Schule, das wird mich noch in Schwierigkeiten bringen, weil ja alles benotet wird. Ich habe Angst davor, wieder in die Schule zu müssen, wo mich jeder bei meinem alten Namen nennt außer ein paar Freunden, aber das geht im Unterricht ja nicht.
Ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann, aber irgendwas muss ich tun.
Ich fühle mich einfach nur noch schlecht, meine Noten leiden darunter, alles, was mir früher einmal Spaß gemacht hat, ist mir jetzt egal. Ich liege nur noch in meinem Bett und höre Musik, aber was früher einmal geholfen hat, nämlich bei den Sängern mit den tiefen Stimmen mitzusingen, macht mich nur noch traurig weil ich neidisch werde auf diese Stimme. Wenn ich einen Cis Mann sehe werde ich sowieso immer neidisch. Und irgendwie habe ich angefangen, alles zu hassen was mit Frauen zu tun hat, sogar die Frauen. Ich übertrage meine Probleme auf andere, mittlerweile kann ich mir nicht Mal mehr vorstellen, dass man mit einem weiblichen Körper ohne Probleme leben kann. Ich will keine Filme mehr gucken in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen, weil ich dann anfange, für diese Person Dysphorie zu haben. Also wenn sie ein Kleid trägt, fühle ich mich unwohl.
Warum passiert das alles? Ist das normal?
Gibt es irgendwas, was ich noch tun kann? Ich kann diese Lage so nicht mehr akzeptieren…

S.

Hallo S.!

Es kommt leider gar nicht so selten vor, dass die Dysphorie erstmal schlimmer wird, wenn trans Personen ihre Transition beginnen. Da kommt einfach ganz viel hoch, was vorher unterbewusst war oder weggeschoben wurde. Und grade wenn du merkst, wie Dinge besser sein können (zum Beispiel mit einem passenden Namen angesprochen werden), tut es umso mehr weh, wenn sie dann wieder an anderer Stelle falsch gemacht werden. Damit bist du definitiv nicht alleine!

Das einzig wirksame Mittel gegen Dysphorie, das ich kenne, ist Transition. Das kann medizinisch sein (zum Beispiel Hormontherapie oder Mastektomie), aber auch abseits davon gibt es Möglichkeiten. Es gibt zum Beispiel Sprachübungen, mit denen du deine Stimme tiefer bekommen kannst. Tutorials dazu finden sich auch auf Youtube, wenn du z.B. nach “Sprachtraining tiefere Stimme” suchst. Außerdem kann auch soziale Transition schon vieles besser machen. Wenn Outing in der Schule für dich eine Option ist, kannst du durchaus deine Klasse und Lehrer bitten, dich mit deinem neuen Namen anzusprechen (und im worst case wenn sich die Lehrer quer stellen dich mit Unterstützung deiner Eltern bei der Schulleitung beschweren). Wenn dir weitere Sachen einfallen, bei denen du Euphorie fühlst, versuche sie in deinen Alltag einzubauen und damit die negativen Erlebnisse etwas abzumildern.

Deine negativen Gefühle zu Weiblichkeit sich wahrscheinlich auch wieder in den Griff kriegen, wenn du dich mit dir selbst wieder wohler fühlen kannst. Wenn grade alles schlimm ist, kann es sehr schwer sein das nicht auf andere zu übertragen. Aber immerhin ist dir bewusst, wo diese Gefühle her kommen. Das macht es unwahrscheinlicher, dass du andere deshalb verletzt und du kannst besser daran arbeiten. Dass du diese Gefühle hast und unter ihnen leidest, macht dich nicht zu einem schlechten Menschen.

Ich hoffe, das ich dir ein paar hilfreiche Anregungen geben konnte und wünsche dir, dass es bald besser wird.

Liebe Grüße
Lir