Kummerkastenantwort 1.982: Mein Coming Out als genderfluid lief nicht so super.

Hey 🙂

Mein Name ist Leo, ich bin genderfluid und nutze any pronouns. Ich bin 14 und afab.

Herausgefunden, dass ich Genderfluid bin,habe ich vor ungefähr 4 ½ Monaten. Mir ging es in dieser Zeit ziemlich schlecht. Ich dachte eigentlich immer meine Eltern seien offen all dem gegenüber also habe ich auch angedeutet dass ich mich mit Gender und LGBTQIA+ beschäftige. Ich habe dann auch relativ schnell (1 Monat oder so) herausgefunden wer ich bin, habe es erst einmal aber noch niemandem gesagt.

Mein erstes Outing war an dem Tag des Fußballspiels Deutschland – Ungarn. Ich hatte eine Petition in die Klassengruppe geschickt, worauf eine Diskussion über Homophobie losbrach. Am nächsten Tag fragte mich eine Klassenkameradin ob ich LGBT+ bin. Ich habe ihr erklärt wer ich bin. Mein nächstes Outing (bei meinem bisexuellen Bruder) verlief ähnlich. Er fragte mich ob ich queer bin. Ich erzählte ihm wer ich bin und er sagte dass er mich immer unterstützen würde!

Am selben Abend lief alles schief, wir waren Essen. In irgendeinem Kontext sprach mein Vater von mir als seiner Tochter und ich kam auf die absolut katastrophale Idee ihn zu „korrigieren“ Ich habe ihn also gebeten mich Kind zu nennen.
Am nächsten Tag stand meine Mutter weinend vor meinem Bett und meinte irgendwie dass sie mich gar nicht mehr wieder erkenne, dass sie ihre Tochter, ihre kleine Deadname vermisse und dass ich ihr zu radikal werde, etc. Ich war sehr verletzt und habe mich daraufhin bemüht das Thema LGBTQ+ aus allen Gesprächen Zuhause zu verbannen.
In der selben Woche sind wir auch einmal „shoppen“ gegangen (yay:() Ich brauchte eine neue Jogginghose. Meine Mutter hat mich angepflaumt, warum ich denn nur bei den Jungs gucke und so weiter. Ich habe dann den Gedanken mich jemals bei meinen Eltern outen zu wollen aufgegeben.
Ich finde es auch ziemlich widersprüchlich dass wir eine Prideflag im Auto hängen haben und ich mich trotzdem so doof und missachtet fühle.
(Teil 1 von 3)

Hey ich bin’s Leo (unter meinem Text stand Teil 1 von 3)

Weiter geht’s:
Nach den Sommerferien wurde mir klar dass ich so nicht weitermachen kann, weil mich es belastet, dass fast niemand wirklich kennt und niemand mich bei meinem richtigen Namen nennt. Ich wollte mich bei meiner ganzen Klasse auf einmal outen. Ich habe also meine Klassenlehrerin gefragt ob ich in der morgigen Mathestunde kurz etwas sagen dürfe. Wie erwartet hat sie gefragt was und ich habe mich bei ihr geoutet. Sie meinte aber, dass sie erst einmal nach der Schule mit mir darüber reden möchte. Ich war also den ganzen Schultag super nervös und habe mich noch zusätzlich gefragt ob sie mich während meines Outings bei meinem Deadname gennant hat (Ja hat sie) Wir haben uns dann unterhalten und sie meinte sie wolle erstmal abwarten, weil es so kompliziert sei und es ja normalerweise viel länger dauert bis man sowas weiß etc. Sie meinte auch dass bevor ich meinen Namen benutzen könne sie erst einmal mit meinen Eltern reden müsse. Als ich sie dann inständig gebeten habe dies zu lassen, meinte sie dass sie ja gemerkt habe dass es mir zu der Zeit nicht so gut ging und sie ja darüber mal mit meinen Eltern reden könne. (Noch hat sie es nicht getan, zum Glück!)

Zwei Wochen später hatte ich erst bei meinen Freunden (perfekte Situation) und dann bei meiner Klasse (unfreiwillig, eine Person hat es zwei weiteren erzählt und ich wollte keine Gerüchte) mein Coming out. Bei meiner Klasse habe ich mich in Geschichte geoutet und mein Geschichtslehrer ist super unterstützend und benutzt auch immer meinen richtigen Namen. Meine Klasse hat auch super reagiert:)
(Teil 2 von 3)

Hey ich bin’s wieder Leo. Entschuldigung dass ich soviel schreibe, aber es hilft mir. Sorry dass ich euch so viel Arbeit mache:(( unter meinem Text stand Teil 2 von 3)

Weiter geht’s:
Ich wollte mich jetzt also den schlechten Erfahrungen zum Trotz Stück für Stück outen und habe beschlossen mich bei meinem Deutschlehrer zu outen. Dass wollte ich in Form von zwei Gedichten machen, die ich mal geschrieben habe und nun ja… es ist nicht so gut gelaufen. Er bezeichnete mich irgendwie als lyrische Persönlichkeit und meinte sowas währe ja schnell gesagt… Etwas später hat er noch gesagt dass wenn ich Probleme hätte, ich gerne mit ihm sprechen könne, aber das, während er mich weiter bei meinem Deadname genannt hat.
Ich möchte mich aber nicht davon unterkriegen lassen und jetzt (fast zwei Wochen später) fühle ich mich bereit mich bei meiner Lieblingslehrerin zu outen, die wir leider nicht mehr im Unterricht haben, aber dich auch eine Leiterin des Schulorchesters ist, in dem ich Mitglied bin (ich hoffe und bin mir fast sicher dass sie gut reagiert:)).

Aber dann sind da auch die Zweifel. Was wenn meine Klassenlehrerin tatsächlich recht hat und ich alles überstürze. Was ist wenn ich doch nicht Genderfluid bin? Und ich weiß dass sich viele Quere Menschen sich diese Fragen stellen und ich weiß es eigentlich wahrscheinlich Zweifel zu haben wenn man Queer ist. Aber genau wegen dieser Erkenntnis denke ich dann wieder ich rede mir dass alles nur ein. Es ist eine Endlosschleife.
Zudem fragt mich eine Gruppe von Klassenkameraden immer wieder nach meiner sexuellen Orientierung, von der ich keine Ahnung habe und die mich eigentlich momentan auch nicht interessiert.

Danke dass ich euch schreiben kann, mir hilft es allein schon meine Gedanken zu ordnen und zu schreiben. Ihr seid super!

Vielen vielen Dank!

Leo

Hi Leo!

Sich zu finden und zu outen ist schwer. Aber dass du das machst und dazu stehst, obwohl es nicht leicht ist, ist schon viel wert.

Ich denke nicht, dass du dir Sorgen machen musst, ob du etwas überstürzt. Du scheinst dir sehr sicher mit deiner Identität zu sein, und was andere dazu behaupten spielt keine Rolle. Für viele ist ihre Identität sehr schnell sehr klar, und damit ist auch nichts falsch. (Und selbst wenn du später merkst, dass ein anderes Label besser zu dir passt, dann ist das auch okay. Du sollst dich jetzt mit dir selbst so wohl fühlen wie möglich.)

Zu deinem outing kann ich dir nur empfehlen, trotzdem nichts zu überstürzen. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Eltern dich nicht verstehen oder akzeptieren, dann besteht leider die Gefahr, dass du deine Situation schlechter machst. Am besten bittest du deinen Bruder, dich zu unterstützen. Er kann dir vielleicht helfen, das Gespräch zu führen, oder mit dir entscheiden, wann ein guter Zeitpunkt ist, deine Eltern darauf anzusprechen.

Auch beim Outing in der Schule wirst du wahrscheinlich einige Hürden und Unverständnis überwinden müssen. Dazu empfehle ich dir, dir eine kurze, klare Erklärung zu deiner Identität zurecht zu legen. Es hilft oft, wenn sich dein Gegenüber unter “genderfluid” etwas Konkretes vorstellen kann.

Ich hoffe, das konnte dir etwas weiter helfen ^-^

LG Lily

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