Kummerkastenantwort 2.592: Bin ich trans obwohl ich mir unsicher bin, dass ich das in 20 Jahren noch bin?
Hey, ich mache mir seit einem Jahr Gedanken, ob ich vielleicht trans bin. Ich habe mir Tipps für ein inneres Coming Out von anderen Transpersonen durchgelesen. In meiner Kindheit gibt es sehr viele Anzeichen, die darauf hindeuten könnten, dass ich trans bin. Doch ein Tipp ist, ob man sich in 10 oder 20 Jahren in seinem aktuellen Geschlecht vorstellen kann. Aber diese Frage kann ich gar nicht beantworten, ich bin mir sehr unsicher und weiß überhaupt nicht, ob ich mich vielleicht doch irgendwann mal in meinem aktuellen Geschlecht vorstellen kann, ich weiß nur, dass ich seit ich denken kann ein Junge sein will. Könnten das Anzeichen sein, dass ich kein Transgender bin? Ist das bei mir nur eine Phase? Ich will irgendwie trans und nicht cis sein und das verunsichert mich total. Vielen Dank für eure Hilfe
Hallo,
es gibt einige „Punkte zum Abhaken“, wenn mensch nach Tests oder Listen der Anzeichen sucht. Das ist ein Ausdruck der Sicherheit, die man vermisst. Anzeichen in der Kindheit und alle anderen Hinweise sind nicht notwendig, um sich zu erlauben so zu leben, wie mensch es möchte. Keine Person steht irgendwann vor einer Genderkomission und muss mindestens 75% Punkte sammeln! Die Listen sind eine Orientierungshilfe und ein Werkzeug, mit dem du dich besser kennenlernen kannst. Für manche Menschen wird die Liste vollständig zutreffend sein, für andere (noch) nicht.
Es ist abhängig von vielen Faktoren, u. a. wie gefestigt bist du in deiner aktuellen Identität und wie gut du autonom handeln kannst. Viele der Fragen sollten Fokus darauf lenken, auf das eigene Erleben zu achten. Die Listen der Anzeichen oder Hinweise verfehlen ihren Zweck, wenn das eigene Erleben ignoriert wird, weil das Schuldenken einsetzt („In der Checkliste steht …“).
Ich weiß nicht, wie alt du bist, aber bist du 15 bis 25 Jahre alt, sind Vorstellungen über Zukunft in 10 Jahren insbesondere beängstigend und schwer greifbar, egal ob es um das Thema der Geschlechtsidentität oder Beruf und Familie geht. Die Frage, vermute ich, sollte dich möglicherweise darauf aufmerksam machen, dir Zeit zu geben und zu beobachten.
Ein kategorisches „In 10 Jahren möchte ich definitiv erneut mit der bei der Geburt zugewiesen Geschlechtsidentität leben.“ könnte ein Hinweis und Anlass sein sich zu fragen: Was wäre anders in 10 Jahren in Vergleich zu jetzt? Welcher Gedanke führt mich zu dieser Einschätzung?
Gleichzeitig darf sich auch diese Antwort ändern und ist kein Fehler. Es gibt auch Menschen, deren Geschlechtsidentität fluide ist – für sie ist die Zeitfrage auch verwirrend.
Du kannst am besten beurteilen, wie du dich identifizierst. Andere Menschen und auch keine Tests können es bestimmen. Bildlich gesprochen: siehst du unscharf und kannst nicht erkennen, was vor dir steht, probiere alle Brillen aus, die dir helfen können, deine Sicht zu verbessern. Ich nehme an, du möchtest dich nicht nur darauf verlassen, was andere sagen, was vor dir steht. Idealerweise hast du mehrere Brillen genüsslich ausprobiert und findest deine individuelle Stärke. Manche probieren dafür 3, manche 30 und beides ist okay. Am Ende kannst du dir selbst ein Bild machen und darauf vertrauen, dass du erkennen kannst, was vor dir steht und was nicht. Und falls du Brillen tatsächlich trägst, dann weißt du ja, dass sich die Geschmäcker und Sehvermögen mit der Zeit sowieso verändern können!
Du bist auf der sicheren Seite, wenn du im Blick hast, aus welchen guten Gründen möchtest du das oder jenes. Manchmal, wenn die Antwort mit anderen zusammenhängt („Ich werde dann mehr beliebt.“, „Ich werde für andere attraktiver.“ usw.), lohnt sich ein längerer Blick darauf.
Abschließend: Du musst nicht wissen, was du dir in 20 Jahren wünschst. Wenn du das kannst, ist das schön – das Leben rundum verändert sich trotzdem und Menschen auch.
Ein Roman von Torrey Peters widmet sich Geschlechter(de)transitionen und ist vielleicht interessant für dich: Reese und Amy sind ein glückliches Paar, zwei trans Frauen in New York, mit dem Traum von einer Familie. Doch dann entscheidet sich Amy, wieder als Mann zu leben. Als drei Jahre später Amesʻ Chefin Katrina unerwartet von ihm schwanger wird, fasst Ames einen Plan: Warum ziehen sie das Kind nicht gemeinsam groß, zu dritt?
Alles Gute für dich,
Elizy