Kummerkastenantwort 2.317: Heißt trans Sein mit Geschlechterrollen brechen oder Dysphorie haben?
Frage zu Antwort 2.294
Hallo,
ich möchte niemanden beleidigen. Bin einfach bei diesem Thema zurzeit sehr verwirrt und möchte dazulernen.
Ich lese seit ein paar Wochen bei euch mit. Parallel versuche ich auch, mehr über Gender zu lernen. Je mehr ich lese, desto weniger verstehe ich das Konzept.
In Antwort 2.294 steht, dass trans sein bedeute, mit Geschlechterrollen zu brechen. (So hab ich es verstanden.) Aber was ist dann der Unterschied zu Gender-nonconforming-Leuten, die sich nicht als trans/enby bezeichnen, sondern als cis? Warum haben die Begriffe „Mann“ und „Frau“ eine Doppelbedeutung? Einmal die Körperteile und einmal die Geschlechterrolle. Kann man nicht „einfach“ versuchen, Geschlechterrollen abzuschaffen und dann diese Begriffe (plus Inter* o.ä.) nur noch im Sinne des Körpers zu verwenden und jede Person so sein zu lassen, wie sie möchte?
Ich dachte ursprünglich, trans sein würde bedeuten, dass man biologisch bedingt Gender-Dysphorie hat und dadurch mit seinem Körper unglücklich ist. Aber jetzt ist es so, dass man trans/enby ist, wenn man lieber anders wahrgenommen werden möchte. Aber das ist doch nur eine Frage, wie die jeweilige Gesellschaft bestimmte Leute ansieht und nichts „Inhärentes“, oder?
Mir wurde von einer Trans-Person gesagt, dass trans sein eine Eigenschaft ist, die man unabhängig vom Kontext (also auch der Gesellschaft) hat. Aber andere Leute sagen, dass sie mit anderen Geschlechtserwartungen vielleicht nicht trans/enby wären.
Bei mir war es so, dass ich, als ich verinnerlichte Vorurteile gegen Frauen hatte, dachte, vielleicht keine Frau zu sein. Aber als ich gemerkt habe, dass mich mein biolog. Geschlecht nicht (stark?) definiert, habe ich begonnen, mich wohlzufühlen, wodurch ich nicht „nachvollziehen“ kann, wie es ist, ohne Klischees sein Geschlecht zu hinterfragen.
Es tut mir sehr leid, wenn etwas beleidigend klingt. Ich denke nur, dass ich all das ohne Antworten auf diese Fragen nie verstehen werde.
Vielen Dank für eure Arbeit!
Hallo,
eine Welt, in der wir die Übergroßen Zuschreibungen von Geschlechtern überwunden sind, wäre eine aus unserer Perspektive eine ziemlich gute Welt. Aber genau an der Stelle entsteht ein gewisses Paradox: Um diese Unterschiede gesellschaftlich zu dekonstruieren, müssen sie aufgezeigt und benannt werden. Das erzeugt ein ganz eigenes Dilemma, das in queeren Überlegungen immer mitschwingt.
Trans sein bricht mit Geschlechterrollen auf der Suche nach Geschlechtseuphorie. Das kann entweder entstehen, weil Menschen ihrer Dysphorie entfliehen, oder eben – wenn sie an sich gar keine Dysphorie empfinden – wenn sie rausfinden, dass es anders richtiger für sie ist.
Das steht in keinem Widerspruch zu Personen, die non-conforming sind. Wieso? Sagen wir ein trans Mann schneidet sich die Haare in einem typisch maskulinem Schnitt. Der tut das, weil es für ihn das richtige ist und möglicherweise gegen Dysphorie hilft. Eine Frau, die das tut, weil sie auf Geschlechterrollen pfeift, wird dadurch nicht zu einem Mann. Die verliert ihr Geschlecht nicht. Sie verstößt lediglich gegen gesellschaftlich definierte Geschlechterrollen.
Also mein Punkt ist: das geht gesellschaftlich beides nebeneinander, ohne, dass es sich gegenseitig widersprechen oder im Weg stehen würde.
Viele Grüße
Xenia