Kummerkastenantwort 5.792: Wie kann ich mein Geschlecht benennen?

Hallo, ich bin Jay. Seit einigen Monaten bin ich mir immer unsicherer was meinen Gender angeht, geboren bin ich als Mädchen und früher hat mir das auch nichts ausgemacht, ich habe beispielsweise ständig Kleider getragen, mir damals aber nicht klar, dass das ein Klischee ist. Inzwischen weigere ich mich klischeehafte Mädchensachen zu tragen, einerseits weil es ein Klischee ist und ich unterbewusst, wie auch bewusst möglichst di Klischees brechen will, andererseits weil ich mich nicht damit wohl fühle gleich als Mädchen identifiziert zu werden. Als ich in die Pubertät gekommen bin und z.B meine Periode bekommen habe, habe ich es gehasst. Ich wollte nicht, dass es irgendjemand erfährt. Bei meinen Brüsten ebenso: Ich wollte sie nicht! Jetzt, einige Monate später habe ich meine scheinbare Weiblichkeit mehr oder weniger akzeptiert, stolz bin ich auf meinen Körper aber nicht. An einigen Tagen ist es mir einfach egal, an anderen akzeptiere ich mich, mich stört es nicht und ich mag meinen Körper eigentlich, an anderen hasse ich es. Aber egal was davon, es ist nie komplett. Einerseits hätte ich gerne einen Binder, aber gleichzeitig auch nicht, einerseits mag ich meinen Körper, gleichzeitig aber auch nicht. Ich habe recht viel recherchiert, aber bisher hat kein Begriff vollständig gepasst. Eine zeitlang habe ich mich als nichtbinär gelabelt, aber es passte nur bedingt, dann als demigender, aber dazu passte nicht das meine Einstellung sich veränderte, dann demiflux, aber an einigen Tagen wollte ich gar nicht weiblich sein. Außerdem schein auch agender nicht völlig unpassend zu sein. Schließlich fand ich genderfae, aber auch da bin ich mir mega unsicher.

Heyyo Jay,

vielen Dank für deine Nachricht und entschuldige bitte, dass die Antwort so lange gedauert hat!

Es ist wirklich stark, wie ehrlich du über deine Gefühle, Gedanken und Unsicherheiten sprichst. Und es zeigt, dass du dich intensiv mit dir selbst auseinandersetzt – das ist etwas sehr anstrengendes, aber auch gutes. Was du beschreibst, klingt nach einem inneren Ringen: mit dem eigenen Körper, mit gesellschaftlichen Erwartungen, mit der Frage, was sich „richtig“ anfühlt – und was nicht. Es ist total verständlich, dass das anstrengend ist.

Dass du dir ein Label wünschst, ist absolut nachvollziehbar. Für viele Menschen ist ein Label nicht nur ein Begriff – es ist etwas, das Halt gibt. Ein Gefühl von: Da gehöre ich hin. So darf ich sein. Es macht Dinge greifbar, die sich im Inneren manchmal chaotisch anfühlen. Und es kann helfen, sich selbst zu verstehen, mit anderen in Kontakt zu kommen oder einfach Worte für das zu haben, was man erlebt. Wenn sich aber kein Begriff richtig anfühlt, kann das verunsichern – gerade, wenn man das Bedürfnis hat, „endlich zu wissen“, wer man ist.

Aber vielleicht ist das der Punkt: Du bist schon wer – auch ohne perfektes Label. Dass sich kein Begriff ganz stimmig anfühlt, heißt nicht, dass deine Gefühle weniger echt oder weniger wichtig sind. Vielleicht bist du im Moment einfach in Bewegung – und das ist vollkommen in Ordnung. Identität ist manchmal ein Prozess, kein Ziel.

Du sprichst auch etwas an, das ganz stark nach Gender Dysphorie klingt – vielleicht sogar, ohne dass du den Begriff verwendest. Dysphorie beschreibt das unangenehme, belastende Gefühl, das entstehen kann, wenn der eigene Körper oder das eigene Geschlechtserleben nicht mit dem übereinstimmt, wie man sich innerlich fühlt oder wie man von außen gesehen wird. Das kann sich ganz unterschiedlich zeigen: durch Ablehnung bestimmter Körpermerkmale, durch Unwohlsein mit geschlechtsspezifischen Erwartungen, durch das Bedürfnis, Klischees zu vermeiden oder nicht „in eine Schublade“ gesteckt zu werden.
Was du über deine Beziehung zu deinem Körper schreibst – dass du ihn an manchen Tagen okay findest, an anderen ablehnst, und nie ganz „stolz“ darauf bist – das kann sehr gut mit Dysphorie zusammenhängen. Und auch hier gilt: Diese Gefühle sind real und gültig, selbst wenn sie nicht jeden Tag gleich stark sind. Auch wenn du keinen „festen“ Begriff für dich gefunden hast, bedeutet das nicht, dass deine Wahrnehmung weniger zählt.

Vielleicht ist dein Label gerade: „Ich bin Jay, ich finde mich gerade, und ich lasse mir Zeit.“ Und das ist vollkommen genug. Du darfst neugierig bleiben, unsicher sein, widersprüchlich empfinden – das macht dich nicht weniger echt.

Du bist nicht allein mit diesen Gedanken. Und es ist okay, noch nicht alles zu wissen. Du bist auf dem Weg. Und dieser Weg gehört dir.


Queere Grüße, Kay




Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.