Kummerkastenantwort 1.024: Ich bin Trans, Autist und meine Eltern verstehen mich nicht.
Hallo
Erstmal danke dafür, dass es diese Seite gibt, ich wüsste nicht, was ich jetzt tun sollte. Es ist gerade alles total verrückt.
Ich bin 15 Jahre alt und ein trans Junge und Autist (vielleicht hilft das, mich besser zu verstehen). Im Sommer habe ich mich meinen Eltern geoutet und sie haben auch ganz positiv reagiert. Sie akzeptieren mich, wie ich bin und benutzen auch den richtigen Namen und das richtige Pronomen (aber ich musste sie zweimal drum beten).
Und nun zu meinem Problem: Ich wusste eigentlich schon im Kindergarten, dass ich kein Mädchen sein will. Ich hatte mich damals immer wieder gefragt, ob ich nicht lieber ein Junge sein möchte. Meine Eltern haben mich spielen lassen, was ich wollte, aber es fiel ihnen nicht auf, dass ich kein Mädchen sein wollte. Als ich Pirat gespielt hatte, meinte Papa, dass es auch weibliche Piratinnen gab. Ich wollte trotzdem lieber Pirat, als Piratin spielen, aber das fiel nicht auf. Und das ist nur ein Beispiel.
Später in der Schule gerät ich in eine Klasse, in der die Mädchen sich nur mit “Mädchenkram” (sie nannten es selber so) beschäftigten. Sie redeten über Mode, Schminke, Pferde und den restlichen Klischeekram und wollten mit mir eigentlich nichts zu tun haben. Die Jungen in meiner Klasse schlossen mich auch aus. Sie merkten, dass ich anders war und fingen an, mich zu ärgern. Es war leicht, mich zu ärgern. Ich bin ziemlich sensibel und wenn man mich anschrie, krampfte ich vor Schmerz.
Irgendwann ging ich dann zu Mama und sagte ihr, dass ich kein Mädchen sein will (Da war ich etwa 8 – 10 Jahre alt). Mama verstand nicht, was ich ihr sagen wollte und dachte, dass ich bloß nicht so sein will, wie die Mädchen in meiner Klasse. Deswegen sagte sie mir damals, dass ich nicht so sein müsse, wie die, dass ich Hemd und Hose tragen und mich mit Naturwissenschaften beschäftigen kann und trotzdem ein Mädchen bin. Ich versuchte ihr klar zu machen, dass ich kein Mädchen bin, aber ich gab es auf, weil sie es nicht verstand und ich keine Kraft und Zeit hatte, weiter darüber zu reden.
So gab ich für Jahre fast komplett auf. Ich versuchte, mir einzureden, ein Mädchen zu sein. Ich brach immer wieder zusammen, hoffte, dass alles besser werden würde, als ich auf das Gymnasium wechselte. Dort wurde ich aber auch bald geärgert und ich brach nach einem Jahr zusammen. Seit dem ging ich nicht mehr in die Schule. Ein halbes Jahr später konnte ich auf die web-individualschule gehen. Dort ging es mir gut und alles schien besser zu werden. Das war aber nur von kurzer Dauer, denn dann merkte ich, dass ich nicht wirklich glücklich wurde. Ich hatte den Eindruck, nicht ich selbst zu sein. Ich wollte kein Mädchen sein – und zum ersten Mal ließ ich das auch wirklich zu.
Als ich mich meinen Eltern outen wollte, hatte ich Angst, nicht richtig verstanden zu werden. Ich musste viel reden, viel erklären. Meine Eltern sagten, dass sie mich lieb haben, dass sie mich akzeptieren. Irgendwie stimmte das ja auch, aber ich musste diskutieren, musste mich mehrmals erklären und bekam den Eindruck, dass sie mich nicht verstehen würden. Und dann verlor ich die Nerven, wurde wütend, weil sie sagten, dass sie alles für mich tun wollten, aber als ich sagte, dass ich Hormonblocker bekommen wolle, redeten sie nur über die Nebenwirkungen. Sie sagten, sie wollten mir helfen, aber dann sagten sie ich müsse da durch (durch die falsche Pubertät).
Ich brach fast täglich zusammen und meine Eltern bekamen es nicht mit. Ich bekam Wutausbrüche und meine Eltern merkten nichts. Sie merkten nur, dass es mir irgendwie nicht gut ging.
Und dann fing ich gestern an, zu schweigen. Ich wollte nicht mehr mit ihnen reden, weil ich wütend wurde. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich ignoriert haben. Nachts redete ich dann doch mit Mama und war froh, dass ich zu müde war, um durchzudrehen, als ich bemerkte, dass sie immer noch binär denkt, nicht versteht, dass mein Pronomen in der Vergangenheit auch er ist und sie mir sagen wollte, dass sie mich nicht hatte verstehen können, als ich sagte, dass ich kein Mädchen sein will.
Heute morgen stand ich auf, setzte mich auf den Boden, puzzelte und hörte Musik. Ich ging nicht aus meinem Zimmer. Drei Stunden später kam Mama zu mir und fragte, ob sie gestern etwas falsches gesagt hätte. Ich schwieg. Als sie ging, bekam ich einen Wutausbruch und schlug auf den Spiegel meines Kleiderschrankes. Es wunderte mich, dass er es immer noch aushielt. Vorerst beruhigte ich mich wieder, aber dann bekam ich den nächsten Wutausbruch und schlug dreimal auf den Spiegel. Ein Stück Schaumgummi flog mir entgegen und Mama kam in mein Zimmer. Ich hob das Schaumgummi auf, guckte, fragte mich, wo das herkam und schmiss es über die Schulter. Irgendwas sagte Mama mir, aber ich wollte wieder nicht hören, sie würde alles für mich tun wollen. Ich fühle mich ignoriert, nicht ernst genomen und habe genug davon, gesagt zu bekommen, sie würde alles für mich tun wollen, denn es ändert sich nichts. Ich schwieg, Mama ging, schloss die Tür und ich trat in den Spiegel. Es knackte, ich guckte und er war kaputt. Mama kam wieder und fing an zu heulen. Ich verstand nix mehr. Sie sagte ich wäre ungerecht zu ihnen.
Irgendwie löste sich das alles auf und wir trugen den Spiegel zur Mülltonne, entfernten die Scherben vom Boden, doch unser Problem ist nicht gelöst.
Ich habe das Gefühl, ignoriert worden zu sein und dass meine Eltern mich nicht verstehen. Und ich glaube nicht, dass ich das ganz zu unrecht denke. Ich versuche, mit ihnen zu reden, aber ich glaube, ich schaffe es nicht. Manchmal möchte ich aufgeben. Ich habe noch immer keinen Hunger. Von mir wird erwartet, erwachsen zu sein, aber ich bin immer noch ein kleines Kind.
Ich verstehe nicht, warum ich in dieser Situation bin, denn meine Eltern haben mich eigentlich lieb und haben nichts gegen queere Menschen. Ich fühle mich alleine mit meinem Problem, denn eigentlich könnte ich das Problem gar nicht haben.
Ich hoffe, ihr könnt mir helfen.
Hallo du!
Bitte entschuldige, dass du so lange auf eine Antwort warten musstst!
Danke für deinen langen Text. Kurz zu mir, ich bin trans (nichtbinär) und Autist_in – ich kann das Gefühl, nicht verstanden zu werden, also ganz gut nachvollziehen. Ich bin mir gerade unsicher, ob die von dir geschilderten Wutanfälle tatsächlich aus Wut oder eher aus “Reizüberflutung” stattfanden.
Zum Begriff Meltdown hab ich dir mal hier eine Person verlinkt, die viel über Autismus bloggt.
Ich glaube, dass es für deine Eltern schwer ist, weil da zwei ganz große Themenbereiche, die nicht einfach sind, auf sie zukommen. Zum einen der Autismus, den die meisten Neurotypischen nicht verstehen und zum anderen trans, das die meisten cis Personen auch nicht verstehen.
Ich weiß nicht genau, ob wir dir helfen können, aber für die Besprechung mit deinen Eltern könnte dir TraKiNe helfen. Die wissen auch, was du tun musst, um Hormonblocker bekommen zu können. Das wird jedoch nicht einfach werden, du müsstest dich einer Psychotherapie unterziehen und das wird auch nicht “von heute auf morgen” (Redewendung) passieren. Außerdem werden deine Eltern dabei einbezogen. Aber möglicherweise gibt es da bessere Optionen, um deine trans Männlichkeit zu kommunizieren, als die, die du bereits versucht hast.
Ich hoffe, du findest bald eine Möglichkeit, damit es dir besser geht. Das scheint dich sehr stark zu belasten, zusätzlich zu den “üblichen” Belastungen, die bei uns Autist_innen ohnehin Teil des Alltags sind.
Alles Liebe
Fluff