Kummerkastenantwort 1.922: Ich bin nicht-binär und struggele mit ein paar Sachen

Hallo,
Ich habe euch vor ein paar Monaten schon einmal geschrieben, inzwischen ist meine Situaition aber anders. Da hatte ich eine Krise, welches Label für mein Geschlecht passt.
Naja, inzwischen identifiziere ich mich einfach als non binary und bin auch eigentlich zufrieden damit. Allerdings habe ich ein paar Probleme:
1. Ich denke mir immer, dass Gender sowieso nur gesellschaftliche Konstrukte sind und fühle mich darum, als würde ich nur etwas besonderes sein wollen, oder wäre cis (nur gegen Stereotypen). Ich weiß auch nicht, wie ich mir und anderen (würde mich so gerne jemandem anvertrauen) das ganze erklären soll, ohne mich selbst wie einen Verräter wahrzunehmen.
2. Ich habe das Gefühl, alles mögliche aus meiner Kindheit, unbewusst oder bewusst, als Hinweise auf meine Identität auszulegen, so wie Beweise. Wie kann ich damit aufhören?
3. Aufgrund des ersten Punktes mache ich mir immer Vorwürfe, dass meine Dysphorie, die ich oft habe gar nicht berechtigt ist.
Ich habe den Artikel zum queeren Impostersyndrom gelesen, aber ich weiß nicht was ich machen soll. Diese, ich sag einfach mal “Stimme”, die mir sagt ich würde alles hochspielen bleibt da.
Meine Eltern hätten kein Problem damit, aber sind von den ganzen Begriffen überfordert und sehen das glaube ich wie so eine andere Welt (habe Nicht-Binarität mal vorsichtig erwähnt).

Hi!

Zu Punkt 1: ja, Geschlecht ist ein Konstrukt. Aber das heißt ja nicht, dass Geschlecht nicht real wäre. Andere soziale Konstrukte sind zum Beispiel Geld und Behinderung. Sie hängen stark von gesellschaftlichen Definitionen ab und existieren gewissermaßen nur durch sie. Nichtsdestotrotz haben beide extreme Auswirkungen auf unsere Realität. Genauso ist Geschlecht fast allgegenwärtig und prägt uns und wie andere uns wahrnehmen. 

Dein Geschlecht ist real. Du kannst natürlich auch cis und gegen Stereotypen sein. Aber ebensowenig spricht etwas dagegen non binary zu sein. Und selbst wenn du es nur wolltest, um besonders zu sein: solange es dir mit diesem Geschlecht am besten geht, ist es deins! Und es betrifft niemand anderen, schon gar nicht so sehr, dass du ein Verräter wärst.

Bezüglich deinem zweiten Punkt kann ich mir vorstellen, dass es für dich im Moment einfach sehr wichtig ist. Wenn du Angst hast, dass dein Geschlecht nicht echt oder ein Verrat ist, ist es doch ganz natürlich nach Beweisen zu suchen. Ich glaube, dass das von alleine besser wird. Versuch dir keinen Druck zu machen. Ja, ich weiß, einfacher gesagt als getan.

Das bringt uns dann auch irgendwie zu Punkt 3. Was auch immer dein Geschlecht ist, ist gut so. Und es braucht kein Recht, um Dysphorie zu fühlen. Du hast Schmerzen. Die kommen ohne Erlaubnis und du brauchst keine Erlaubnis, um sie zu fühlen und zu benennen. Du bist,  wer du bist und du bist queer genug. Sag deiner inneren Stimme von mir, dass sie ein bisschen liebevoller mit dir umgehen soll. 🙂

Und wenn es für dich noch zu früh ist, um dich zu outen, ist das ok. Du darfst dir alle Zeit nehmen, die du brauchst. Es kann helfen, wenn du mit anderen darüber sprichst. Aber du schuldest das niemandem und darfst das auch mit dir selbst ausmachen, bis du dich sicher genug fühlst. Outings sind für viele Überwindung, selbst wenn gute Reaktionen absehbar sind. Ich wünsch dir, dass es irgendwann geht und alles ganz entspannt läuft! 

Liebe Grüße

Lir

 

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