Kummerkastenantwort 686: Ich bin trans weiblich – was nun?

Triggerwarnung: In dieser Frage werden Selbstmordgedanken erwähnt.

Hi Leute!

Ich muss auch nach eurer Meinung fragen. Aber fangen wir von vorne an. 2004 wurde ein gesunder Bub geboren der erstmal ganz normal schien. Im Kindergarten fing es aber an er hatte so viel Spaß mit den Puppen zu spielen oder wie eine Prinzessin zu verkleiden. Doch die Kita Betreuerin fand, das war falsch also steckte sie ihn in die Ecke mit den Bausteinen. Irgendwie fing er auch an daran Spaß zu haben und baute riesen Prinzessinnenschlösser. Doch kaum hatte er daran Spaß gefunden, war die Kita Zeit auch schon wieder vorbei und er wurde eingeschult.

Schule war der Horror für ihn. Er schrieb zwar gute Noten doch das still sitzen gefiel ihm garnicht. Die ersten vier Jahre vergingen Gott sei Dank schnell. Doch dann wurde er vor ein Riesen Problem gestellt: DIE PUBERTÄT. Als sich alles zu verändern begann, wurde er auf einmal aus einem unerklärlichen Grund depressiv und fühlte sich schlecht. Mit 12 ging er dann an die Kleider seiner Mutter anzuprobieren und stoß auf den Begriff transgender. Als er die Kleider trug fühlte er sich einfach nur toll. Überhaupt die Ballkleider waren toll, aber diese Freude hielt nicht lang an, denn er begann darüber nachzudenken, was wohl seien Familie sagen würde, wenn sie ihn so sehen würden. Also begann er damit sich so männlich zu verhalten, wie es ging obwohl er innerlich sehr verletzlich war. Schwimmbad war für die ihn die absolute Hölle. Er sah die ganzen Mädchen in Bikini und fragte sich: Wieso kann ich das nicht. Er plagte sich mit Selbstmordgedanken und zog sich zurück. Treffen mit „Freunden“ wurde zur nodwendigen Qual um denn Schein aufrecht zu erhalten und jetzt sitze ich hier ja.

Und nun plagen mich so Gedanken wie was wäre wenn du deinen Eltern alles erzählen würdest, würden sie es verstehen? Wahrscheinlich nicht. Sie würden denken das das alles nur ein blöder Witz sei. Nun gut jetzt hab ich die scheiße. Ich überlege zu warten bis ich 18 bin da ich momentan schon 15 bin da ich ja dann über meinen Körper selber bestimmen dürfte aber dann fürchte ich könnte der Kontakt zu meiner kompletten Familie abrechen. 😭😭😭😭😭😭😭

Hallo du,

es ist eine verdammt verzwickte und schwierige Situation, wenn du das Gefühl hast, dass du dich überall verstecken musst – ich kann verstehen, dass dich das plagt. Nach allem, was du erzählst, klingt es für mich, als wärst du in einer Sackgasse, aus der du dringend einen Ausweg brauchst.

Zuerst mal möchte ich dir sagen: Du bist nicht allein. Es ist schön, dass du deinen Weg zu uns gefunden hast, und so wie wir dich gerne bei deinem Weg unterstützen möchten, gibt es auch ganz viele andere Leute, die auf deiner Seite sind und dir helfen möchten. Ja, deine Situation ist schwierig, sie ist aber nicht ausweglos.

Lass uns mal gemeinsam darüber nachdenken, was du gerade brauchst: Sind das Menschen, mit denen du über dein Transsein reden kannst, und von denen du Verständnis und Unterstützung zurückbekommst? Sind es Transitionsschritte, vielleicht auch erst einmal nur soziale, damit du dich in deiner Haut und in deinem Umfeld wohler fühlen kannst? Ist es ein Coming Out, damit du dich nicht mehr verstecken musst? Was davon würde dir gerade am meisten helfen? Alles davon ist eine Möglichkeit, aber nichts davon ein Muss. Gehen wir doch einfach alles davon eins nach dem anderen durch

Coming Out

Ein Coming Out kann ganz schön furchteinflößend sein – vor allem, wenn du mit negativen Reaktionen rechnest. Warten ist natürlich okay, du bist niemandem ein Coming Out schuldig. Wenn du aber merken solltest, dass länger zu warten noch schlimmer ist als den Schritt zu wagen, dann gibt es Möglichkeiten, dein Coming Out einfacher zu machen. Vielleicht gibt es ja in deiner Familie oder in deinem Umfeld eine Person, bei der es wahrscheinlich ist, dass sie positiv reagiert? Dann könntest du dich bei dieser Person zuerst outen, hättest hoffentlich ein Erfolgserlebnis und dann sofort auch eine verbündete Person an deiner Seite, die dich bei allen weiteren Coming Outs unterstützen kann und dir auch beisteht, wenn eines davon nicht so gut laufen sollte. Wenn du dir nicht sicher bist, ob es so eine Person für dich gibt, dann gibt es auch immer noch andere Methoden. Du kannst dich z.B. jemandem per Text, E-Mail oder Brief outen – dann musst du nicht direkt dabei sein, wenn die Person es erfährt, und die Person hat Zeit, darüber nachzudenken und sich zu informieren. Oder du könntest Leuten Artikel, Videos oder anderes schicken, wo es um das Thema Trans geht – so musst du dich nicht direkt outen, kannst aber trotzdem sehen, wie die Leute auf das Thema reagieren, und vielleicht schon ein paar Missverständnisse aus dem Weg räumen.

Transition

Du schreibst, dass du vielleicht bis 18 warten willst, weil du dann über deinen Körper selbst bestimmen kannst. Aber auch mit 15 hast du schon Möglichkeiten, selbstbestimmt zu handeln. Das kann z.B. bedeuten, Kleidung zu tragen, in der du dich wohl fühlst, deine Haare so zu frisieren, wie es für dich passt, deinen Namen und deine Pronomen ändern usw. Ja, vieles davon bedeutet, dass Menschen wahrscheinlich irgendwann bemerken werden, dass du trans bist. Das kann eine Herausforderung sein und es ist okay, wenn du nicht dafür bereit bist.

Es kann aber auch kleine oder unauffälligere Varianten davon geben. Z.B. kannst du deinen Namen auch nur im Internet erstmal ändern, wo dich niemand kennt. Oder du kannst einen Haarschnitt wählen, der als unisex gilt, also nicht unbedingt als weiblich erkannt wird, außer in Situationen, wo du es möchtest. Oder du kannst dir die Fußzehnägel lackieren, oder Kleidung kaufen, die etwas weiblicher ist, und die du immer dann tragen kannst, wenn du es gerade brauchst oder kannst.

Dein Aussehen und/oder deinen Namen zu verändern kann übrigens ein Coming Out auch einfacher machen manchmal. Damit sehen Leute gleich, wie ernst es dir ist, und es fällt ihnen dadurch vielleicht leichter, es zu akzeptieren.

Jemanden zum Zuhören

Auch wenn Transition oder Coming Out vielleicht gerade (noch) nicht möglich sind für dich, musst du deine Gedanken, Gefühle und Sorgen trotzdem nicht alleine mit dir herumtragen. Es kann schon echt viel helfen, mit jemandem darüber zu reden. Das kann z.B. in einer queeren Jugendgruppe sein, in einem Online-Chat oder auf einem anonymen Social-Media-Account, wo andere trans und queere Leute sind, die deine Probleme auch schon selbst durchgemacht haben. Es kann aber auch jemand in einer trans Beratungsstelle sein. In vielen größeren Städten gibt es sowas. Dort sind Leute, die oft selbst trans sind und die darin geschult sind, dir zu helfen und dich zu unterstützen – mit Adressen, Materialien, Informationen und gutem Zuspruch.

Gerade, weil du schreibst, dass du auch mit Depressionen und Selbstmordgedanken zu kämpfen hast, ist es sicher auch hilfreich, nach einem Psychotherapie-Platz oder anderer psychotherapeutischer Hilfe Ausschau zu halten. Auch dort kannst du Unterstützung bekommen zu Fragen wie Coming Out oder Transition. Wenn du deinen Eltern nicht sagen möchtest, warum du diese Therapie möchtest, kannst du es auch auf Depressionen oder Schulstress schieben. Auch für Jugendliche gilt in den meisten Fällen die ärztliche Schweigepflicht und Therapeut*innen werden deinen Eltern nicht einfach so erzählen, worüber du mit ihnen sprichst.

Zum Schluss

Ich weiß, alle diese Schritte brauchen ganz schön viel Mut. Es ist okay, wenn du den nicht aufbringen kannst – du wirst deinen eigenen Weg schon finden, in deinem eigenen Tempo. Und eins ist wirklich wahr: Es wird besser. Ich glaube ganz fest an dich und wünsche dir alles Gute!

Liebe Grüße,
Balthazar

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