Not out in school

Von unserem Teammitglied Daniela

Content Notes/Trigger Warnung: Abtreibung, Nazisymbolik, Missbrauch Schutzbefohlener, körperliche Übergriffigkeit

Ende Januar wurde die Dokumentation „Out in Church” veröffentlicht, in der sich mehr als 100 Menschen erstmalig vor der Kamera als queer (u.a. nicht-binär, trans, homosexuell, lesbisch) outeten, die für römisch-katholische Träger arbeiten. Warum das ein riesiger und wichtiger Schritt ist, hat nicht nur etwas mit Repräsentation zu tun, sondern zeigt auch die Problematik der Institution Kirche.

Ich war nie für die Kirche angestellt, ich bin aber neun Jahre lang auf eine weiterführende Schule eines kirchlichen Trägers gegangen und damit auch Teil eines katholisch geprägten Systems. Die Schule wurde 1830 gegründet, damals als „Höhere Töchterschule”. Bis 1980 war sie ein Mädchengymnasium und mit der Übernahme durch das Bistum Aachens wurde die Koedukation eingeführt. Kinder aller Geschlechter werden also seitdem unterrichtet, was spezifisch hier immer noch zweigeschlechtlich ausgedrückt wird: so heißt es nach wie vor „Gymnasium für Mädchen und Jungen”, als ob es keine Kinder anderer Geschlechter gäbe…

Und eigentlich beginnt hier meine Geschichte und hört sie auch gleichzeitig auf. Ich bin queer und ich hatte kein Outing in der Schule. Streng genommen dachte ich damals, über Queerness genau zwei Dinge zu wissen: es gibt schwule Männer und lesbische Frauen und alle anderen sind heterosexuell. Dass das auf so vielen Ebenen falsch ist, weiß ich heute. Unterrichtet wurde Gendervielfalt nicht. Es gab schlichtweg keinen Raum für LGBTQIA+-Themen. Ich wüsste auch bis heute von keiner anderen Person, egal, ob Lehrkraft oder Schüler*in, die queer ist. Es gab kein Outing. Nicht für mich. Nicht für andere. Und ich will etwas ausholen, warum nicht.

Weiß, christlich – und nicht selten rechts

Zu der Zeit, als ich zur Schule ging, hatte ich ca. 1200 Mitschüler*innen in 9 Klassenstufen und ca. 65 Lehrer*innen, die an der Schule unterrichteten. Voraussetzung für Lehrer*innen war es, katholisch getauft zu sein. Die Ausnahme bildete der evangelische Religionslehrer. Voraussetzung für Schüler*innen, die Schule besuchen zu dürfen, war es, christlich getauft zu sein. Kurzum: Die Schule war sehr weiß, es gab ca. fünf nicht-weiße Schüler*innen, die ebenfalls alle römisch-katholisch oder evangelisch getauft waren, es hing in jedem Klassenzimmer ein Jesuskreuz über der Türe und in zweiwöchigen Abständen begann der Unterricht mit einem ökumenischen Gottesdienst. Das Kirchenaustrittsgesetz war, weil die Schule ja einem privaten Träger unterliegt, ausgehebelt. Wer ab 14 Jahren beschloss, aus der Kirche auszutreten, hätte auf eine andere weiterführende Schule wechseln müssen. Das Unterrichtsfach Religion war nicht abwählbar bis zur Oberstufe.

Religion, Christentum und auch die entsprechende Symbolik hatten einen hohen Stellenwert (und hat es vermutlich noch immer). Tja, und das Ganze machte die Schule eben zu einer weißen Elite, die ich heute politisch als rechts-konservativ bis liberal-rechts einordnen würde. Und das nicht nur, weil frühere Mitschüler*innen auch heute noch stolz die CDU wählen und engagierte Mitglieder des örtlichen Schützenvereins sind.

Elitentum statt Nächstenliebe

Was hat das Ganze jetzt nochmal mit irgendwas zu tun?

Nun, hier sorgt eine Institution mit eigens gemachten Auflagen für eine vermeintlich homogene Gruppe an elitären Menschen. Und hinter den Kulissen geht es natürlich nicht ums Christentum, sorry to say, sondern um Geld. Denn ja, die Taufe als Aufnahmekriterium ist das eine… mit der Unterschrift der Anmeldung an die Schule gab es aber quasi auch gleich eine Aufforderung, an den schulischen und damit kirchlich angebundenen Förderverein regelmäßig zu spenden. Nun sind vielleicht Schul-Fördervereine nichts Ungewöhnliches und normalerweise auch Teil von Umverteilungssystemen. 

In der Vereinssatzung steht noch heute, dass gespendete Gelder u.a. zur Förderung begabter Schüler*innen, zur Beschaffung wissenschaftlicher und künstlerischer Mittel für den Unterricht oder die Förderung der Elternarbeit auf dem Gebiet des Schulwesens verwendet werden. Ich kann mich nicht erinnern, dass mit den Geldern, die zu meiner Schulzeit durch Eltern und andere Sorgeberechtigte eingezahlt wurden, andere Dinge als die genannten finanziert wurden. Schon gar nicht Klassenfahrten oder ähnlich hohe Aufwände für finanziell schwache Schüler*innen. Geld war einfach kein Thema. Im Fach Sozialwissenschaft musste klargestellt werden, was BAföG ist, und dass das ja aber niemand Anwesendes bräuchte [sic!]. Benanntes, finanzielles Engagement gab es nur für Gruppen außerhalb dieses Systems (z.B. Spendensammlungen für Kinder in Tonga oder Chilé). Von sozialem Engagement möchte ich hier gar nicht sprechen.
Und so wird mit einem kirchlichen Träger, der hauptsächlich die Schule (und alles damit Verbundene wie Ausstattung, Lehrmittel etc.) finanziert, Schüler*in an diesem Gymnasium zu sein erneut ein Privileg. Kurz gesagt also, nur, wer reiche Eltern hat(te), konnte die Schule besuchen. Das hat ja schonmal nichts mit Nächstenliebe zu tun.

Dass dann auch noch die Schulnoten aus der Grundschule keine „befriedigend” mehr enthalten durften zwischenzeitlich, ist dann halt das zweite Klassismus-Problem und gleichzeitig auch behinderten-feindlich, denn schlichtweg gibt es körperliche und Lernbehinderungen, die immer dazu führen werden, nicht nur „sehr gut” und „gut” Schulnoten zu haben. Als offizieller Grund wurde die vermeintlich hohe Nachfrage angegeben, die nur dadurch entstand, dass es ein regionales Gerücht war, diese Schule sei angeblich das beste Gymnasium der Stadt.

Kurz gesagt: Die Gruppe aller Schulbeteiligten war weiß und finanziell elitär und der kirchliche Rahmen ein Deckmantel, unter dem alles Klischeehafte passierte, was auch heute in Medien über „Kirche” oder den „Papst” nachzulesen ist.

Kein Safespace

Was es also nicht gab: Die Thematisierung queeren Lebens (die Bibel würde das ja sogar hergeben), die Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten außer HIV (und das natürlich super stigmatisierend), die Thematisierung be_hinderten Lebens (Schulbegleitung etc. gab es einfach nicht) u.v.m.

Was es stattdessen gab: 

  • Eine Schulnote schlechter, als ich mich im Religionsunterricht für die selbstbestimmte Abtreibung aussprach
  • Eine Schulnote schlechter, als ich kritisierte, nur Weihnachten in die Kirche zu gehen als Familienausflug

Und was es stattdessen auch gab:

  • Die Misshandlung von Schutzbefohlenen
  • Die Verteidigung von rechter Symbolik
  • Die Sperrung des Schulchats, nachdem dort das Gerücht entstand, ein Lehrer sei homosexuell (das Tool ist nie das Problem!)

Eine Institution, die einen Schüler weiterhin duldet, der während eines Klassenausflugs ein Hakenkreuz auf die Wange einer Schülerin malt (und sie dabei von mehreren gegen ihren Willen festgehalten wird) und als Strafe den Kunstkeller aufräumen muss, eine Institution, die duldet, dass ein Referendar mit einer Oberstufenschülerin ein sexuelles Abhängigkeitsverhältnis eingeht…

… ist kein safe space für queere Personen. 

… schafft auch einen Raum der Nicht-Aufklärung, die darin endet, Gerüchte zu unterdrücken, statt sie zu enttabuisieren.

… duldet jeglisches queerfeindliches und andere -istische Beschimpfungen, die dazu führen, dass sich auch niemand trauen würde, sich beispielsweise als „schwul” zu outen, weil das ja was Schlimmes impliziert.

… fördert kurzum, dass marginalisierte Menschen gesilenced werden, weil sie da einfach entweder von Anfang an gar nicht willkommen sind oder einfach nur „durchkommen wollen”.

Zeit für Veränderung

Genau deshalb ist die Filmdokumentation so wichtig. Es gibt queere Lehrer*innen, es gibt queere Schüler*innen, sie alle haben nicht nur Repräsentation verdient, sondern auch einen Raum in dem sie so sein dürfen, wie sie sind.

Und dass die katholische Kirche als Träger dringend daran arbeiten muss, dass sich alle Menschen bei ihnen willkommen fühlen können, wenn sie wollen, zeigt jeder dieser Geschichten in der Dokumentation. Und sicherlich noch viele hunderte andere. Eine davon ist meine.


Weitere Artikel zum Thema „Out in Church” im Queerlexikon-Blog:

Wie ich meine Kirchengemeinde verloren habe.”

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