Wie ich meine Kirchengemeinde verloren habe

Dieser Tage haben sich über 100 katholische Personen, die teilweise noch aktiv für die Kirche arbeiten, im Rahmen einer Doku in der ARD öffentlich geoutet. Die Berichterstattung dazu lief dann unter #OutInChurch. (Nicht zu verwechseln mit mir, ich bin nämlich #OutOfChurch, weil mich das Coming Out meine Gemeinde und mein Ehrenamt gekostet hat 🙃) Das ist deswegen bisschen wild, weil das die Personen den Job kosten kann. Das liegt daran, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das eigentlich Kündigungen wegen sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität verbietet, für die großen Kirchen nicht gilt. In der evangelischen Kirche sind Dinge ein bisschen anders. Das fängt damit an, dass queerfeindliches Geschriebsel vom alten Mann in Rom keine Bedeutung für evangelische Gemeinden hat. Das macht diese Aktion besonders spannend: Die Leute lehnen sich nicht nur gegen Regelungen im Kirchenrecht auf – sondern gleichzeitig gegen das Oberhaupt ihrer Religion. Dieser Aspekt fehlt damit freilich bei Coming Outs in der evangelischen Kirche. Gleichzeitig fehlen auch dort sichtbar queere Personen. Und ich, na ja, ich hätte mal eine werden können.

Was ich so gemacht hab

Das hier bleibt stellenweise etwas unklar und schemenhaft. Ich möchte vermeiden, dass klar wird, wer das hier schreibt – und dass Verbindungen in meine alte Gemeinde gezogen werden. Da hängen dann im Zweifel auch Deadnames dran, wobei ich das hier gerne insgesamt anonym belassen möchte.

Nun, ich war, beginnend in den Nullerjahren bis Mitte der 2010er Teil einer Gemeinde in einer evangelischen Landeskirche. Eingebracht habe ich mich da in einem jungen Gottesdienst. Wochenends, abends, einmal im Vierteljahr. Zielgruppe: Konfirmation und älter. Mit kurzen Sketches. Gebeten. Einer -meistens- altersgemäßen Predigt. Und viel Musik.

Und bei der Musik war ich mit drin. Wir waren da in so einer Art Rockband-Besetzung am Start, Gitarren, Keyboard, Bass, Schlagzeug. Und dann noch Gesang. Während die meisten in der Band auch mal Zweitstimmen oder andere Gesangsparts übernommen haben, hab ich das nicht.

Dabei hab ich das immer fürs Musik machen gemacht. Nicht für die Bühne, nicht für Leute, die dran Freude haben. Mir gings dabei mehr drum, dass ich mit den Menschen in der Band zusammen spielen konnte. Dass dafür die Auftritte notwendig waren, weil die Band sonst keinen Existenzgrund gehabt hätte, nahm ich hin.

Und dann hatte ich ein Coming Out

Die Sache war jetzt die: während das Team insgesamt sich ab und zu für Besprechungen traf, passierte das meiste an Vorbereitungen jeweils tagsüber, bevor abends die Gottesdienste waren. Große Ausnahme war die Musik. Wir trafen uns mindestens zwei mal im Monat. Lieder raussuchen, zusammen proben, Ideen sammeln. War nötig, um ausreichend gut spielen zu können.

Aber genau dieser regelmäßige Kontakt machte Dinge schwierig für mich. Ich war privat schon gegenüber Menschen out, im Alltag außerhalb der Gemeinde, im Studium und auch online. Und ich merkte, dass das so keine gute Zukunft hatte, weil es mich dann doch auch belastet hat. Dabei gings nicht um sexuelle Orientierung. Ich hatte nicht die Absicht, bewusst oder versehentlich im Team zu daten. Und bei den Gäst_innen, nun, das verböte sich für mich sowieso.

Ne, es ging darum, dass ich nicht-binär bin und mir das Deadnaming und Misgendern tierisch auf den Senkel ging. Das Ding war nur: Riechen konnten die Menschen das ja nicht. Also musste ein Coming Out her. Ich rechnete damit, dass die Band nicht sonderlich souverän damit umgehen würde – und könnte. Allein schon, weil ich mir sehr sicher war, dass die meisten nicht wüssten, was nicht-binär überhaupt heißen würde.

Ich verschriftlichte das Coming Out also. Mit Erklärung für: „was heißt nicht-binär für mich und allgemein", mit Erklärung für „was bedeutet dieses Coming Out für euch". Sachlich, ausführlich und in sich abgeschlossen. Also so, dass es ohne weitere Quellen verstanden werden konnte. Dachte ich.

Da stand auch klar drin, was für einen Namen ich verwende, was für Pronomen, Beispielsätze dazu und auch das Ding, dass ich das nicht von Heute auf Morgen verlangen würde. Aber dass ich mir eben Wünsche, dass Menschen das versuchen und sich da langsam dran gewöhnen würden.

Auch ausführlich beschrieben war, dass das Coming Out nicht mein erstes war, dass ich im Alltag schon länger so lebe. Dass ich jetzt nicht magisch jemand anderes bin oder werde.

Was ich auch drin hatte, war ein Punkt, dass mir das für die Band wichtig ist. Da ich mit dem Rest des Teams weniger zu tun hatte, war mir ein Coming da nicht so wichtig. Ich bat die Band also gerne untereinander oder mit mir drüber zu reden, aber nicht das Team im Gesamten miteinzubeziehen.

Eine kleine Anleitung im „so besser nicht"

Was dann folgte war – und ich möchte hier nicht einteilen, was aus Unwissenheit so gemacht wurde, was aus Überforderung resultierte, was gut gemeint war und was offen feindseelig angesetzt war – eine bunte Sammlung aus Dingen, die ich allesamt in einen Ratgeber schreiben würde. Und zwar bei den Beispielen für „Wie du besser nicht mit einem Coming Out umgehen solltest".

Das erste, was bei mir danach ankam, war eine Mail von der einzigen hauptamtlichen Person im Team. Fing „gut" an, dafür, dass ich explizit geschrieben hatte, dass das in der Band bleiben soll.

Die Person erkundigte sich, weil sie sagte, sie würde das nicht so richtig verstehen und vor einem Gespräch mit der Band und mir würde sie sich da gerne noch schlau machen, ob ich denn da noch Texte dazu empfehlen könnte. Konnte ich, habe ich. Sowohl welche, die Nicht-Binärität grundsätzlich erläutern, als auch welche, die im protestantisch-evangelischen Verständnis Trans-Sein und Nicht-Binärität erläutern. In den gemeinsamen Gesprächen stellte sich aber raus, dass niemand was davon auch nur angelesen hatte.

Die Menschen gaben vor, verstehen zu wollen, sie gaben vor, noch drüber reden zu müssen und weil sie so unsicher waren, sollte ich, bis Dinge geklärt sind, auf das Spielen in der Band verzichten. Die Gespräche sollten mit neutraler Moderation geführt werden. So neutral, dass die gesprächsleitende Person sich direkt erstmal intolerant gegenüber Schwulen äußerte. Und während ich nicht schwul bin, war das auch schon ein bezeichnendes Vorzeichen für diese Gespräche.

Menschen hatten jedenfalls Bedenken. Wegen meiner Vorbildfunktion für die Gäst_innen im Gottesdient zum Beispiel. Meine Entgegnung, dass ich mich gegenüber denen nicht outen wollte, dass ich auf der Bühne sowieso kein Mikrofon hätte und die Frage danach, was für einen Einfluss ich denn haben könnte und was daran schlecht wäre – blieb ohne Antwort.

Ich erinnere mich auch noch an ein Einzelgespräch mit der hauptamtlichen Person. Die hatte irgendwo aufgeschnappt, dass das ja im wesentlichen „Krankheiten" seien. Sogenannte Geschlechtsidentitätsstörungen und so. Meinem Einwand, dass die Einstufung als Krankheit wissenschaftlich nicht mehr zutreffend ist und das so auch im DSM (dem maßgeblichen Handbuch über alle Arten von psychischen Erkrankungen) mittlerweile als nicht mehr als Störung geführt wurde, wurde nur mit einem „es ist mir egal, was in irgendeinem Buch steht" begegnet. Finde ich heute ziemlich lustig, weil sich die Menschen alle häufig auf die Bibel bezogen haben. Und da war es ihnen anscheinend nicht so egal, was drin stand.

Namen und Pronomen nahm dann auch niemand irgendwie ernst. Das rangierte von „aber ich hab dich doch so kennengelernt" bis „ich werde keine Pronomen außer sie und er für Menschen benutzen und sie auch nur für Frauen – er für Männer". Ich fragte dann nach, woher sie denn die Namen von Menschen kennen würden, die sie benutzen und wie sie das entscheiden. Die Antwort war, dass dafür maßgeblich wäre, wie Menschen offiziell heißen, also was auf dem Personalausweis stünde. Das fand ich wiederum doppelt witzig, weil eine Menge Menschen im Team, mir inklusive, Spitznamen hatten, die eben nicht die Namen im Perso waren. Dazu kam, dass Teile des Teams unter 16 Jahre alt waren und gar keinen Perso hatten.

Und das war das Muster für ziemlich alles, was in diesen Gesprächen passierte: Menschen stellten Fragen, waren dann mit der Antwort unzufrieden. Menschen machten Regeln, die in sich nicht schlüssig waren. Und, selbst direkt drauf angesprochen erkannten sie das nicht an – „das sei ja wohl was anderes".

Ein letzter Punkt noch, bevor ich mich hier zu sehr verliere: Regeln galten dann auch immer nur für mich. Ein Beispiel war, dass wir für ein Gespräch vereinbart hatten, dass wir nicht über Bibelstellen diskutieren würden, dass wir uns sachlich und neutral austauschen wollten. Der Gitarrist sprach mich direkt drauf an, wie ich etwas mit der Bibel vereinbaren könne, zitierte entsprechende Stellen und nun, der Punkt kam an, aber dazu sagen durfte ich dann nichts, weil das war ja so vereinbart gewesen. Träumchen.

Das Ende vom Lied war, dass die Menschen alle beteuerten, wie gerne sie weiter mit mir, Deadname, gearbeitet hätten, aber dass sie ja alle so unvorbereitet seien und dass das ja alles so schwierig sei.

Und das ist die Geschichte, wie ich meine Gemeinde in einem Coming Out verloren habe.

Was wäre nun besser gewesen?

Nun. Da gäbe es eine ganze Menge Möglichkeiten. Zum Beispiel von vornerein klar kommunizieren, was in einem Team, einer Gruppe, in einer Gemeinde gewollt ist und was nicht. Wenn es Regeln gegen Coming Outs gegeben hätte, die man irgendwo hätte nachlesen können, wäre ich mit dieser Tür so nicht ins Haus gefallen. Solche Regeln sind bisschen beschissen, aber wenigstens wäre dann eine Aussage gemacht. Besser wären ganz klar Regelungen, die speziell auch für queere Menschen offen sind.

Dann: Wenn ich etwas tun will, wo explizit im Coming Out gesagt wurde, dass das nicht gemacht werden soll, dann ist das allermindeste, die Person noch mal zu fragen und zu erläutern warum. Dass die hauptamtliche Person dazugeholt wurde, wäre für mich prinzipiell vielleicht in Ordnung gegangen. Dass zwei Personen aus der Band das von sich aus wollten, weil sie nicht wussten, wie sie mit dem Coming Out umgehen sollten, ist sogar bedingt noch logisch. Aber dass das erste, was auf mein Coming Out passierte, erstmal ein Vertrauensbruch war, machte Dinge nicht einfacher.

Wenn ich neutral über Dinge reden will, ist das okay. Wenn ich dafür Regeln für ein Gespräch haben will, ist das auch okay. Und wenn ich dafür dann eine moderierende Person reinhole, ist das auch okay. Was ich nicht okay fand, war, wie unterschiedlich Regeln für mich und für andere funktionierten. Das andere No-Go hier war, dass die Person nicht mal versuchte neutral zu moderieren, sondern selbst aktiv Partei bezog. Macht das nicht.

Und ein großer Punkt und wichtiger Punkt: Was andere Menschen möchten, muss für euch nicht logisch, sinnvoll oder nachvollziehbar sein. Es ist vielmehr eine Frage des Respekts, Namen und Pronomen zu achten. Das auch schon völlig unabhängig davon, ob wer trans oder nicht-binär ist. Wenn jemand hergeht und sagt "nennt mich nicht mehr so", läge ja nahe, dem nachzukommen. Nachfragen ist prinzipiell auch in Ordnung, aber Verstehen ist hier wirklich zweitrangig.

Und wenn am Ende sachlich rauskommt, dass eine Gemeinde es aus irgendwelchen Gründen wirklich nicht verkraften würde, eine queere Person als Gemeindeglied zu haben, dann ist das so. Das ist zwar unendlich traurig. Aber kann ein Ergebnis sein. Und es kann auch sein, dass es eine Weile dauert, bis diese Erkenntnis tatsächlich da ist. Da entstehen dann aber für mich zwei große Aufgaben für die Gemeinde. Erstens: Der queeren Person trotzdem entsprechende Würde zugestehen. Zweitens: Daran arbeiten, dass das nächste Coming Out besser ausgeht.

Hm.

Was hier jetzt nicht vorkommt, ist Theologie. Ist eine Begründung, wieso queere Menschen Platz gerade in der evangelischen Kirche haben sollten. Hier müsste eigentlich die Beweislast genau andersrum sein: Wieso sollten bestimmte Menschen keinen Platz in der Gemeinde, keinen Platz bei Gott haben können?

Der Punkt, den ich hier noch rausarbeiten möchte, fußt nicht direkt auf bestimmten Bibelstellen. Er fußt vielmehr auf elementaren Erkenntnissen über Auslegung. Jede Auslegung, jedes Lesen von allem ist immer schon automatisch eine Interpretation. Und diese Interpretation muss durch die interpretierende Person begründet werden. Zusammen damit, warum diese Interpretation zutreffend ist und warum andere es im konkreten Fall nicht sind. Beispiel: Wer sagt, dass am Anfang der Bibel steht, dass die Menschen als Mann und Frau geschaffen wurden – und es deshalb keine nicht-binären Personen geben könnte -, ist in der „Beweislast" zu erläutern, warum es zutreffend ist, dass gerade diese Aufzählung abschließend ist, warum der Teil, dass alle Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden, nicht in die Interpretation hineinfällt. Die Liste an Fragen hier ist lang. Und wer die Bibel verwendet, um einen Ausschluss zu argumentieren, muss die Antworten liefern.

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Eine Antwort

  1. 20. Februar 2022

    […] „Wie ich meine Kirchengemeinde verloren habe.” […]

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