Kummerkastenantwort 981: Mein trans Coming Out ist nicht gut gelaufen

Content Notice: In diesem Beitrag geht es um Nazis und Transfeindlichkeit.

Guten Tag,

ich bin ein frisch geouteter trans Mann und heiße Jeremy.
Durch mein Outing habe ich in meinem engsten Bekanntenkreis viel Rückhalt bekommen. Doch leider gibt es auch in meiner Familie böses Blut. Mein Vater ist ein Neonazi und glaubt strikt an die Rollenverteilung von Mann und Frau nach Julius Evola. Außerdem ist er aktuell mein Chef, ich mache meine Ausbildung bei ihm.
Ich habe mich, trotz des Wissens über seine vermutliche Reaktion, bei ihm geoutet. Ich bin schließlich sein Kind, dachte ich. Und ich wollte Ehrlich sein, zu ihm und zu mir.
Seine Reaktion bestand anfangs daraus mein Outing zu ignorieren. Seine neue Frau, also meine Stiefmutter, war anfangs sehr positiv und hat mich auch schon Jeremy genannt, doch jetzt macht sie mir ständig Vorwürfe ich würde mein Glück über seines stellen. Und ja das tue ich auch, ist ja auch mein Leben. Die letzten Wochen waren ein ständiges auf und ab zwischen “das Problem wird ignoriert bis es weg ist” und Beleidigungen und Vorwürfe in meine Richtung. Letzte Woche gab es dann ein “klärendes Gespräch” mit meinem Vater. In dessen er mich als unheimlich, unnatürlich und ein Haufen Scheiße bezeichnete. Er postete auch auf seinem Facebook Kanal einige Textzeilen von Julius Evola, um nochmal zu verdeutlichen, was er davon hält.

Das war dann auch der Grund weshalb ich für Weihnachten abgesagt habe. Ich möchte und kann mir das einfach nicht antun.
Allerdings wurde ich jetzt in den Zwangsurlaub geschickt, von meinem Vater aus, weil ihm “Mein Tonfall” nicht gefällt. Meine Mutter, die voll uns ganz hinter mir steht, sagt ich soll vorsichtig sein und es mir nicht mit ihm verscherzen solange ich noch bei ihm arbeite und auf ihn angewiesen bin. Aber ich weiß nicht ob ich das schaffe, die Ausbildung dauert, trotz verkürzen, noch ein Jahr. Und die Atmosphäre die mir entgegen schlägt, die Beleidigungen, die Schuldzuweisungen tun mir weh.

Ich will nicht vor ihm weglaufen, aber ich weiß auch nicht ob ich mich nicht einfach selbst zerstöre wenn ich bleibe. Aber vermutlich hab ichs mir eh schon verscherzt. Beide werfen mir vor ich würde sie beleidigen, warum sehen sie nicht, dass sie es sind die mich beleidigen und verletzen? Ich sage ich möchte einfach nur glücklich sein und als Antwort bekomme ich, dass Menschen die nach Glück und Liebe streben Schwachköpfe sind.

Habt ihr irgendwelche Tipps? Ich weiß nämlich wirklich grad nicht weiter.

Liebe Grüße und frohe Weihnachten
Jeremy

Hallo Jeremy,

tut mir leid, dass die Antwort ein bisschen gedauert hat. Deine Situation ist auch wirklich nicht einfach und ich fürchte, ein paar Worte von mir werden das nicht ändern. Egal, was kommt, ich wünsche dir schonmal ganz viel Kraft.

Es ist so richtig mies, kein sicheres Umfeld für ein Coming Out zu haben. Besonders auch, wenn es, wie bei dir anscheinend, nur an einem einzigen Menschen hängt, der sich quer stellt. Und dass du wegen deines Ausbildungsplatzes noch nicht mal so einfach Abstand nehmen kannst, ist besonders kacke.

Nach allem, was du beschreibst, scheint es für dich nicht wirklich eine Option zu sein, in dieser Situation zu bleiben und sie noch für ein weiteres Jahr zu ertragen. Deshalb habe ich folgende Fragen: Gibt es irgendeine Möglichkeit, deine Ausbildung an einem anderen Ausbildungsort (und mit anderen Arbeitgeber*innen) abzuschließen? Es ist sicherlich nicht einfach, mittendrin zu wechseln, aber das kommt sicherlich immer mal wieder vor. Vielleicht gibt es ja Ausbildungsplätze in der Nähe, zu denen du Kontakt aufnehmen kannst. Du hast schließlich gute Gründe und könntest erklären, warum du in deinem aktuellen Ausbildungsverhältnis nicht bleiben kannst – wie sehr du dabei ins Detail gehen willst, bleibt ja auch dir überlassen. Außerdem: Hast du ein Sicherheitsnetz, falls die Situation mit deinem Vater sich weiter verschlechtern sollte? Ein bisschen Geld, das du dir beiseite legen kannst, ein paar Leute, bei denen du sicher aufgehoben bist, evtl. sowas wie eine*n Sozialarbeiter*in, Therapeut*in, irgendeine ausgebildete Person, die zu Konflikten wie diesen geschult ist und an die du dich wenden kannst, wenn es hart auf hart kommt? Je nachdem, wie alt du bist, kann auch das Jugendamt oder das Arbeitsamt eine Anlaufstelle sein.

Zuletzt möchte ich noch sagen: Dich von Menschen zu entfernen, die dich verletzen und deine Bedürfnisse ignorieren, ist keine Schwäche und kein Weglaufen, ganz im Gegenteil. Es ist echt stark von dir, dass du so für dich einstehst und darauf achtest, was dir gut tut und was du brauchst. Du bist ganz wunderbar, so wie du bist, und Menschen, die dir etwas anderes sagen, haben unrecht.

Ich hoffe, du kommst ganz bald in eine bessere Situation und findest Wege, mit den Verletzungen umzugehen, die du erfahren hast. Und ich wünsche dir alles Gute.

Viele Grüße,
Balthazar

Das könnte dich auch interessieren …