Kummerkastenantwort 5.759 – Wie kann ich herausfinden, ob für mich eine Hormontherapie Sinn macht?
Hallo, erstmal danke für eure tolle Arbeit hier!
Ich bin Anfang 20, nichtbinär (Tendenz eher transmasc) und langsam, aber sicher, so halbwegs geoutet.
In letzter Zeit denke ich sehr viel darüber nach, ob ich nicht auch eine Hormontherapie anstreben möchte, weil mich der Alltag doch sehr belastet. Ich sehe halt wohl eher „weiblich“ aus und kann in vielen Settings nicht wirklich was dagegen machen, als „Frau“ bezeichnet zu werden. Das fühlt sich jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht an, als ob mir die Kleider vom Leib gerissen werden und meine Identität permanent davon bestimmt wird, wie Fremde mein Äußeres beurteilen.
Es wäre mir in der Theorie schon lieber, eher maskulin gelesen zu werden, aber ich bin eben auch kein Mann. Irgendwie führt es, egal, was ich überlege, darauf hinaus, dass ich in eine von zwei Schubladen gesteckt werde. Ich habe Angst, dass mein Umfeld eine äußerliche Transition befremdlich fände, weil damit irgendwie so eine „Dann willst du doch aber ein Mann sein“-Erwartungshaltung mitkommt. Ich möchte einfach nur so aussehen, wie ich gerne aussehen möchte, aber irgendwie ist das leider nicht so einfach…
Falls ich wirklich eine Hormonbehandlung anstreben wollen würde, bräuchte ich ja auf jeden Fall eine Psychotherapie für das Indikationsschreiben, aber wäre so ein Rahmen auch geeignet, um festzustellen, ob das das Richtige für mich wäre? Wenn ich ja vielleicht doch keine „Standard“-FtM-Transition anstrebe, wäre es dann sinnvoll, mich an medizinische Beratung zu wenden? Gibt es sowas?
Vielen lieben Dank fürs Lesen :‘)
Hallo Mika,
es ist ganz verständlich, dass du dich im Moment zwischen verschiedenen Möglichkeiten hin- und hergerissen fühlst. Eine Hormontherapie kann tatsächlich helfen, deinen Körper stärker an dein inneres Empfinden anzupassen. Damit du ein Indikationsschreiben dafür bekommst, sieht die gängige Praxis in Deutschland vor, dass du zunächst eine psychotherapeutische Begleitung erhalten. Hier bekommst du die Zeit und den Raum, in Ruhe zu reflektieren, welche Veränderungen du dir wünschst und warum. In Deutschland wird allerdings in offiziellen Kontexten leider oft nur Ganz oder Gar nicht praktiziert – die Möglichkeit, Testo zu microdosen besteht zwar theoretisch und kann auch von der Krankenkasse übernommen werden, existiert aber in den Köpfen von Behandler*innen noch nicht wirklich. Gute Therapeut*innen werden dir nicht vorschreiben, wie deine Transition auszusehen hat, sondern gemeinsam mit dir ein ganz persönliches Konzept entwickeln. Auf Webseiten wie QueerMed findest du Therapiepersonen, die von anderen queeren Menschen empfohlen wurden – vielleicht findest du dort auch jemanden in deiner Nähe. Dort findest du auch endokrinologische Praxen, und auch dort kannst du nochmal ganz genau Wünsche und Ziele von einer Hormontherapie besprechen.
Wichtig ist: Du musst nicht den klassischen „full FtM“-Weg gehen, wenn du das nicht möchtest. Viele nicht-binäre Menschen entscheiden sich dafür, eine niedrig dosierte Hormontherapie (microdosing) zu beginnen, um nur wenige, „maskuline“ Merkmale auszubilden. Andere setzen stattdessen auf Methoden wie Binden, Stimmbildung und Kleidung, und manche kombinieren beides. Wenn du dir wünschst, eher maskulin gelesen zu werden, ohne deine Kurven und deinen femininen Stil aufzugeben, ist das genauso erlaubt und legitim wie jede andere Form der Transition. Zu MIcrodosing sei aber gesagt: früher oder später kommen die Veränderungen durch Testosteron voll durch. Das kann je nach Dosis und Körper Jahrzehnte dauern, aber es passiert irgendwann und dann muss man sich überlegen, ob man trotzdem weiter Testosteron nehmen möchte, oder ob das jetzt so oaky ist und man aufhören will.
Am Ende ist es dein Körper und deine Entscheidung. Eine Hormontherapie ist nicht die einzige Option, um dein äußeres Erscheinungsbild deinem Empfinden anzunähern. Psychotherapie und informierte Beratung sind vielmehr Angebote, dich in deinem Prozess zu begleiten und dir dabei zu helfen, genau den Weg zu finden, der sich für dich richtig anfühlt. Wir wünschen dir von Herzen, dass du für dich Klarheit findest und deinen ganz eigenen Weg gehen kannst. Hier noch ein Link zu Anlaufstellen: Vielleicht ist hier eine Stelle dabei, an die du dich wenden möchtest um persönliche Beratung zu bekommen: Anlaufstellen | Queer Lexikon
Alles Liebe und viel Kraft,
dein Berni vom Queer Lexikon-Team
Auch Microdosing führt alle Veränderungen des „harten Weges“ herbei, nur viel langsamer
Hey, danke für die Korrektur! Haben wir korrigiert. 🙂