Kummerkastenantwort 2.668: Ich zweifle meine Identität an.

Ich zweifle meine Identität an.
Ich bin jetzt 24 und ziemlich verwirrt.
Ich bin afab, habe bis 16 bei meiner Mutter gelebt, dann 2 Jahre im Heim. Als ich mit 18 rausgeworfen wurde fing ich an zu ‘rebellieren’, stellte mein Gender in Frage. Kurzzeitig ging es in die Maskuline Richtung, merkte aber schnell, dass ich kein Mann bin. Dann ging es in die nichtbinäre Richtung, ich änderte meinen Namen (nicht offiziell) und stellte mich bei allen so neu vor. Mein Geburtsname war mir einfach zu weiblich. Immer wenn ich mich ‘weiblich’ fühle, fühle ich mich schwach. Jetzt mit 24 bin ich grade in viel Veränderung und merke dass ich mich querstelle. Ich habe eine on-off Beziehung mit einer Frau. Ich befürchte, dass ich einfach doch eine heterosexuelle Frau sein könnte und habe Angst davor. Angst diese Beziehung zu beenden, Angst mich selbst ernst zu nehmen, Angst mich rechtfertigen zu müssen, Angst damit falsch zu liegen und mich dann mit dem Geburtsnamen unwohl zu fühlen. Momentan habe ich auch kaum soziales Umfeld, Ich traue mich einfach nicht mich ‘da raus zu stellen’. Wie finde ich einen Umgang damit?

Hey,

du schreibst davon, dich schwach zu fühlen, sobald du dich “weiblich fühlst”. Ich möchte dich dazu einladen, dich zu fragen, ob das dein persönlicher Glaubenssatz ist (beispielsweise basierend auf deiner Erfahrung mit Frauen) oder ob es möglicherweise mit der kollektiven afab Erfahrung des Patriarchats zusammenhängt (Stichwort internalisierte Misogynie).

Du schreibst auch von Angst. Ängste stehen für den Gedanken “Ich fände es schlimm, wenn…”.

Was könnte passieren, wenn du doch eine heterosexuelle Frau wärst? Was ist deine konkrete Befürchtung?

Denkst du möglicherweise daran, dich geirrt zu haben, was deine Identität angeht? In dem lebenslangem Prozess, herauszufinden, wer wir sind, gibt es kein richtig und falsch, keine Irrtümer und Fehler. Du bist auf einem Weg, wie viele anderen Menschen. Du kannst jederzeit deine Meinung ändern und darfst dich selbst verändern. Du darfst dich ernst nehmen, auch wenn du deine Perspektive veränderst und dich hinterfragst – oder vielleicht gerade deswegen!

Folgenden Gedanken könntest du ausprobieren und schauen, ob das für dich passt: Möglicherweise bin ich nicht nichtbinär. Vielleicht bin ich eine heterosexuelle Frau, die nichts mit stereotypischem Frauenbild und weiblichen Namen anfangen kann. Es ist spannend, wie sich meine Wahrnehmung verändert hat. Ich stehe jedenfalls hinter dem, was sich gerade richtig anfühlt. Ich sage es den anderen, weiß aber, dass ich mich nicht rechtfertigen brauche. Falls sie mit meinem aktuellem Ich nichts anfangen können und die Beziehung beenden wollen, wäre das schade und traurig. Das sagt jedoch über mich nichts aus. Es wird Menschen geben, denen ich gefalle und denen ich nicht gefalle. Wenn ich zu mir stehe, egal, wer ich bin, finden mich “meine” Menschen.

Eine Idee von mir: oft sind wir mit uns selbst strenger, als mit anderen Menschen. Wie wäre es das: versuche dir vorzustellen, deine beste Freundin erzählt dir das, was du uns geschrieben hast. Wie würdest du darauf eingehen? Wie fühlt sich das an für dich?

Nächstes Jahr sollte das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten. Damit wäre es dir vielleicht möglich ohne große Hürden den Namen zu verändern.

Kennst du das Label gender nonconforming? Vielleicht wäre das auch etwas, was dich interessieren könnte.

Ich hoffe, dass etwas davon ein bisschen hilfreich ist.

Liebe Grüße,

Elizy

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