TSG: Was soll das alles?

 

Diese Woche hätte es die Abschaffung des “Transsexuellengesetzes” geben können. Da haben im Bundestag ein paar Stimmen gefehlt. Xenia fasst zusammen.

Mutter allen Übels: Das TSG

Das TSG ist eines der schlechtesten Gesetze Deutschlands. (Die Regelungen zu Abtreibungen und zur Barriefreiheit und zum Klimaschutzgesetz sind auch nicht die besten.) Es wurde schon als Gesetzgebungsruine bezeichnet.
Es besteht seit 40 Jahren und das Bundesverfassungsgericht hat das allermeiste darin nach und nach aufgehoben, weil es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar war. Dazu kommt, dass es davon ausgeht, dass trans sein eine Krankheit ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diesen Standpunkt mittlerweile aufgegeben. Das Bundesverfassungsgericht erkennt seinerseits auch an, dass Geschlecht nicht allein an körperlichen Merkmalen definierbar ist – das deutsche Personenstandsrecht geht aber nach wie vor davon aus, da genau das bei Geburt versucht wird. Stellt diese Zuordnung sich später als falsch heraus, bleibt vielen nur der Weg über das Transsexuellengesetz.
Dieser Weg sieht so aus, dass die Änderung bei Gericht beantragt wird. Das zuständige Gericht bestellt dann zwei Gutachen darüber, dass die antragstellende Person tatsächlich trans ist. Oder, wie das Gesetz es nennt, „ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.” – Laut Gesetz kann eine Person einen solchen Antrag auch nur stellen, wenn „sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben”. Wir erinnern uns: Transgeschlechtlichkeit ist, der WHO folgend, keine Krankheit, keine Störung und geht erst recht nicht mit Zwängen einher.

Die semi-gute Nachricht. Alle demokratischen Fraktionen im Bundestag erkennen grundsätzlich den Reformbedarf an.

Fruchtlose Versuche

Die regierende große Koalition aus SPD und Union hat in der aktuellen Legislaturperiode mehrere Vorstöße, vor allem aus der SPD, unternommen, diese Reform anzugehen. Das endete 2019 mit einem Vorschlag, der so schlecht war, dass alle Verbände, die zum sogenannten Referententwurf Stellung nehmen, diesen ablehnten und er schließlich fallen gelassen wurde.

Später hat auch das unionsgeführte Innenministerium eine Regelung versucht. Anfang April gab die SPD-Fraktion dann bekannt, dass auch das gescheitert ist, weil für sie die angestrebte Reform nicht ausreichend gewesen sei und es vom Koalitionspartner kein Entgegenkommen gab.

Diese Woche wurde nun im Bundestag über zwei Gesetzentwürfe aus der Opposition, die das TSG ebenfalls abgelöst hätten, abgestimmt. Rechnerisch hätte es mit der SPD, der Linksfraktion, der Grünen-Fraktion und der Fraktion der FDP eine dünne Mehrheit gegeben. Da die SPD aber gegen die Entwürfe stimmte, bleibt nun erstmal alles beim alten.

Wer ist da jetzt Schuld?

Schwierige Kiste. Ich fang mal mit den einfacheren Punkten an.

Was hat die Union verbockt?

Die Fraktionen von CDU und CSU sind Teil der Regierungskoalition. Sie hätten Initiavrecht. Einerseits haben sie alles abgeblockt, was von der SPD kam. Andererseits konnten sie die SPD auch nicht für ihren Vorschlag gewinnen.
Unabhängig davon, dass ihr Vorschlag auch keine echte Verbesserung gewesen wäre, zeigt das auf alle Fälle schonmal, dass das für die Union kein so dringendes Anliegen sein kann.

Weiterhin wehrt sich die Fraktion mit Händen und Füßen gegen tatsächlich selbstbestimmte Regelungen und will sich weiterhin an eine Begutachtungspflicht klammern. Also selbst, wenn eine Reform von der Union käme, wäre die für uns nicht ausreichend. Es wäre Zeit, dass die Konservativen mal im Heute ankommen und ihre absurde Vorstellung aufgeben, dass Transsein medizinisch festgestellt werden muss oder überhaupt kann.

Ansonsten hat ein Redner für die CDU in der Bundestagsdebatte seine Rede auf einen Artikel aus der FAZ zurückgegriffen. Einer, der albern schlecht recherchiert war und inhaltlich mindestens dürftig. Vielleicht wäre es also auch besser, wenn die Union sich erstmal ordentliche Quellen sucht.

Was hat die SPD verbockt?

Die SPD hat es verpasst, inhaltlich solide zu begründen, was sie eigentlich macht. Abgeordnete sind nach Grundgesetz zur Vertretung des gesamten Volks gewählt – nicht zur Wahrung der Interessen der CDU.

Wenn die SPD also inhaltliche Vorbehalte gegen die Reformvorschläge aus der Opposition hat, dann hätte sie die im Vorfeld äußern können. Hätte sie mit der FDP und den Grünen zusammenarbeiten können und diese ausräumen. Gesetzentwürfe können abgeändert werden. Dafür gibt’s Prozeduren. Oder die SPD hätte die Teile übernehmen können, mit denen sie ok ist, und sie selbst zur Abstimmung stellen.

Sich aber vors Plenum zu stellen und zu sagen, was man alles schon erreicht hat, wie gerne man würde, wie gerne man hätte und leider hat ja die Union nicht und leider seien die Vorschläge der Opposition nicht ausreichend – das reicht halt nicht. Ein Parlament ist ein Ort der (manchmal inszenierten) Debatte. Aber ohne Argument keine Debatte. Ohne Inhalt keine Debatte. Die SPD hätte sagen sollen und müssen, was sie an dem ganzen Ding stört.

An dieser Stelle sei lobend Josip Juratovic erwähnt. Der hatte nämlich auf das Gehabe seiner Fraktion und auf quasi-Koalitionszwang keinen Bock und daher für die Gesetzentwürfe gestimmt. Kann man machen. Kostet auch nichts. Das Ergebnis hat er damit freilich nicht rumreißen können. Darum gehts auch nicht. Er hat, hier nach Gewissen abgestimmt. Das steht ihm zu. Da steht dem Rest der SPD-Fraktion auch zu.

Was haben die FDP und die Grünen verbockt?

Es wäre zu einfach, hier nur die SPD und die Union anzugehen. Es gab zwei Gesetzentwürfe, die weitgehend gleichbeudetend waren. In dem Jahr seit der ersten Lesung hätten die Grünen und die FDP, hätten Sven Lehmann, der für die Grünen an der Reform gearbeitet hat, und Jens Brandenburg, der es für die Liberalen tat, über die Unterschiede reden können und ebenso Kompromisse finden. Um mit einem Antrag und einer Abstimmung da reingehen zu können.

Was hat die Linksfraktion verbockt?

Die Linke hätte es am einfachsten gehabt. Die hätte einfach hergehen können, für die Gesetzentwürfe stimmen und sich einen schönen Tag machen. Sie sind Opposition, demokratische Oppositions-Fraktionen haben das Ding eingebracht. Es geht um Menschenrechte, um Minderheitenrechte, wird schon passen. Vier Leute aus der Linksfraktion haben namentlich gegen die Entwürfe gestimmt. Das sind im Verhältnis zur Fraktionsstärke nicht viele, richtig. Aber gleichzeitig, wenn irgendwo hätte erwartet werden können, dass das Fraktionskonsens ist und wenn irgendwo kein Druck für nix da war, dann bei der Linksfraktion.

Was hat die AfD verbockt?

Nun, wenn ich über alle anderen Fraktionen rede, rede ich auch über die AfD. Sorry, not sorry. Was haben die falsch gemacht? Alles. Leute, deren Landesverbände von Menschen angeführt werden, die man gerichtlich bestätigt einen Faschisten nennen kann, haben in einem Parlament nix verloren.
Ich hab keine Ahnung, was Beatrix von Storch in ihrer Rede vor der Abstimmung gesagt hat, ich bin mir aber sehr sicher, dass genau nichts davon sinnvoll, notwendig oder hilfreich war.

Was hat die Bundesregierung verbockt?

Die Bundesregierung, also die Ministerien und die Kanzlerin hab ich bisher noch nicht explizit erwähnt. Aber wenn alle aufs Dach kriegen, dann auch die BuReg. Das ist sogar so ein dickes Brett, dass sie noch zwei Unterüberschriften bekommt.

Arbeitsaufträge

Die Bundesregierung kann Gesetzentwürfe in den Bundestag einbringen. Das ist im Tagesgeschäft auch eine durchaus gängige Variante, wie Gesetzgebung hier funktioniert. Und jetzt ist es in Sachen TSG-Reform so, dass der Bundesrat und der europäische Rat beide eine von der Bundesregierung fordern.
Der Beschluss des euorpäischen Rates wurde sogar mit den Stimmen der Bundesregierung getroffen. Sie hat sich also selbst verpflichtet etwas zu tun und tut das bis heute nicht.
Zwei Forderungen aus der Resolution:

  1. “involve and consult transgender people and their organisations when drafting and implementing policy and legal measures which concern them” – „Einbeziehung von trans Personen und ihrer Organisation beim Entwurf und der Umsetzung von Grundsätzen und rechtlichen Regelungen, die sie betreffen.
  2. “develop quick, transparent and accessible procedures, based on self-determination, for changing the name and registered sex of transgender people on birth certificates, identity cards, passports, educational certificates and other similar documents; make these procedures available for all people who seek to use them, irrespective of age, medical status, financial situation or police record; abolish sterilisation and other compulsory medical treatment, as well as a mental health diagnosis, as a necessary legal requirement to recognise a person’s gender identity in laws regulating the procedure for changing a name and registered gender;” – “schnelle transparente und zugängliche Verfahren entwickeln, basierend auf Selbst-Zuordnung, die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag von trans Personen auf Geburtsurkunden, Ausweisen, Reisepässen, Zeugnissen und vergleichbaren Dokumenten erlauben; diese Verfahren für alle zugänglich machen, die sie nutzen wollen, unabhängig von Alter, Gesundheit, finanzieller Situation oder Polizeiakte; Sterilisation, erzwungende Behandlungen und Diagnosen zur psychischen Gesundheit als notwendige rechtliche Voraussetzungen um die Geschlechtsidentität einer Person in Gesetzen, die das Verfahren, Namen und Geschlechtseintrag zu ändern, anzuerkennen, abzuschaffen.

Der Beschluss des Bundesrates knüpft direkt an den zweiten Punkt hier an. Der Bundesrat benennt darin: „Der Bundesrat gibt aber zu bedenken, dass diese lediglich punktuelle Änderung des TSG angesichts des aus Sicht der Länder bestehenden dringenden Reformbedarfes bei weitem nicht ausreichend ist. Die Arbeitsgruppe der Bundesregierung tagt bereits seit 2014. Alle wesentlichen Fragen einer Reform sind durch mehrere, umfangreiche Gutachten geklärt. Ein weiteres Abwarten des angekündigten Abschlussberichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe droht die notwendige Reform daher nur weiter zu verzögern – mit allen negativen Folgen für die Betroffenen, die sich zwischenzeitlich weiterhin einer teuren und unnötigen Begutachtungspflicht unterziehen müssen.”

Die besagte Arbeitsgruppe ist die „IMAG trans inter” – interministerielle Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität. Verschiedene Bundesministerien und Abgeordnete haben Gutachten eingeholt und sich beraten, wie die rechtliche Situation von trans- und intergeschlechtlichen Personen ist und welcher Regelungsbedarf besteht. Der Bundesrat betont noch klarer, was jetzt Not täte:

„Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, in einem nächsten Schritt darauf hinzuwirken, dass unverzüglich das TSG in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Gutachten aufgehoben und durch ein entsprechendes modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung ersetzt wird. Dabei ist insbesondere die teure und unnötige Begutachtungspflicht vor einer Vornamens- beziehungsweise Personenstandsänderung sofort abzuschaffen und durch ein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität zu ersetzen.”

IMAG trans inter

Die besagte Arbeitsgruppe hat Ergebnisse veröffentlicht. Darin sind fertig ausgearbeitet sogar zwei Gesetzentwürfe, das TSG abzulösen. Einer mehr angelegt wie die jetzt im Bundestag abgelehnten Entwürfe, der andere wurde vom Blickwinkel der Geschlechtervielfalt im Recht erarbeitet und verzichtet beispielsweise auch explizit auf eine Zuweisung bei Geburt in die Geburtsurkunde. Greift hier also tiefer, schafft aber ebenso selbstbestimmte Regelungen für den Geschlechtseintrag.

Ein paar Anpassungen wären an den Entwürfen wohl notwendig. Nach deren Erarbeitung kam die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Die Regelungen zur Dritten Option. Aber die Entwürfe sind da. Ministerien haben prinzipiell auch die Ressourcen, sowas überarbeiten zu lassen, wenn sich Dinge geändert haben.

Aus dem Quark kommen

Eigentlich wäre alles da. Ein Arbeitsauftrag. Sogar zwei Entwürfe. Die Bundesregierung müsste nur wollen. Und irgendwer da scheint nicht zu wollen. Ob das jetzt die Minister*innen der Union sind, der Konsens in der Bundesregierung oder eine einzelne Person spielt hier für mich keine Rolle. Man müsste halt machen.

Was bleibt?

Nix. Eine unwürdige Gesetzesruine. Die Beteuerung von allen Beteiligten, dass sie ja wollen, aber die anderen nicht. Für Tweets zu queeren Feiertagen, dass unsere Rechte wichtig sind, reichts, für Stimmen für Gesetzentwürfe, die sie verbessern würden, nicht. Für die Beteuerung, man habe es versucht, reichts, dafür, Kompromisse zu finden, nicht. Für einen Koalitionsvertrag reichts, für eine Abstimmung nach Gewissen gegen die CDU reichts wohl nicht, auch wenn trans- und nichtbinäre Rechte der SPD angeblich wichtig sind.

Auch: Ich mag hier alle erwähnt haben, aber kommt nicht auf die Idee, dass ich sie gleich tief in der Schuld sehe. Dass die FDP und die Grünen überhaupt Gesetzentwürfe einbringen, obwohl sie in der Opposition sind, und damit rechnen müssen, dass SPD und Union nicht mit ihnen arbeiten werden und immer eine Mehrheit gegen alles haben, ehrt sie.

Ob es jetzt die SPD ist, die sich nicht durchsetzen kann, oder die Union, die bei der SPD immer „nein” sagt, kann ich von außen nicht einschätzen. Mir aber auch komplett wurscht. Ich bin überzeugt, wenn die SPD wirklich eine Reform gewollt hätte, hätte es die vor der Wahl noch geben können. Mit der Union oder mit FDP, Linken und Grünen. Notfalls in der allerletzten Sitzung, dann kann die Union auch nix mehr tun, weil die Koalition gebrochen worden wäre.

Gleichzeitig: ich hab keinen Bock mehr drauf, zuzuschauen, wie die sich alle gegenseitig in alle Richtungen beschuldigen. Da sind jetzt Vorwürfe gegen die FDP und die Grünen im Umlauf, weil ihre Entwürfe nur in schmerzlicher Enttäuschung der Betroffenen enden konnten oder so. Aus Richtung der SPD. Kann ich nur sagen: dass ihr keine Reform selber hinbekommen habt, ist nicht weniger schmerzlich oder enttäuschend.

Das, was vom TSG übrig ist, ist ein schlechter Witz. Halb Europa macht vor, wie Selbstbestimmungsgesetze gehen, wir haben 2 Entwürfe aus der IMAG und 2 aus der Legislatur und kriegen es nicht hin. Was soll das werden? Und egal, wen da wie viel Schuld trifft – auch sowas kostet Vertrauen in Demokratie. Und das können wir uns nicht leisten.

Der Reformbedarf ist da. Die Anforderungen sind da. Der Tag wird kommen.

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