Kummerkastenantwort 876 – Geschlecht ist verwirrend
Hey,
Ich heiße Alex und bin 15 Jahre alt.
Momentan finde ich mein Geschlecht ziemlich verwirrend.
Ich weiß, es kann alles an der Pubertät liegen oder ich bilde mir nur was ein, aber trotzdem stelle ich meine Geschlechtsidentität auf die Frage und empfinde es als echtes Problem.
Ich bin als Mädchen geboren und die Pronomen, die ich (zumindest im Internet) benutze sind sie und er.
Mein ganzes Leben habe ich “mich selbst” ohne Geschlecht vorgestellt. Also in den Gedanken und so.
Wenn ich dann in den Spiegel geschaut habe, war das dann so “eh, wer ist das denn?”
Es ist einfach so, dass mein Äußeres nicht zu meinem Inneren passt.
Als ich dann in die Pubertät kam, hab ich mich, hauptsächlich wegen meinem Körper, weiblicher Gefühlt, aber gleichzeitig wie ohne Geschlecht. Da war immer das “weibliche Ich” und das “andere Ich”.
Also hab ich einfach das Label Demigirl benutzt, weil Agender dann doch nicht passt.
Aber mir ist jetzt in den letzten Monaten aufgefallen, dass da auch was männliches in mir ist. Der Part ist eher klein, aber er ist da. Dann war es auf einmal das “weibliche Ich”, das “andere Ich” und das “männliche Ich”.
Ich wünsche mir immer häufiger, dass ich einfach als Junge wiedergeboren wäre. Oder zumindest zur Hälfte.
Am besten wären zwei Körper, zwischen denen ich switchen könnte.
Aber abgesehen davon, habe ich kein Verlangen, mein momentanes Äußeres männlicher oder androgyner zu machen.
Ich glaube meine größten Probleme sind, dass ich mein “weibliches Ich”, mein “anderes Ich” und mein “männliches Ich” nicht als ein ganzes “Ich” sehen kann, und dass dieses “Ich” nicht das “Ich” im Spiegel ist.
Ich hätte echt kein Problem damit, einfach als Mädchen weiter zu leben.
Aber ich will wissen, was diese zwei anderen Ich’s sind und warum sie da sind.
Man nennt so etwas ja Trigender oder Bigender oder sonst was, aber ich kann dieses Ich nichts richtig zuordnen. Nicht einmal als “queer”, obwohl das ja erstmal nichts aussagen muss.
Aber ich bin ja offensichtlich nicht 100 Prozent cis.
Ein anderes Problem mit meinen Pronomen wäre, dass ich mich mit sie/er zwar wohl fühle, aber es total komisch fände, wenn mich jemand trotz meines weiblichen Aussehens als er bezeichnet. Also ich fände es sonst echt cool, aber nicht so.
Und da sind wir wieder bei meinem Inneren und meinem Äußern und wie das alles nicht passt.
Aber wie schon erwähnt, einfach noch einen männlichen Körper zu haben, mit dem ich einfach immer switchen könnte, würde das lösen (das geht natürlich nicht, aber vllt. versteht Ihr mich ja).
Aber ich kann mein weibliches und mein männliches Ich einfach nicht mischen. Es geht nicht.
Da ist nur die Alex oder der Alex, nicht die/der Alex (wenn Ihr versteht, was ich meine).
Ist das normal, dass ich das alles nicht als gemeinsames “Ich” sehen kann und mich immer anders sehe, wenn ich mich männlich oder weiblich fühle? Oder das mir Label das seltsame Gefühl geben, dass ich mich zwinge, da rein zu passen? Obwohl ich bei meiner Bisexualität auch lange dieses Gefühl hatte und mich jetzt aber sehr wohl mit dem Label fühle.
Ich finde das alles so ätzend, erst bin ich durch Jahre der Verzweiflung wegen meiner Sexualität gegangen und dann dasselbe mit dem Geschlecht. Ich meine, sooo wichtig ist mir das alles gar nicht, aber ich wünschte, es wäre endlich geklärt.
Die einzigen Label die mir noch passen würden, wären Bigender und Demigender. Bei Demigender sähe ich mein “weibliches Ich” und mein “anderes Ich” wenigstens als eins. Bei Bigender würde ich immerhin ein “demiweibliches Ich” und ein “demimännliches Ich” haben. Ich weiß, klingt kompliziert.
(Ich weiß, dass ich kein Label brauche und das Ihr das wahrscheinlich antworten wolltet, aber das ist mir klar. Ich finde es bloß schwer, etwas passendes zu finden, und ob Ihr da vllt. erste Ansätze habt.)
Sorry für diesen ewig langen Text, ich wollte mich Mal ausheulen. Kann halt mit niemand anderem darüber Reden.
Grüße,
Alex, der gerne ein Typ wär, oder auch nicht
(btw, gerade fühle ich mich ziemlich männlich, aber am Anfang des Schreibens ziemlich weiblich. Vielleicht ist Bigender doch was.)
(und mich als er zu bezeichnen ist auch nicht übel)
(und Danke an Euch, bei meiner Sexualität hat mir diese Seite und Eure Antworten sehr geholfen!)
Hi Alex!
Dass sich verschiedene Identitäten so unvereinbar anfühlen, ist mir aus queerer Sicht bisher nicht so geläufig (was nichts heißen muss, ich kenn bei weitem nicht jede Sicht!). Es kann aber gut sein, dass sich alles grade erstmal seltsam anfühlt, da es nicht zu den Normen passt, die du gewohnt bist. Das hast du ja im Bezug auf Bisexualität selbst schon erfahren.
Vielleicht hilft es dir, nicht nach dem einen Label zu suchen, dass perfekt passt oder dich dem nächstbesten so gut es geht anzupassen. Wenn es etwas gibt, dass einen Teil von dir gut beschreibt und mit dem du dich wohlfühlst, kannst du das benutzen. Kommt dann so etwas raus wie demiweiblich und demimännlich oder auch etwas viel komplizierteres, dann ist das ok! Label müssen für Außenstehende keinen Sinn ergeben. Tut es dir gut, ist das genug.
Wenn du mehr Leute brauchst, mit denen du über so etwas reden kannst, könnte vielleicht der Regenbogenchat etwas für dich sein. Dort findest du andere queere Jugendliche, die in ähnlichen Situationen sind, und du kannst in einem geschützten Rahmen neue Label, Pronomen und ähnliches ausprobieren.
Last, but not least: sich selbst finden braucht Zeit. Die wenigsten finden sofort heraus, was alles bei ihnen los ist und welche Label das am besten beschreiben. Und es sind noch weniger, bei denen sich ab da nichts ändert. Identitäten sind nicht in Stein gemeißelt und oft hilft nur auszuprobieren, was jetzt gerade am besten ist und nach etwas anderem zu schauen, falls das nicht mehr passt. Hab Geduld mit dir und wenn du Hilfe brauchst, melde dich gerne wieder. 🙂
Liebe Grüße
Lir