Kummerkastenantwort 877 – wie kann ich mir sicher sein?

Hallo,
Erstmal ein ganz großes Dankeschön an euch, dass ihr das macht. Ich habe durch eure Seite so viel gelernt, das ist toll.
Ich bin fünfzehn Jahre alt.
Vor etwa einem halben Jahr habe ich mich bei einigen meiner Freunde und schließlich auch bei meinen Eltern als bisexuell geoutet. Sie haben alle super reagiert, und darüber bin ich sehr glücklich.
Seit einiger Zeit (ca. einem Monat) bin ich mir aber wegen meiner Geschlechtsidentität sehr unsicher. Ich frage mich immer wieder, was wäre, wenn ich ein Junge oder non-binary wäre, was davon, weiß ich aber nicht. Ich fühle mich mit meinem Körper unwohl, vor allem beim Umziehen und Duschen.
Deswegen hinterfrage ich auch in jeder Situation, wie ich mich gerade fühle, männlich, weiblich, irgendwas dazwischen, selbst beim Zähneputzen oder den Hausaufgaben. Das bringt aber recht wenig, ich bin genauso schlau wie vorher und mache mir jetzt noch dazu Sorgen, ob ich mir das vielleicht auch einfach alles einrede. Ich kann irgendwie nie definieren, wie ich mich jetzt fühle, aber weiblich ist es nicht.
Ich bin wirklich verzweifelt deswegen.
Wie lange dauert es überhaupt, bis man das weiß (von dem Punkt an, wo man sich das fragt, bis zu dem Punkt, wo man sich sicher ist, gerechnet)? Kann ich das jetzt schon überhaupt wissen? Woran erkenne ich überhaupt, dass ich mir das nicht einrede und wie weiß ich, dass ich wirklich mit meinem Körper und nicht nur mit diesen völlig bescheuerten Geschlechterrollen klarkomme? Weil das irgendwie auch da mit rein spielt. Ich hasse es, mich zerbrechlich zu fühlen, aber wenn ich z.B. ein Kleid oder auch enge Jeans und Stiefel anhabe, fühle ich mich zerbrechlich. Dabei hat das doch eigentlich nur etwas mit dem Rollenbild der Gesellschaft zu tun, dass Frauen zerbrechlich sind?
Noch dazu bin ich seit fast einem Jahr in einen Freund von mir verliebt. Er war der einzige in meinem Umfeld, von dem ich wusste, dass er queer war, deshalb auch die erste Person, bei der ich mich geoutet habe. Vor Kurzem hat er mir gesagt, dass er ftm Transgender ist. Wenn wir alleine sind, nenne ich ihn jetzt immer bei seinem richtigen Namen, in der Schule versuche ich, seinen birth name zu vermeiden. Vor allem dieser Punkt hat meine Zweifel daran, ob ich wirklich weiblich bin, verstärkt. Ich hasse meinen Namen. Schon richtig lange, und zwar nicht, weil er so häufig vorkommt, sondern weil ich nicht finde, dass er zu mir passt. Ich hab aber auch kein Problem damit, wenn andere mich so nennen und ich darauf reagieren muss, sondern nur, wenn er betont wird, ich ihn selber sagen oder schreiben muss.
Ich hab quasi alle diese ‘Anzeichen’, dass man Transgender ist, aber nie richtig und nur ein bisschen.
Ich weiß, dass es nicht darum geht, queerer zu sein als andere, und dass es darum geht, wie ich mich fühle. Aber was mache ich, wenn es wirklich nur eine Phase ist? Woran erkenne ich, ob es eine Phase ist?
Außerdem bin ich, obwohl mein Freund sich als männlich geoutet hat, was man hoffentlich so sagen kann, noch und eigentlich auch viel mehr in ihn verliebt. Heißt das jetzt nicht eigentlich, dass ich nicht bisexuell sondern pansexuell bin? Sein Geschlecht ist mir ja egal.
Das war jetzt wirklich viel und auch wirklich viel Gejammer, aber ich bin ein bisschen sehr überfordert.

Vielen Dank schon mal !

PS: Eure Seite ist echt toll und sehr hilfreich

Hi!

Ich hoffe ich hab alle deine Fragen richtig erkannt und versuch sie so gut wie möglich zu beantworten. Falls Dinge unklar oder unbeantwortet bleiben, frag gerne nochmal nach! 🙂

Ich muss dich leider als erstes direkt enttäuschen. Es gibt keinen festen Zeitpunkt, an dem man sich über sein Geschlecht definitv und für immer sicher ist. Viele queere Personen hinterfragen sich immer wieder und viele haben Angst, auf irgeneine Art nicht queer genug zu sein. Diese Sorge ist aber in der Regel unbegründet. Kaum jemand macht sich Sorgen über das eigene Geschlecht und ist am Ende doch cis. Aber wenn es sich irgendwann doch als Phase herausstellt, ist das vollkommen in Ordnung! Wenn du in ein paar Tagen, Wochen oder Jahren merkst, dass du doch weiblich bist, dann ist eine Detransition vollkommen valide. Das Leben ist ein Haufen Phasen, das macht sie aber nicht weniger real oder weniger wichtig.

Bezüglich deiner Sorge, dass deine Unsicherheit nur von Geschlechterrollen kommen könnten: ich halte das eher für unwahrscheinlich. Viele Frauen können mit den klassischen Rollenbildern nichts anfangen. Die Reaktion ist dann aber in der Regel diese Rollen aufzubrechen, durch Auftreten, Beruf, Hobbies und so weiter. Aber deswegen das zugewiesene Geschlecht abzulehnen und den eigenen Körper zu hassen hat damit wenig zu tun. Und auch sehr viele trans Personen halten sich nach ihrer Transition bewusst nicht an Geschlechterrollen. Vorlieben und Verhaltensweisen können Teil der Geschlechtsrepresentation sein, aber erstmal hat es nichts direkt mit Geschlecht zu tun.

Du bist trans genug. Und wenn du merkst, dass du nur einen anderen Namen möchtest, dann reicht das. Das gilt auch genauso, wenn du doch cis sein solltest. Wenn dir dein Name nicht gut tut, steht dir jederzeit frei ihn zu ändern!

Zu deiner Frage, ob du jetzt bi oder pan bist, kann ich dir keine konkrete Antwort geben. Die beiden Label überlappen sich stark. Welches von beiden du haben möchtest und welche Definition des Labels du für dich nutzt, ist letztlich deine Entscheidung. Beide Identiäten beinhalten Anziehung zu mehreren Geschlechtern und beide schließen Anziehung zu trans Personen ein. Dass deine Gefühle für ihn weiter da sind, sich aber mit seinem Outing etwas geändert haben, spricht nicht gegen bi. Im Gegenteil, viele Nutzen dieses Label gerade so, dass sie sexuelle Anziehung zu Personen von zwei oder mehr Geschlechtern verspüren, aber Geschlecht trotztem Einfluss auf ihre Anziehung hat.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiter helfen!

Liebe Grüße
Lir

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