Von Frauen und Wünschen – Wie Xenia eine Ausrede fand, um Musik queer zu reden
Xenia mag immer noch Musik und nutzt diese Gelegenheit heute nochmal in der Extravaganza.
Letztes Mal an diesem Ort ging es darum, dass ein Song neue Perspektiven bekommen kann, je nach dem, wer in singt. Sozusagen die echte, gute queere Repräsentation. Jetzt sind wir in einer Welt, in der queere Repräsentation, selbst wenn sie da ist und mehr wird, immer noch super selten sind. Und in der nicht-queere Personen Queeres gerne mal übersehen, Kleinreden oder Wegargumentieren wollen. Das kann ich auch. Also. Andersrum. Ich kann mir Dinge auch queer-argumentieren. Ist das richtig? Ist das erlaubt? Ist das gut? Weiß ich nicht. Ich tus trotzdem und möchte das gerne an einem Beispiel erzählen, wie es dazu kam.
Stuck Back in Kansas
Für den Song gehts nach Kansas. Nein, es geht nicht um einen Wayward Son, sondern tatsächlich um den Bundesstaat der USA, dem allgemein der Ruf anhaftet, konservativ, angestaubt und so bisschen ausbruchssicher zu sein. Die Protagonistin aus diesem Song lebt da. Und hat bisschen Angst, dass sie da nie wegkommen wird.
Aber Reihe nach. Der Song heißt A New Brain und ist auf dem Album Canon Eyes von I Fight Dragons. Die Band höre ich tatsächlich schon länger, weil ich deren Ansatz Musik zu machen – eine klassische Rockbandbesetzung plus einen Gameboy oder einen Super Nintendo – super spannend finde. Und 2019 kam dann das neue Album, was ich soweit mitverfolgt hab, die Vorabveröffentlichungen in mich aufsaugend, bis ich dann das erste Mal A New Brain hörte. Wo ich dann mittendrin stockte, weil zwischen allem, was ich da hörte, was da passierte, der Text in den Refrain rein dann langsam bei mir einschlug:
So she lies awake, thinking there's been some mistake Crying her eyes out, begging for help, she's shouting I want a new brain, I want a new heart I'm sick of feeling, failing and falling apart I want the courage to make a new start Time after time I flip from fine to failing and falling apart
Der Song war neu. Ich ging da ohne Erwartungen ran. Ich wusste, wie er heißt, mehr nicht. Reinhören. Das eine Mal die Möglichkeit haben, einen Song komplett neu zu erleben, und dann hat das Ding diesen Refrain und ich fühlte mich seltsam verstanden. Dieses Gefühl, es doch irgendwie raus zu haben, aber irgendwas aus dem Kopf, aus dem Gefühl, irgendwas passt doch kategorisch nicht. Das war der Moment, wo ich tatsächlich zurückspulte, noch bevor ich den ganzen Song gehört hatte. Warum? Weil ich mich erwischt fühlte. Weil ich mir sicher war, dass das eine queere Perspektive, mehr noch, eine Trans-Perspektive sein würde.
Visions at night
Der Song benennt Personen nicht. Es gibt she und they. Letztere als eher anonyme Masse, die der Protagonistin vorwerfen, dass sie crazy sei. Und sie selbst. Nun, sie weiß nicht so genau. Aber sie hat diese Gedanken, die sie nicht so richtig sortiert bekommt.
Far worse than lions and bears She's cursed with visions at night They tell her: you've got a destiny Somebody you're supposed to be far from this small town there's answers to be found
Ja, das klang und klingt für mich immer noch nach dieser Schwebe, nach dieser unbequemen Schwerelosigkeit, in der sich ein inneres Coming Out zusammenbraut. Irgendwoher scheine ich zu wissen, dass ich wer bin, wer sein kann – und irgendwo ergibt alles herzlich wenig Sinn. Irgendwie wäre es einfacher, das einfach Unfug zur Seite zu legen zu können. Oder wie im Refrain eben: Nicht wach rumzuliegen, sondern schlafen zu können. Zur Not einfach als anderer Mensch. Anderer Kopf. Andere Gefühle. Hauptsache nicht das. Im doppelten Sinne: Entweder schon Coming Out und Transition gehabt haben oder beides gar nicht müssen.
Time marches onward cruel as can be stuck in the real world nothing comes free sick of the questions sick of the fight she's tries to smile and pretend denies the voices at night
Is it Kansas forevermore?
Und so dreht sich das dann im Kreis. Zwischen eigentlich schon vorahnen, dass da was sein könnte, zu Weglächeln und sich Einreden, dass das alles nur ein Hirngespinst ist. Darüber nicht vom Fleck kommen und auf ewig in Kansas festhängen, quasi.
Oh no, she's never sure, is it Kansas forever more? Trapped in a metaphore
Xenia, du legst das alles super plausibel dar, wieso sagst du, dass du das da draufinterpretierst, und dass es um was anderes geht, eigentlich? Weil ich es weiß. Ich hatte mal die Gelegenheit für einen kurzen Chat mit Brian – und wollte ihm für den Song danken – weil ich mich von ihm verstanden fühlte. Aber weil ich ihm nicht für was danken wollte, was nicht da ist, erzählte ich ihm erst, was ich beim Song empfand. Und er erzählte mir, worüber er den Song schrieb: Das Gefühl, als Musiker nichts Neues, nichts Gutes, nichts Kreatives – sondern immer nur den gleichen langweiligen Scheiß zustande zu bringen und sich bei seinen (Band)kolleg*innen nur durchzumogeln, bis sie merken, dass man eigentlich nichts drauf hat. Unsicherheit über das eigene Können.
Liege ich damit also falsch und ist meine gesamte Interpretation nichtig? Vielleicht. Mein erster Eindruck, das Gefühl den Song zum ersten Mal zu hören und das mitzufühlen, die Zerrissenheit und Unsicherheit eines inneren Coming Outs wiederzuerkennen, wird mindestens für mich nicht immer Bedeutung haben. Egal, ob das jemals so gedacht war.
Dieser Blogpost ist Teil der 2020-Weihnachtsextravaganza: Ab Weihnachten täglich ein neuer Blog-Beitrag hier im Queer Lexikon. Neben diesem Blog produzieren wir als gemeinnützigeer Verein auch Infovideos, veröffentlichen Broschüren, betreuen einen anonymen Kummerkasten, moderieren den Regenbogenchat und vieles mehr. Wenn du Xenia, die diese Aktion verantwortet, mal eine Pause gönnen magst, kannst du ihr einen Ko-Fi ausgeben. Für Unterstützung für das Queer Lexikon gibts noch mehr Möglichkeiten.